Tanzwerkstatt Europa:Orgiastische Zitterpartie

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Doris Uhlich überzeugt mit "More than Naked"

Von EVa-Elisabeth Fischer, München

Doris Uhlich ist eine lustige Haut. Wie sie so dasteht, hinter der Soundbar, die Beine ein wenig gegrätscht - zwei mächtige Säulen, die einen stabilen Stand garantieren. Sie lächelt, fährt lässig die Regler rauf und runter, wippt gelegentlich ein wenig im Takt ihrer Dancefloor-Hits mit. Mensch, die hat ja nichts an unter ihrem grauen Satin-Blouson! Haut und Schamhaar sind ihr offenbar Kleidung genug, so selbstverständlich, wie sie an ihrem Computer hantiert und dabei das Bühnengeschehen nicht aus dem Auge lässt.

Doris Uhlich ist derzeit Österreichs Aushängeschild einer inzwischen ziemlich selbstbewussten freien Tanzszene, immer noch mit Zentrum Wien. Dort wirkt Walter Heun, der Erfinder und langjährige Chef der Tanzwerkstatt, in seiner zweiten Amtszeit am Tanzquartier. Er präsentierte nun Doris Uhlich, deren Stammhaus in Wien allerdings das Künstlerhaus Brut ist, erstmals in München. Um geschickte Selbstdarstellung nicht verlegen, macht sie aus vermeintlicher Not eine Tugend - entweder solo oder mit vielen. "Fetttanztechnik" nennt sie das, was sie in der Muffathalle unter dem Titel "More than Naked" mit 19 splitternackten Männern und Frauen praktiziert mit dem Fazit: Die Perfektion liegt im Imperfekten. Und Schönheit ist das Gegenteil von Fotoshop-Makellosigkeit.

Uhlich selbst demonstriert in einem kurzen Solo, wenn sie auch noch den Blouson von sich wirft und ihre barocke Üppigkeit ausstellt, dass das mit dem Fett provozierende Selbstironie ist, geschmiert mit ein wenig Koketterie. Mehr als nackt meint, den Körper als Stradivari zu betrachten, Haut, Fett und Muskeln spielen zu lassen in einem faszinierend kontrollierten Vibrato, in Isolationstechnik auf jeweils verschiedene Körperpartien beschränkt. "Everybody will be dancing. . .", die Tänzer grooven sich ein vom Kopf aus, lassen die Schultern unisono sacken im Vierfüßlerstand. Pobacken und Schenkel zucken, zwickzwack geht's an die Bauchhaut, der Hüftbeuger ruckt, der Bizeps pumpt. Und dann lässt man jene kritische Oberarmpartie zittern, die im Alter zu Schwimmflügelchen erschlafft.

All dies geschieht in verschiedenen Formationen. Frau nutzt Männerrücken als Sitz für ihre Zitter- und Ruckel-Nummer, drei, vier Tänzer staffeln sich zum synchron geflatterten Ellbogen-Hühnerflügel-Ballett, tanzen in Ringelreihen, ballen sich zu Körperpaketen und artistischen Pyramiden oder zerstreuen sich einzeln auf der Bühne zu einem Keith-Haring-Wimmelbild. Dabei wirken ihre Körper auch noch als Soundverstärker, Assoziation mit koitaler Ekstase inclusive, wenn sie sich rhythmisch klatschend zu Boden werfen. Orgiastischer Schluss im finalem Rave. "More than Naked" feiert den bloßen Körper als Riesengaudi mit Erkenntniswert, wenn auch zu lang.

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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