Streit um Rückführung alter Kunstwerke:Nein!

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Gebt die Nofretete auf gar keinen Fall zurück!

JOHAN SCHLOEMANN

Im Sommer des Jahres 1814 fuhr der antikenbegeisterte bayerische Kronprinz Ludwig nach London. Er schaute sich die Skulpturen vom Parthenonfries an, die zuvor ein britischer Diplomat von der Athener Akropolis hergeschafft hatte und die damals im Burlington House aufbewahrt wurden, bevor sie 1816 ans British Museum verkauft wurden, wo sie heute zu sehen sind. Ludwig sprach dann in einem Brief von den Reliefs, "welche Lord Elgins Barbarei herunterbrechen ließ".

Wenn das schon der Kronprinz sagte, der gerade wertvolle Skulpturen von der Insel Ägina nach München geholt hatte - war es wirklich Barbarei? Ja, es war Barbarei. Unabhängig von der Frage, ob der Abtransport der berühmten Kunstwerke rechtlich in Ordnung war - Lord Elgin konnte sich auf einen Erlass der osmanischen Behörden berufen -, steht fest, dass sie ohne Rücksicht auf die Erhaltung der antiken Architektur herausgebrochen wurden - so dass der Tempel aussah wie ein verfaultes Gebiss.

Aber was folgt aus dieser Beschreibung der Tat? Jedenfalls kein Argument dafür, dass der Londoner Parthenonfries, wie immer wieder gefordert, an Griechenland zu übergeben ist. Denn wir sprechen hier über eine Zeit, in der es in Ländern wie Griechenland (damals noch kein eigener Staat) noch gar keine Gesetze gab, welche die Ausfuhr von Antiken untersagten. Für diese Zeit spielt es, was die Rückgabe-Frage angeht, erst einmal keine Rolle, ob die Mitnahme von Kunst auf barbarische oder auf etwas gepflegtere Weise vor sich ging. Sie bleibt ein Akt der Macht. Und dies gilt für alle Kunsterwerbungen früherer Jahrhunderte, mit denen geldzahlende oder kriegführende Herrscher und reiche reisende Aristokraten ihre Sammlungen füllten und so Kulturgut vom Ort seines Ursprungs oder seiner Auffindung entfernten.

Müssen all diese Akte der Macht rückgängig gemacht werden? Soll der Pariser Louvre, diese einzigartige Raubkammer, wieder in ein Museum für französische und die Kopenhagener Glyptothek wieder in ein Museum für dänische Kunst verwandelt werden? Die Vorstellung ist absurd. Und weil sie wissen, dass die Vorstellung absurd ist, haben sich die Apologeten der Rückgabe lieber auf die beschwichtigende Rede von ausgesuchten Symbolstücken verlegt. Diese Rede geht folgendermaßen - es spricht Lyndel V. Prott, der frühere Direktor der Abteilung Kulturelles Erbe bei der Unesco: "Das heißt doch nicht, dass die Museen leergeräumt würden, sondern dass es einige wenige Stücke gibt, die den Menschen in ihren Heimatländern besonders am Herzen liegen."

Mit dieser Beschwichtigung wollen die Freunde der Rückgabe untersagen, dass man ihre eigenen Forderungen zu Ende denkt. Denn bislang hat niemand erklären können, warum sich das national gefärbte autochthone Ursprungsdenken, das alte Kunstwerke wieder in Herkunftsländer zurückhaben will, nur auf einzelne schöne Stücke seiner Wahl erstrecken soll. Was, wenn den Menschen in Ägypten oder Griechenland anderes oder mehr "am Herzen liegt"? Warum soll denn ausgerechnet die Berliner Nofretete nach Kairo fahren? Warum sollen es nicht auch die drei vollständigen Grabkammern mit spektakulären Reliefdarstellungen aus der Pyramidenzeit, die Richard Lepsius als Geschenk des ägyptischen Vizekönigs Mohammed Ali 1845 in die Berliner Museen brachte? Und warum dann nicht überhaupt die ganze ägyptische Sammlung?

Besser wäre es, sich einzugestehen, dass die Welt- und damit auch die Museumsgeschichte nicht durch Symbolgaben ungeschehen gemacht werden kann. Die abendländischen Museen sind einem dynastischen, dann nationalen Repräsentationsanspruch entsprungen, der sich mit großer Begeisterung für die Kunst nicht zuletzt der Antike und mit einer Bildungsidee verband. Es ist unbestritten, dass die Etablierung dieser Häuser zu Ungerechtigkeiten geführt hat und zu Erwerbungen, die man damals als grandiose Erfolge feierte, die wir aber heute nur als kulturimperialistisch ansehen können. Niemand käme heute auf die Idee, das komplette römische Stadttor aus dem kleinasiatischen Milet oder den großen Altar von Pergamon nach Berlin zu verfrachten; und die entsprechenden Museen sind ebenso sehr Monumente des nationalistischen Wettlaufs der Nationen wie der antiken Kultur - selbst wenn bei den eigentlichen Ausgräbern das wissenschaftliche Interesse überwog.

Und heute, nach dem Erwachen nationalen Bewusstseins und staatlicher Eigenständigkeit der Herkunftsländer, gelten längst strenge Regeln für die Ausfuhr von Kunst, deren Durchsetzung man in jüngster Zeit zu Recht gegen den illegalen Kunsthandel und die von diesem profitierenden Museen mit wachsender Vehemenz betreibt. Aus diesen zwei Epochen der Kunsterwerbung - derjenigen mit und derjenigen ohne solche Regeln - ist aber nun gleichsam eine gigantische weltweite Fundteilung entstanden, deren Infragestellung nur für neuen Unfrieden sorgen kann. Stattdessen sollte man jedem Museum lassen, was es hat.

Das Ergebnis der Aufteilung ist nämlich ein ungeheuer schönes. Man kann schon tagelang durch die Museen von Kairo, Athen und Neapel gehen, so reichhaltig sind die großartigen Antikensammlungen dort. Und man kann ebenso durch die Häuser in Boston und Kassel, in Sankt Petersburg und Madrid streifen. Die Vorstellung, alle Statuen, Münzen, Säulen, Vasen und Mosaiken am Orte ihrer Herkunft zu versammeln, ist hingegen nichts als ein großer Albtraum. Aber auf den laufen alle Rückgabeforderungen letztlich hinaus. Wir sollten damit aufhören, die Ergebnisse früherer Macht zu hinterfragen, und sie lieber in friedlicher Vielfalt, im Sinne des kulturellen Austauschs betrachten - hier und da. Auch die Deutschen sollten sich beispielsweise endlich damit abfinden, dass sie den Weltkrieg verloren haben und ihre erfolglosen Rückgabeforderungen an Russland lassen - und sich stattdessen der Pflege, Anschauung und Vermittlung der überaus reichen Museumskunst widmen, die jetzt in ihrem Besitz ist.

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