SZ-Serie: Aufmacher (XXII):Der Bote aus dem Westen

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Serie über Journalisten (XXII): Philipp Jakob Siebenpfeiffer

HERIBERT PRANTL

Der Hochverrat gegen 13 Angeklagte wurde im Wirtshaus zum Schwanen in Landau verhandelt. In Landau, so glaubte General-Staatsprocurator Schenkl, sei "die öffentliche Ruhe und Ordnung leichter und schneller als an irgendeinem anderen Orte des Rheinkreises" zu sichern, sowie "die ungestörte Aburtheilung der Sache". Landau war die einzige Festungsstadt in der Rheinpfalz, die 1815 an das Königreich Bayern gefallen war und die von der Münchner Regentschaft durch hohe Steuern und Zölle ausgebeutet wurde.

(Foto: SZ v. 05.05.2003)

In Landau lag eine bayerische Garnison, dort musste sich der Staat am wenigsten fürchten vor der außerparlamentarischen Opposition und einem wie Philipp Jakob Siebenpfeiffer. Dort wähnte man sich einigermaßen sicher vor dem verbotenen deutschen Preß- und Vaterlandsverein und seinen vielen Sympathisanten, sicher vor den neuen liberalen Ideen also, vor den Forderungen nach Pressefreiheit und nach einem freiheitlichen deutschen Einheitsstaat, vor den Aufrufen für Republik und Demokratie, vor den Attacken gegen die Fürstenherrschaft und Adelswirtschaft. Dort, in Landau, sollte nun ein Exempel statuiert werden, ein Exempel gegen das "Thier der Apokalypse", das sich, wie der Prinz Johann von Sachsen in einem Brief an den preußischen Kronprinzen schrieb, "sich bis jetzt nur von fern unserem lieben Teutschland", nämlich in der französischen Revolution, gerührt hatte.

Dieses "Thier der Apokalypse" war Gegenstand der Anklage; die Geschichtsschreibung nennt es "Hambacher Fest": Am 27. Mai 1832, einem Sonntag, waren fast 30000 Menschen hinaufgepilgert zur Ruine des Hambacher Schlosses, Abgesandte aus anderen süddeutschen Staaten, Delegationen aus Frankfurt, Mainz, Mannhein, Rheinpreußen und dem Elsaß - aufgerufen von den sechs oppositionellen Zeitungen der Rheinpfalz, Gesamtauflage 107000 Exemplare, geistig angeführt von den zwei revolutionären Journalisten Johann August Georg Wirth und Philipp Jakob Siebenpfeiffer.

Von Siebenpfeiffer stammte das "Gründungslied" zum Hambacher Fest, gesungen nach der Melodie von Schillers Reiterlied: "Hinauf, Patrioten! Zum Schloß, zum Schloß! Hoch flattern die deutschen Farben: Es keimet die Saat und die Hoffnung ist groß, schon binden im Geist wir die Garben: Er reifet die Aehre mit goldenem Rand, und die goldne Erndt` das - Vaterland." Vor solchen Liedern hatten die Fürsten Angst, weil von "festgeschlossenen Reihen" die Rede war und vom "Tyrannen Angesicht", vor dem "beugt länger der freie Deutsche sich nicht". Das Lied war voller Pathos, die Reden auch.Wirth forderte die Anklage der Monarchen wegen Hochverrats an der Menschheit, Siebenpfeiffer stritt für ein Gesamtdeutschland ohne Schlagbäume, und ohne lasche "Konstitutiönchen", die man dem Volk, wie in Bayern, nur als Spielzeug gegeben habe. "Es wird kommen der Tag..." kündigte er an. Siebenpfeiffer sah Deutschlands Aufgabe darin, im Herzen Europas verbindend zu wirken. Und er forderte die Gleichstellung der Frauen: Es wird kommen der Tag, an dem die deutsche Frau nicht mehr "dienstpflichtige Magd des herrschenden Mannes", sondern "freie Genossin des freien Bürgers" ist.

Dieser Tag kam dann allerdings erst sehr viel später, als 1958 auf Druck des Bundesverfassungsgerichts das Gleichberechtigungsgesetz erlassen wurde. Die Reform der deutschen politischen Zustände, hieß es bei Siebenpfeiffer, bilde die Voraussetzung für eine liberale Reorganisation ganz Europas - nichts konnte, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler schreibt, "in den Ohren Metternichs und aller anderen Restaurationspolitiker bedrohlicher klingen als diese Attacke auf das gesamte konservative System".

Zwar scheiterten Siebenpfeiffer und Wirth in Hambach mit ihrem Vorhaben, eine provisorische Regierung zu wählen, weil sich am zweiten Tag des Festes die mehr national und die mehr liberal orientierten Mitglieder der Bewegung nicht auf ein gemeinsames Aktionsprogramm einigen konnte; zwar beteuerte Siebenpfeiffer immer und immer wieder, dass man nicht, wie in Frankreich, mit Gewalt, sondern allein mit der Kraft der Idee und der Macht des Wortes zum Ziel kommen wolle und könne (er glaubte das auch). Als einziger hatte in Hambach der Stralsunder Cornelius, mit einem Prügel in der Hand, den Totschlag aller Fürsten gepredigt. Siebenpfeiffer war nicht so rabiat: "Vaterland, Volkshoheit, Völkerbund" - das waren seine Hochrufe am Ende seiner Eröffnungsrede. Die Fürsten und Majestäten rochen Feuer auf dem Dach: Bayerns König Ludwig I. verhängte den Belagerungszustand über die Pfalz, es begannen die "Demagogenverfolgungen" - um, fast ein halbes Jahrhundert später, ein revolutionäres 1789 nun auch in Deutschland zu verhindern.

1789: Das war das Geburtsjahr des Philipp Jakob Siebenpfeiffer, geboren zu Lahr, aufgewachsen in kleinbürgerlichen Verhältnissen, Kriegsfreiwilliger gegen Napoleon im Feldzug 1814, Schüler des liberalen Staatsrechtslehrers Karl von Rotteck. Er heiratete die Tochter seine Doktorvaters, wurde als tüchtiger Jurist mit 29 Jahren Landkommissär des Kreises Homburg. Er war ein zupackender, hitziger Verwaltungsbeamter, "einer der ausgezeichnetsten Administrativbeamten" nach der Beurteilung der Regierung, der aber bald seinem Unmut über die "Pfaffenherrschaft" in Bayern Luft machte, und der allmählich, nach anfänglicher Verehrung für den Bayernkönig Ludwig, dem er als Gründer des "Central-Musikvereins" der Pfalz noch Lieder und Elogen geschrieben hatte, zum überzeugten Republikaner wurde; vielleicht deshalb, weil er als allemannischer Hitzkopf mit dem bayerischen Regime aneinandergeriet, als er die Not der Tagelöhner, Handwerker und Bauern in seinem Kreis zu lindern versuchte.

1830 gründete er, als demokratisches Forum, die Zeitschrift Rheinbayern, 1831 die Tageszeitung Der Bote aus dem Westen, für die er eine Druckerei in Oggersheim errichtete. Die bayerische Regierung duldete diesen revolutionären Journalismus nicht und versuchte, Siebenpfeiffer zwangshalber als Zuchthausdirektor nach Kaisheim in Bayern zu versetzen. Siebenpfeiffer schrieb einen Brief an den König: "Wenn seine Zeitschrift die Wahrheit gesagt habe, sei er nicht straffällig, enthalte sie Irrtümer, so widerlege man sie." Auf den Ton ließ sich der König nicht ein, Siebenpfeiffer quittierte den Staatsdienst, wurde hauptberuflich bürgerlicher Revolutionär und Streiter gegen die Zensur: Wo eine Zensur ist, ist keine Verfassung, "wie prunkreich die Pressfreiheit in der Charte stehen mag. Die Zensur ist der Tod der Pressfreiheit, somit der Verfassung, welche mit dieser steht und fällt". Als die Regierung seine Druckerpresse versiegelte, verklagte er sie mit dem Argument: Das Versiegeln von Druckerpressen sei genauso verfassungswidrig wie das Versiegeln von Backöfen.

Es wäre ihm leicht gewesen, sich nach dem Hambacher Fest der Verhaftung zu entziehen: Er wurde drei Tage vorher gewarnt, Bürger bewachten seine Wohnung. Als die Soldaten kamen, mahnte er sie aber zur Ruhe, ließ sich im Triumphzug ins Gefängnis bringen - um seinen Kampf vor dem Geschworenengericht in Landau fortzuführen. Der von der Staatsregierung gemietete Wirtshaussaal fasste 700 Leute; an den 28 Verhandlungstagen drängten oft noch viel mehr herein. Etliche riefen "Vivat" bei den Verteidigungsreden und wurden sogleich verhaftet. Die Stimmung war explosiv - und sie wäre wohl explodiert, wäre nicht öffentlich verhandelt worden. Fürst von Wrede berichtete König Ludwig vom Geschehen und von der "beyspiellosen Frechheit, mit der die Angeklagten bisher ihre Vertheidigung geführt" hätten.

Geschworene klagten in der Gerichtssitzung darüber, Soldaten hätten ihnen gedroht, sie "zusammenzuhauen", sollten sie nicht auf "schuldig" erkennen. Die Geschworenen trauten sich trotzdem: Siebenpfeiffer und die anderen Hauptangeklagten wurden freigesprochen, ihre Vereidigungsreden zu Tausenden als Flugschriften verbreitet. Die Regierung fasste nach, ließ Siebenpfeiffer wegen Beamtenbeleidigung in einem sogenannten Zuchtpolizeiverfahren zu zwei Jahren Haft verurteilen. Der Mann, mittlerweile kränklich, floh mit Familie in die Schweiz, hatte keine Kraft mehr; die Mitkämpfer von einst waren enttäuscht vom Aussteiger. Der wurde außerordentlicher Professor in Bern, litt aber unter wirtschaftlichen Nöten. Über seine letzten Jahre ist wenig bekannt. Er starb am 14. Mai 1845 in der Privatirrenanstalt von Bümliz; man mag sich Siebenpfeiffer, den unbändigen Freiheitskämpfer, am Lebensende in der Zwangsjacke vorstellen. Das sei, schrieb sein Biograf Bernhard Becker, "ein Symbol für den weiteren Verlauf der Geschichte bis 1945".

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