SZ-Serie: Slam Drüber (5):Wortwitz im Wirtshaus

Lesezeit: 1 min

Die Kiezmeisterschaft im Stragula gilt als Sprungbrett

Von Ramona Dinauer

Einen Untertitel für seine Kneipe zu erfinden, ist ja an sich schon untypisch. Wenn dieser auch noch "Realwirtschaft" lautet, ist man im Stragula. Eine reale Wirtschaft - ein Lokal, in dem noch Kartenspieler willkommen sind, die Bedienung auf Brauerei-Werbeblöcke schreibt und der Heilige St. Augustin auf die Gäste herunterblickt, während die ihr Helles leeren.

Wie an jedem dritten Samstag im Monat ist das Westend-Wirtshaus schon zwei Stunden vor Beginn des Poetry Slams gut gefüllt. Zwischen einem roten Fahrrad auf dem Schnapsregal und der braunen Wandtäfelung essen Menschen auf rustikalen Möbeln Kaiserschmarrn oder den Stragula-Burger. Seit mehr als zwölf Jahren findet hier die Kiezmeisterschaft statt und wird derzeit von Ko Bylanzky, Felix Bonke, Alex Burkhard und Fee organisiert. Burkhard grinst nur verlegen, wenn man ihn auf seine zehn Siege bei der Kiezmeisterschaft anspricht. Für die Poetry Slams der Stadt würde er sich mehr Unterstützung wünschen. Dadurch, dass München keine reine Studentenstadt sei, könne sie "weiter die Hochkulturschiene fahren und die Slam-Szene stiefmütterlich behandeln", findet er.

Da bei diesem Dichterwettstreit jeder auftreten darf, der sich am Abend in die offene Liste einträgt, wurde er schon zum Sprungbrett für Slam-Größen wie Bumillo und Yannik Sellmann. Mit diesem Alleinstellungsmerkmal in München zieht der Slam Poeten aller Art an. Von klassischer Lyrik über Stammtischhumor bis hin zu mehreren Empörungstexten über Fremdenfeindlichkeit - jeder der 18 Dichter bekommt seine fünf Minuten Bühnenpräsenz sowie eine respektvolle Wertung der Jurymitglieder aus dem Publikum. Bonke und Burkhard moderieren und ziehen die Namen aus dem obligatorischen Sektkühler, in dem auch die 50 Euro Preisgeld herumflattern.

Die drei Finalteilnehmer trennen Jahrzehnte und Welten. Die Werbetexterin Rebecca L. zeigt, wie man auch ohne abgedroschene AfD-Witze zur Weltoffenheit aufrufen kann. Dietmar Wielgosch, ein älterer Herr in Hemd und Pullover, reimt über lüsterne Priester und rosa Elefanten; das Publikum reagiert mit lautem, teils alkoholbeschwingtem Gelächter. Den Sieg holt an diesem Abend Meike Harms und feiert damit ihr Comeback nach einer Auszeit als Mutter. Die Poesiepädagogin und ehemalige Bayerische Slam-Meisterin stellte schon in der Vorrunde wortgewaltig klar, warum Freiheit verpflichtet. Unterschiedlichste Poeten, überraschende Texte und eine entspannte Atmosphäre: Die Kiezmeisterschaft ist das authentische Pendant zu den großen Slams der Stadt - ganz ungefiltert, ganz real.

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: