Stephen Duffys Album "Keep Going":Hirn vom Himmel

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Mit Cash, Cohen, Dylan und Uli Hoeneß auf Augenhöhe. Aber gefühlte hundert Jahre älter: Der Songwriter Stephen Duffy hat ein lebensveränderndes Album herausgebracht. "Keep Going" heißt es - und ist wahrlich auch so gemeint.

ALEXANDER GORKOW

Dass die meisten Leute ihre Klappe halten mögen, ist ein frommer Wunsch, aber Gott, der große Programmplaner, richtet es so ein, dass die üblichen Nervensägen immer weiter schwingen, hingegen die bis dato sorgsam Worte wägenden Helden plötzlich verstummen oder sich nur noch knapp mitteilen, weil das ja auch reicht. Der große Programmplaner ist ein Ironiker, und dass die Ironie tot ist, ist nur die Ansicht von Armleuchtern.

Gemerkt? Hier ist das Lichtkind der insgesamt schwer verkorksten achtziger Jahre. (Foto: N/A)

Bob Dylan, der das klare Wort über die große Ungewissheit lange vor den Alten Griechen erfunden hat, gehört zu Gottes Helden, Leonard Cohen wie auch Johnny Cash, und wer die letzten Auftritte des verehrungswürdigen Uli Hoeneß erlebte, muss sagen, dass Hoeneß mit Leuten wie Cash, Cohen und Dylan in einer Heiligen Reihe steht. Die Art, wie der Manager des FC Bayern neulich im "Aktuellen Sportstudio" vor der Raffinesse von Johannes B. Kerner einen bitter lächelnden Mund machte, ließ den Vulkan erahnen, der sich Tage später prompt über einem ARD-Reporter ergoss, und zwar lecker kurz: als der Reporter ein halbes Jahr vor Saisonschluss die abgefeimte Frage stellte, ob die Meisterschaft für die Bayern nicht schon gelaufen sei, antwortete Hoeneß mit "Was sind Sie denn für ein Witzbold?" so angemessen, man hätte ihn knuddeln mögen. Das nur nebenbei, oder eben doch nicht nebenbei.

Alle Vorgenannten nämlich (einen haben wir weggelassen, Sie haben's gemerkt, über den Schock, sagt der Therapeut, sollen wir noch nicht reden) entwickelten Verbundenheitsgefühle, hörten sie die neue CD des Engländers Stephen Duffy, der - als Lichtkind der insgesamt schwer verkorksten achtziger Jahre - hier etwas vorlegt, das in seiner schlichten Klasse als epochal zu bezeichnen ist.

Der ehemalige Kraftwerk-Musiker Karl Bartos sagte neulich, wie erstaunlich es sei, dass große Musiker wie Dylan oder Lennon in ihren sehr jungen Jahren ihre weisesten Texte verfasst hätten. Bei Duffy liegt die Sache noch irrer. Der Mann ist in seinen Vierzigern, einem bekanntermaßen trostlosen Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Alter also, in dem die meisten großen Musiker die allerschlechteste Musik ihres Lebens machten, siehe auch hier: Cash, Cohen und sehr vor allem Dylan. Erst ab zirka sechzig leisten Männer entweder wieder ganz Großes - oder sie vertrotteln halt total, je nachdem.

Die CD "Keep Going", die Duffy jetzt mit seiner Slide- und Steelgitarrencombo "The Lilac Time" für Universal Records produziert hat, muss man sich hingegen als literarisches Nachrichtenkompendium mit jenen news vorstellen, die übrig bleiben, wenn eigentlich alles gesagt und getan ist.

Ob Duffy gefühlte 100 Jahre alt ist? Ob man so weise und glasklare Texte schreibt, ob man so arizonaschöne Melodien und Arrangements eben dann hinkriegt, wenn man in den Achtzigern zu lange in Londoner Bars mit Neon-Beleuchtung herumstand, zirka fünf Minuten nach der Gründung bei Duran Duran schnell wieder ausstieg und einen Beziehungsfehler nach dem anderen beging? Und sich dann irgendwann rechtzeitig zum Zweit- und Drittwohnsitz die amerikanische Weite zwischen West- und Ostküste machte und endgültig nur noch Fitzgerald und Auden las? Oder was?

Die Ratlosigkeit, die diese lila Funken versprühende CD auslöst, ist jedenfalls eine besonders schöne, sie ist nahezu erlaucht, man ahnt nun, wie auserwählt sich Menschen 1968 gefühlt haben mögen, als sie zum ersten Mal die "Songs of Leonard Cohen" auflegten und den Meister von den "Sisters of Mercy" singen hörten. Das Leben ist danach nicht mehr wie es vorher mal war. Duffy singt mit dunkel temperierter Stimme, der man eine tückische, weltgewisse Schönheit unterstellen könnte, man stellt ihn sich jedenfalls bärenhaft, cowboyesk vor - bis man ihn dann sieht, auf einem Foto, einen jünglingshaft anmutenden Mann mit groß schauenden Augen.

Den Briten in Duffy hört man selten, aber natürlich wenn er singt "If you are the answer / Then love is like cancer", über einen lustig schaukelnden Countrysong, da muss man erstmal drauf kommen.

Prinzipiell aber ist "Keep Going" keine zynische Platte, sondern eine im besten Sinne: bewegende. Man muss sich dazu eine perlende Akustikgitarre vorstellen, ein pochendes Schlagzeug, ein Mellotron auf Sparflamme, man muss sich nun Duffy vorstellen, der mit seiner Slidegitarre da drübergeht wie die Sonne morgens über den Pazifik, man muss sich vorstellen, dass nun alles zusammen lostuckert, dass Duffy womöglich auch einen Joint nach dem Frühstück (exakt einen, nicht mehr!) geraucht haben könnte, bevor er mit eng beschriebenen Zetteln und offenem Dach sehr langsam ins Studio gefahren kam, um einfach mal mit großen Pausen zwischen den Liedzeilen von Selbstverständlichkeiten zu berichten, an denen es nichts zu rütteln gibt, obwohl man es natürlich nie nie nie unversucht lässt:

The world is full

Of missing girls

Geraldines, Janes and Ophelias

Who go for a walk

And then don't come back

Say: "I'll be okay,

Just not today"

Das sind so die Sachen. Und wenn Dylan einst die klare Sprache für die große Ungewissheit erfunden haben sollte, dann ist Duffy mit großer Sicherheit jener Herzenssohn Dylans, der für diese immer wieder umwerfenden Selbsverständlichkeiten aus dem Grenz- und Gefahrenbereich des Lebens in diesen Zeiten die unprätentiösesten, illusionslosesten und aber zartesten Bilder malt.

Dass das Leben, wenn alles gesagt und getan ist, einfach weitergeht, man hatte es geahnt. Aber schon sehr, sehr lange hat man niemanden mehr so lupenrein davon singen hören wie Stephen Duffy.

My epitaph will be:

In dazzling obscurity

He played his songs for free

And a royalty

© SZ v.15.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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