Tanztheater:Am Plot entlang

Lesezeit: 1 min

Karl Alfred Schreiner choreografiert "Chicago" fürs Gärtnerplatzballett

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Das Ballett des Münchner Gärtnerplatztheaters lutscht olle Kamellen. Edel gerahmt von der Rokoko-Schatulle des Cuvilliés-Theaters, swingt Karl Alfred Schreiners "Chicago 1930" durch eine schick inventarisierte Mafia-und Prohibitions-Szenerie in den düsteren Hinterhöfen und dämmrigen Bars, die Rifail Ajdarpasic nach dem Vorbild amerikanischer Gangsterfilme in Schwarzweiß hingebaut hat und mittels raumfüllenden Projektionen verwandelt.

Optisch wie auch musikalisch lässt "Chicago 1930" wirklich keine Wünsche offen. Andrea Kowalewitz hat Nummer für Nummer mit Kompositionen aus der Zeit neu arrangiert und mit dem Gärtnerplatz-Orchester pfiffig einstudiert. Von Paul Abraham über Heitor Villa-Lobos, Dmitri Schostakowitsch bis hin zu Duke Elington und Samuel Barbers Streicher-Adagio, schafft hier ein gelungenes Potpourri aus E und U eine klanglich dichte Atmosphäre. Es bereitet den Boden für cool sich aalende oder artistisch sich verschraubende Tänzerkörper, die Alfred Mayerhofer zu eleganten Hinguckern ausstaffiert hat. George Gershwins "Summertime" dient als immer wieder anders instrumentiertes Liebesmotiv für Luigi und Maria, die Protagonisten der langatmigen Milieu-Schmonzette. Man schießt, prügelt und mordet tunlichst wirklichkeitsnah. Und dann tanzt man wieder.

Luigi bringt auf Geheiß des Bosses einen Gemüsehändler um, von dem er nicht weiß, dass er Marias Vater ist. Ein bisschen nach der "Westside Story" gestrickt, hangelt sich hier der Plot, gegliedert in einen Prolog und zwei Teile, allzeit absehbar von Station zu Station. Dennoch wird man in diesen insgesamt recht zähen zwei Stunden zwischendurch auch mal belohnt. Als Wachmacher schlechthin wirkt der fetzige Lindy Hop, punktgenau getimtes paarweises Körpergewurle, schwungvollste Akrobatik als früher (schwarzer) Vorläufer des Rock'n'Roll.

Und dann Schreiners großer choreografischer Wurf: die Annäherung des jungen Paares, wenn Luigi und Maria, hinreißend getanzt von Giovanni Insaudo und Ariella Casu, hart an der Bettkante sitzen, sich, ohne einander zu berühren, anfangen zu entkleiden - ein Zeitlupen-Striptease als Ausdruck heißen Begehrens, noch in Zaum gehalten von zartester Scheu. So funktioniert das Erzählen, wenn es rein über den Tanz geschieht und der Tanz nicht zur platten Illustration einer dürftigen Handlung gereicht.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: