Theaterfestival:Emanzipationsparty

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Die Regisseurinnen Suna Gürler und Leonie Böhm bei "Radikal jung"

Von Christiane Lutz, München

Eine Frau betritt die Bühne und sagt: "Eine Frau betritt die Bühne." Eine Frau, Karohemd, Kurzhaarschnitt, betritt die Bühne. "Nein, nicht so was", sagt die erste Frau und winkt das Karohemd weg. "Ich hab an so was gedacht", sagt sie und zerrt eine blonde, weiße Frau auf die Bühne. Schon mit dieser ersten Szene ist klar, was die Regisseurin Suna Gürler sagen möchte: Stereotype Erwartungen an Frauen machen sie richtig wütend. Sie und ihre sechs Schauspielerinnen vom Maxim Gorki Theater Berlin. "Stören" heißt das Stück, es passt wunderbar in die ohnehin feministische Ausrichtung der 13. Ausgabe von "Radikal jung", das am Freitag am Volkstheater begann. Zum ersten Mal sind mehr Regisseurinnen als Regisseure eingeladen, viele bringen eigene Themen mit.

"Stören" zum Beispiel ist eine aufgebrachte Kampfansage an den alltäglichen Sexismus, den beiläufigen, den lieb gemeinten, den jede Frau kennt. Die sechs Schauspielerinnen sprechen vom Bühnenrand direkt ins Publikum, schnell, teilweise chorisch. Sie erzählen von gehackten Nacktbildern. Von Männern, die ihnen hinterherpfeifen und vom gezückten Schlüssel in der Hand, nachts, auf dem Heimweg, wenn ihnen jemand folgt. Warum, fragen sie, bringen wir den Töchtern bei, sich zu schützen, statt die Männer zu erziehen? Diese Frauen wollen sich nicht als Opfer verstanden wissen, nicht als Objekt. "Stören" fasst ein schwieriges Thema dynamisch und sogar unterhaltsam an. Auf den rückversichernden Kommentar "Natürlich meinen wir nicht alle Männer", hätte man allerdings verzichten können. Klar, dass damit die anwesenden Männer bei der Stange gehalten werden sollten, jedoch verstärkt sie so selbst ein Klischee: das der sich ewig entschuldigenden Frau.

Beim Eröffnungsstück "Nathan die Weise" vom Thalia Theater in Hamburg, nimmt sich die Regisseurin Leonie Böhm der Figur der Recha an, stellvertretend für zahllose Frauenfiguren der klassischen Literatur. Diese haben alle das gleiche Problem: Sie sind langweilig. Bisweilen überflüssig. Maximal als Objekt der Begierde dürfen sie existieren oder sich selbst nach dem Geliebten verzehren. Abenteuer erleben dürfen sie nicht. Bei Böhm kommen nur drei Figuren vor: ein langhaariger Hipster-Nathan in Paillettenkleid, der eher wirkt, als käme er von einem Rave, als wolle er Religionen versöhnen (Johannes Rieder), dann der Tempelritter (Steffen Siegmund), der Recha aus dem brennenden Haus rettet und in "Alta, ey Mann, weiß du?"-Slang dem Zuschauer davon berichtet. Recha, gespielt von Birte Schnöink, bleibt lange ruhig, beobachtend. Schließlich wirft sie sich einen goldenen Harnisch über und entledigt sich erst ihres nervigen Liebhabers, dann des verstrahlten Vaters. Sie entledigt sich am Ende gar der berühmten lessingschen Ringparabel, die Lieblingsparabel aller Deutschlehrer und Germanistik-Professoren. Leonie Böhm schmeißt für die Zuschauer eine 70-minütige Recha-Emanzipationsparty. Vom Ursprungsstück bleibt dabei wie erwartet nicht sehr viel übrig. Macht aber überhaupt nichts.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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