Stalking:Der Verfolger

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Er schickt Drohbriefe, bombardiert sein Opfer mit Anrufen, lauert ihm auf und ist im schlimmsten Fall bereit zu töten: Der Stalker. Während in Großbritannien oder den USA den Verfolgern oft lebenslange Haft droht, kommen sie in Deutschland ohne Strafe davon.

Von Alex Rühle

Ein Londoner Gericht musste sich in der vergangenen Woche mit einem extrem unangenehmen Zeitgenossen beschäftigen. Richard Jan, 37, im zivilen Leben Biochemiker, hat in seiner Freizeit 200 Personen das Leben zur Hölle gemacht.

Die Tennisspielerin Serena Williams wird in Wimbledon von Sicherheitskräften eskortiert. Sie war von einem Stalker verfolgt worden. (Foto: Foto: AP)

Nachdem seine Eltern versucht hatten, Jan 1996 psychiatrisch behandeln zu lassen, weil er sie Tag und Nacht mit Drohbriefen und Anrufen attackiert hatte, beschloss Jan den "Dritten Weltkrieg gegen die Faschistenhorde". Jeder, der ihm in die Quere kam, gehörte seither zu dieser Horde. Und verdiente es deshalb auch, täglich gequält zu werden.

Über sieben Jahre lang belästigte er seine Umwelt mit Telefonanrufen und Drohbriefen, schlitzte Reifen auf oder zerstörte gleich das ganze Auto, ging mit einem Baseballschläger auf eine Sozialarbeiterin los und zündete sogar ein Haus an.

Auf der Pirsch

Stalking. Wörtlich heißt das "auf die Pirsch gehen". In der psychiatrischen Terminologie charakterisiert man damit ein Verhaltensmuster, bei dem ein Täter einen anderen Menschen ausspioniert, verfolgt, belästigt, bedroht, unter Umständen auch körperlich attackiert und sogar tötet.

Dass das Thema in den angelsächsischen Ländern breiter diskutiert wird als hierzulande, kann man schon an der Sprache sehen; es gibt im Englischen den Stalker, den Stalkee und den Straftatbestand des Stalkens: It is punishable to stalk someone. Hierzulande gibt es nur den anglizistischen Stalker, der immer noch straffrei ausgeht. Wie anders in England und Amerika über diese obsessive Form des Verfolgungs-Wahns diskutiert wird, sieht man aber auch, wenn man sich die Rezensionen zu einem Roman von Ian McEwan durchliest.

"Es lässt sich leicht sagen, wann alles begann. Wir saßen im Sonnenschein unter einer Zerr-Eiche, die uns notdürftig gegen den böigen Wind abschirmte. Ich kniete im Gras, einen Korkenzieher in der Hand, und Clarissa reichte mir die Flasche - einen 1987er Daumas Gassac. Dies war der Augenblick, der Nullpunkt auf der Zeitachse." Ian McEwan wurde zu seinem Roman "Liebeswahn" durch einen Krankenbericht inspiriert, der in der British Review of Psychiatry erschienen war.

McEwan schildert, wie eine glückliche, ja idyllische Beziehung daran zerbricht, dass der Mann plötzlich - der Nullpunkt auf der Zeitachse - von einem Stalker verfolgt wird. "Ein Fremder ist in unser Leben eingefallen", schreibt Clarissa in einem Brief über dessen zerstörerische Macht, "und die Folge davon war, daß Du für mich zu einem Fremden geworden bist." In den englischen Rezensionen wurde betont, wie beklemmend genau McEwan das pathologische Phänomen des Stalkings und seine Auswirkungen auf die Betroffenen beschrieben habe. In den deutschen Rezensionen sah man die Krankheit eher als phantastisch-metaphorische Nebensache.

Oooch, das gibt's doch gar nicht

Bringt man hierzulande das Gespräch auf Stalking, so heißt es meist, oooch, ist doch ein Modethema. Gibt's doch gar nicht wirklich. Ob sich durch die soeben erschienene Studie des Mannheimer Zentralinstituts für Seelische Gesundheit daran etwas ändern wird? Der Studie zufolge waren zwölf Prozent der 2000 Befragten in ihrem Leben schon einmal Opfer von Nachstellungen.

Jedes vierte Opfer wurde länger als ein Jahr drangsaliert, fast jedes dritte vom Täter persönlich angegriffen. Die Hälfte der Opfer muss medizinisch-psychologisch betreut werden, oft leiden sie noch Jahre später unter Angstattacken und Schlafstörungen.

Richard Jan wurde in London zu lebenslanger Haft verurteilt. "Die Bürger dieses Landes müssen vor Ihnen geschützt werden", sagte der Richter in seiner Urteilsverkündung. Die Bürger unseres Landes werden bislang allein gelassen mit ihren Stalkern.

Amerikanische Promi-Promo-Kiste?

Während in den USA, in England, Kanada, Australien und Belgien seit den neunziger Jahren Gesetze verabschiedet wurden, die Stalking als einen eigenständigen Straftatbestand bezeichnen, sind deutsche Opfer strafrechtlich ihren Verfolgern nahezu hilflos ausgesetzt. Der hessische Justizminister Christean Wagner hat nun eine Bundesratsinitiative angekündigt. Sollte sein Gesetzesvorschlag durchgehen, drohen Stalkern endlich auch in Deutschland Haftstrafen.

Die hessischen Grünen halten den Entwurf für überflüssig. Rätselhaft. Oder glauben die Grünen, dass das mit dem Stalking nur so eine amerikanische Promi-Promo-Kiste ist?

Hast Du keinen Stalker, bist Du kein echter Star, heißt es in den USA. John Lennon wurde erschossen, Ronald Reagan angeschossen, Steven Spielberg drohte ein Homosexueller eine Vergewaltigung an. Insofern hatten Patrick Lindner, Harald Schmidt und die ZDF-Moderatorin Anja Charlet Glück: Ihr Stalker belästigte oder belästigt sie nur permanent mit Briefen, E-Mails oder nächtlichen Besuchen.

"Ich werde Deine Frau im Tode sein"

Bei Lenny Kravitz stand während einer Party eine Frau in der Küche und unterhielt sich angeregt mit seiner Familie. Als der Sänger fragte, wer sie denn sei, sagte die Frau: "Ich werde Deine Frau im Tode sein." Angenehme Gäste versüßen den Abend. Der Polizei erklärte sie. Kravitz sei ihr Idol, sie sei mit ihm verlobt.

Idol. Kommt vom griechischen eidolon: Bild, Idee, Schattenbild, Truggestalt, Götze. Das Bild, das sich der Verehrer von seinem Idol macht, ist meist tatsächlich nicht mehr als Truggestalt oder Schattenbild und hat mit diesem selbst so gut wie gar nichts zu tun. So, wie auch Stalking nichts mit Liebe zu tun hat. Es handelt sich nicht um ein Verbrechen aus Leidenschaft, wie gern geschrieben wird. Es geht den Stalkern nicht um Liebe oder Begehren.

Im Gegenteil, es geht um Aufmerksamkeit, Kontrolle und Macht. Liebe setzt Empathie voraus. Den Stalkern aber "fehlt meist jedes Verständnis dafür, was sie ihren Opfern antun", so die Bremer Staatsanwältin Tanja Wydula.Der Darmstädter Psychologe Jens Hoffmann sieht das Stalking als Folge einer Bindungsstörung. "Die Täter berichten häufig von einem sehr kühlen Elternhaus, meist hatten sie keine Kompensation für die dort ausgebliebene Wärme". Der Stalker schießt sich in eine Umlaufbahn um seine schwarze Wut, und dann kann das Objekt seiner Begierde schauen, wie es weiterlebt. Oder überlebt.

"Eindeutige Straftatbestände"

Obwohl das Verhalten der Stalker laut Harald Dreßing, dem Leiter der Mannheimer Untersuchung, häufig "eindeutig Straftatbestände" erfüllte, geht nur jedes fünfte Opfer zur deutschen Polizei. Kein Wunder, denn dort wird den Verfolgten oft gesagt, sie sollten sich doch freuen, dass ihnen jemand Aufmerksamkeit schenkt. Oder es wird ihnen achselzuckend geraten, umzuziehen. Rätselhaftes Land, wo derjenige, der angegriffen wird, vor dem flüchten soll, der ihn angreift.

Das Gesetz tritt bislang erst in Kraft, wenn es zu einer Straftat gekommen ist. So kann der Gesetzgeber seine Bürger überspitzt formuliert erst dann schützen, wenn sie schon tot sind: Allein in Hessen werden laut Landeskriminalamt jedes Jahr 10 bis 15 Frauen von ihrem Verfolger getötet.

© SZ vom 14.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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