Susan Sontag:Im Grand Canyon

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Die europäischste Seite der Vereinigten Staaten: Susan Sontag ist nicht gegen jeden Krieg. Sie legt Wert darauf, nicht als Pazifistin bezeichnet zu werden.

Krisitina Maidt-Zinke

(SZ vom 18.6. 2003) - Für den Frieden hat sie sich nie so engagiert, wie es in Deutschland als vorbildlich gilt: um der Sache selbst willen. Auch war ihr publizistisches Wirken niemals von friedensstiftender, versöhnender oder ausgleichender Art, im Gegenteil:

Es spaltet und polarisiert, entfacht Kontroversen, weckt und schürt Aggressionen. Unter den vielen Auszeichnungen, die der "dark lady of American letters", wie man sie wegen ihrer Vorliebe für existenzialistisches Schwarz gern nennt, im Laufe von Jahrzehnten zuteil geworden sind, wirkt ein "Friedenspreis" deshalb fast wie eine Provokation.

Und es dürfte kein Mangel herrschen an jenen, die sich provoziert fühlen durch diese Entscheidung, weil sie sich an Susan Sontags unbotmäßigen Kommentar zum 11. September erinnern und an ihre kompromisslos kritischen Einlassungen zur amerikanischen Außenpolitik, die doch durch den sauberen, siegreichen Irakfeldzug vorerst glänzend rehabilitiert scheint, von ein paar kleinen Rechtfertigungslügen abgesehen.

"Osama Bin Sontag" lautete im Herbst 2001 die schicke Schockzeile über einem Porträt der amerikanischen Essayistin und Literaturkritikerin, die sich mit ihren Einwürfen gegen den kriegslüsternen Raketenpatriotismus ihres Landes sogar Morddrohungen eingehandelt hatte. Die betreffende Zeitung gibt es nicht mehr, und Osama Bin Laden scheint vom Erdboden verschluckt.

"Heimliche Europäerin"

Susan Sontag aber hat unterdessen nicht nur ein neues Buch vorgelegt, einen Essay über die Wahrnehmung von Schreckensbildern und die Genese der Kriegsfotografie, sondern auch ihren siebzigsten Geburtstag gefeiert, der diverse europäische Würdigungen im Gefolge hatte:

den Prinz-von-Asturien-Preis, die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen, deren Verleihung samt Poetik-Dozentur in der kommenden Woche ansteht - und nun also den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, in dem sich, diese Vermutung sei hier gewagt, auch die Sehnsucht manifestiert, mit einem bestimmten Bild von Amerika wieder Frieden zu schließen.

Hatte Susan Sontag, laut FAZ die "letzte Verkörperung des westlichen Intellektuellen in der Tradition Sartres", nicht immer wieder verkündet, sie sei im Grunde eine "heimliche Europäerin"? Hatte sie sich nicht, seit sie mit vierzehn Jahren bei Thomas Mann zum Tee eingeladen war, bei jeder Gelegenheit zu europäischer Kultur und Literatur bekannt, und war es nicht diese Haltung, die ihre ästhetischen, soziologischen und politischen Äußerungen seit den frühen sechziger Jahren maßgeblich prägte?

Sie, die sich mit Texten wie "Against Interpretation" (deutsch: "Kunst und Antikunst") oder "Illness as Metaphor" ("Krankheit als Metapher") in den kulturellen Kanon des vorigen Jahrhunderts einschrieb, erschien vielen Intellektuellen auf dem kleinen, alten Erdteil als die Verschmelzung europäischer Wertbegriffe mit der Frische, Beweglichkeit und Unkonventionalität eines Denkens, wie es sich nur in der Neuen Welt herausbilden konnte.

Auch wenn sie bei ihren politischen Stellungnahmen gelegentlich zu Vereinfachungen neigte, wie etwa bei ihrem 1968 publizierten Reisebericht aus Vietnam, so war der ideologieferne, von sinnlicher Unmittelbarkeit und persönlicher Unerschrockenheit gefärbte Stil ihrer Analysen und Verlautbarungen geeignet, wenigstens eine Seite Amerikas auch für die europäische Linke liebenswert zu machen.

Sie hat dieses fragile Gesinnungsgleichgewicht freilich immer wieder zerstört, beispielsweise mit ihrer Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1982.

Engagement in Bosnien

Auch ihr Engagement in Bosnien, wo sie 1993 mit einer Inszenierung von Becketts "Warten auf Godot" in Sarajewo viel mediale Aufmerksamkeit auf sich zog, rief zwiespältige Reaktionen hervor, zumal sie in diesem Fall das Eingreifen der westlichen Staatengemeinschaft, sprich den Krieg, ausdrücklich befürwortete.

Wieder andere Gruppierungen brachte die Tochter aus bürgerlich-jüdischer Familie gegen sich auf, als sie im Mai 2001 bei der Entgegennahme des Jerusalem-Preises harsche Kritik am Staat Israel und seiner Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten äußerte.

Und das wird, aller Voraussicht nach, nicht die letzte Irritation gewesen sein, die von ihr ausgeht. Das Gerücht, sie sei arrogant und rechthaberisch, wird in der persönlichen Begegnung mit ihr entkräftet: Bei solchen Gelegenheiten kann sie sogar eine Art liebenswerter Simplizität an den Tag legen, die ihre intellektuelle Schärfe Lügen straft- und die sich in ihren historischen Romanen, welche eindeutig den schwächeren Anteil ihres OEuvres ausmachen, vielleicht ein wenig zu unbekümmert Bahn bricht.

Wer Susan Sontag, wie es üblich geworden ist, als Vermittlerin zwischen europäischer und amerikanischer Kultur apostrophiert, sollte dabei ihren Ausspruch im Hinterkopf haben:

"Die kulturelle Kluft zwischen Europa und Amerika ist so tief wie der Grand Canyon." Doch auch dieses Diktum ist, weil es ihrer ihrer hochflexiblen Denkstruktur entstammt, mit einem Körnchen Salz oder mit einem Schuss Ketchup zu genießen. Ernster gemeint, denkwürdiger sind Einsichten wie diese:

"Nach dem Sieg der Ideologie des Konsums leben wir jetzt in einem Zeitalter des kapitalistischen Triumphalismus, in dem das eigensüchtige Handeln in einem bisher ungeahnten Ausmaß den meisten Leuten völlig akzeptabel, selbstverständlich und vernünftig erscheint."

Der Ehrgeiz kennzeichnet sie als Amerikanerin

Das Amerikanischste an ihr, hat sie einmal gesagt, sei ihr Ehrgeiz, sich selbst ständig neu zu erfinden.

In der scheinbar unbegrenzten Möglichkeit zum Aufbrechen erstarrter Denk- und Lebensgewohnheiten lag seit Goethes Zeiten die Anziehungskraft des amerikanischen Kontinents für die europäische Geisteselite.

Im verwirrten zwanzigsten Jahrhundert bot ein Land, in dem jemand wie Susan Sontag die vom Magazin Time beglaubigte Rolle des "öffentlichen Gewissens" innehatte, immer noch Anlass zu politischen Hoffnungen, ja Utopien.

Jetzt, da Susan Sontag von manchen schon zur letzten Mohikanerin, zur "einsamen Stimme des Widerspruchs" im Propagandasumpf einer hegemoniesüchtigen Supermacht stilisiert wird, ist eine Auszeichnung, die ihrer Aufsässigkeit explizit Verdienste um den Frieden zuerkennt, auch eine politische Geste, und zwar keineswegs eine der Resignation.

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