SZ-Serie: Pop, was nun? (Schluss):There is no Schiss like Show-Biss

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Es ist, wie es ist, und es ist fürchterlich: "Abgehen, Charten, Abverkaufen und Durchstarten" - oder: "Ablosen, Abkacken". Das konnte ich mir merken und machte fortan mit. Von Benjamin von Stuckrad-Barre

kultur!

Künstler, Journalisten und Unternehmer diskutierten im SZ-Feuilleton die Misere der Musikindustrie und entwarfen Zukunftsperspektiven. Nachdem Ex-Universal-Boss Tim Renner seine Sicht der Dinge darlegte, gehört das Wort dem Autor Benjamin von Stuckrad-Barre. Er arbeitete in den neunziger Jahren für Renners Plattenfirma. Ende Mai erscheint Stuckrad-Barres Buch "Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft (Remix 2)" im Verlag Kiepenheuer&Witsch. Mit diesem Beitrag endet die Reihe zur Krise der Plattenbranche, nicht aber die Krise selbst - eben wurde wieder ein Umsatzeinbruch von 20 Prozent für das Jahr 2003 gemeldet.

Tatsächlich stand auf meinen Visitenkarten "Productmanager Progressive", aber ich schämte mich nicht. (Foto: Foto: http://www.stuckrad-barre.de/bvsb/download/1bvsb1024x768.gif)

Ich war kein Star, aber rein wollte ich, ins Hamburger Café Keese, mit Doppel-e und Tischtelefonen. Ein nasskalter Spätherbstabend 1994, ich war gerade nach Hamburg gezogen, wollte Musikjournalist sein oder werden, und im Café Keese ging's ab, das sah man schon von draußen. Ich log mich am Türstehergästelistenklemmbrettstehpult vorbei ("Was, steh' nicht drauf? Hmhm, seltsam, seltsam. Ich hab doch mit der Plattenfirma gesprochen, gucken Sie nochmal unter wasweißich. Ich soll doch berichten!"), doch endlich drin, schien es mir, als ginge es wiederum draußen viel mehr ab, ist ja immer so.

Aber einmal reingekommen, nahm ich dann zum ersten Mal an einem Gelage der Musikbranche teil, in jener Zeit gab es sowas noch, knallende Korken, sinnlose give-aways, hysterisches Egalgehopse. Was man damals bei Musikkonzernen runterlud, waren Buffetangebot und Alkohol.

Udo Lindenberg feierte an diesem Abend sein 25-jähriges Bühnenjubiläum, aber der Anlass war, so lernte ich, bei solchen Zusammenkünften herzlich wurscht. Mp3s hielt man für Sportboote oder Schnellfeuerwaffen, es lief super.

Ich lernte Branchendeutsch: Bands hießen "Künstler", "Acts", "Signings" oder "Thema", Platten hießen "V.Ö.s", und der Rest bestand, laut aufgeschnapptem Slang, aus: abgehen, charten, abverkaufen und durchstarten - oder ablosen, abkacken, es (also Geld) nicht mehr bringen.

Das konnte ich mir merken und machte fortan mit. Ich dachte an Lindenbergs Lied vom Vampir, der ihm erklärt, sein Tag bestünde daraus, tagsüber im Sarg zu schlafen und sich nachts zu besaufen - "ja wenn das so ist, möchte ich auch Vampir sein", folgert Lindenberg aus der verlockenden Jobbeschreibung.

Ich wollte Platten geschenkt haben, eingeflogen werden, auf Gästelisten stehen, und zwar: PLUS EINS! So hieß es, wenn Plattenfirmen ein Auge zudrückten und den Musikschreibern Prahlmaterial und was zum Lockvögeln gewährten ("Äh, hey, na? Gehst du zufällig auch zum Soundsokonzert? Ausverkauft, ich weiß, aber ich hätte da eventuell noch ein Ticket!") und dergestalt die in der Berufssparte Musikschreiber naturgemäß erbärmlich nullnahe Beischlafquote beträchtlich steigerten.

Ich wohnte zur Untermiete bei einem Bahnbeamten und schrieb hier und dort kleine Blödsinnskästchen über Platten und Konzerte, kleiner ging es kaum, doch der Bahnbeamte musste beim frühmorgendlichen Butterbrotschmieren täglich mehreren Boten öffnen, die Vorabquatsch und Dankematsch vorbeibrachten.

Ich musste derweil noch schlafen, weil sich das abends immer ganz schön hinzog, das Gebranche: schon wieder war wer "Gold gegangen", ein weiteres Verlierergespann hatte debütiert oder irgendwer hatte sonst was - man kam ja gar nicht mehr hinterher.

Platten hörte ich mir kaum noch an, die meisten verkaufte ich direkt, keine Zeit, ich musste ja interviewen und pre- und reviewen und Meinung um Meinung rausballern. Geh mir weg mit Musik.

Eines Abends war wieder irgendein Lindenbergfest - ich glaube, dessen fünfzigster Geburtstag - und ich erklärte einer Frau, wie man irgendeinen Act redingsen müsste, damit der mal wieder in die Charts reentriet, kurzum: wie man das so fahren, einstielen und abchecken müsse.

Zwei Tage später war ich Productmanager in der von jener Dame geleiteten Abteilung "Motor Progressive" des heutigen Universal-Konzerns und verbrannte fortan fröhlich Etats. Tatsächlich stand auf meinen Visitenkarten "Productmanager Progressive", aber ich schämte mich nicht - schämen, das wurde nicht gelehrt während des meine Ausbildung zum Manager bedeutenden Marketing-Wochenendseminars.

Ein Stockwerk über meinem Büro boomte Trashdance, meine Produkte boomten etwas weniger intensiv, aber dafür waren sie super: Phillip Boa und Element of Crime waren mir seit Schülertagen große Helden, welch Ehre also, nun mit ihnen zu tun zu bekommen.

Es waren, wie gesagt (und wie dieser Tage so gern und häufig gejammert), andere Zeiten, der Konzern stank vor Geld, Fehlschüsse waren genehmigt, ein dahergelaufener Bubi wurde nachts am Tresen angeheuert und durfte sogar drauf bestehen, eine kleine Hörbuchreihe zu starten.

80000 Mark, glaube ich, waren es, die ich damals für eine wunderbare CD mit Texten und Liedern von Wiglaf Droste verballern durfte. Bundesweite Bauzaunplakatierung, das geht ins Geld, sag' ich Ihnen.

Platten verschenken wäre billiger gewesen, aber ich durfte noch zwei weitere CDs mit Max Goldt und mit Friedrich Küppersbusch veröffentlichen, wenngleich die Etats deutlich gekürzt wurden und mir in unangenehmen Schwitzkonferenzen nahe gelegt wurde, mich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren.

Mit Küppersbusch, versprach ich dem Controller, würden wir die Verkaufsparade ganz gewiss im Sturm nehmen, und ich wusste auch schon wie: Ich mietete eine Bande beim Letztligisten Hamborn 07, einem Fußballclub, über dessen Ungeschicke in Küppersbuschs damaliger ARD-Sendung "Privatfernsehen" wöchentlich berichtet wurde.

Einmal war die Bande sogar für zwei Sekunden halb im Bild, ich zeigte das mehrfach in Zeitlupe während einer Horrorsitzung mit ratlosen Vertriebsabgeordneten, die kopfschüttelnd Lachsschnitten an ihren Schnurrbärten vorbeischoben.

Abends kurz nach 17 Uhr versammelten sich alle um den Computer von Tim Renners Sekretärin, der die aktuellen Chartnotierungen auskotzte.

Um 17.15 Uhr waren alle sektbesoffen, ich begoss meine Miss- die anderen ihre Erfolge, und weiter ging das Gestümper. Abends war noch irgendeine Platinverleihung wegzuschlucken, weder Droste noch Goldt waren davon direkt betroffen.

Noch heute schulde ich einem Anwalt der Firma Universal eine Sinatra-CD-Box, weil wir gewettet hatten, und es mit den Charts dann doch nicht so ganz geklappt hat. Ich hoffe nicht, dass er inzwischen gefeuert ist, wie so viele andere dort, aber vielleicht hat er sich die Box inzwischen aus dem Netz runtergeladen. Geht doch bestimmt.

Ich wollte bald unbedingt raus da, und kurz bevor alles aufflog, kündigte ich schnell freiwillig ("Denn wenn die Beißer zu kurz sind, kommen Sie nie rein in unser'n Verein", belehrt der Vampir den Anwärter Lindenberg in oben genanntem Lied) schwupps war ich draußen, und endlich war es mir wieder möglich, Musik zu lieben.

Aber solch ein Job ist ja eine nie endende Mission, ist ja klar, und daher meine nimmermüde Forderung: Dieter Gorny, zeigen Sie doch bitte mal (EINMAL!) das wundervolle Element-of-Crime-Video "Die schönen Rosen", das ich damals verantwortet habe.

So als Free TV-Premiere! Da fliegt immerhin ein Hubschrauber durch Sven Regeners melancholischen Blick! Ich würde Sie im Gegenzug auch mit ein paar Dutzend ultrararen Restküppersbuschs bemustern.

Geht aufs Haus, solange das noch steht.

© SZ v. 08.04.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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