Städtebau versus Kommerz:Aus einem Schloss wird ein Kaufhaus

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In Braunschweig wird aus einem Schloss eine Shopping-Mall gemacht. Die Denkmalpflege ist unbeteiligt. Fluch oder Segen?

Gerhard Matzig

Wie Licht und Schatten einander bedingen: Zur Zeit lässt sich das nirgendwo besser studieren als in Braunschweig. Dort werden heute die "Schloss-Arkaden" eröffnet. Das ist ein 200 Millionen Euro teures Projekt, das aus der ehrgeizigen Fassadenrekonstruktion des Stadtschlosses besteht - und dazu aus einer damit plump verbundenen, teilweise ins Schloss hineingebauten Shopping-Mall.

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Seit zwei Jahren wird dieses ebenso spektakuläre wie umstrittene Hybrid-Gebäude als gemeinsames Projekt eines Center-Entwicklers (ECE) und eines Investors (Credit Suisse) im Namen der Stadt Braunschweig verwirklicht.

Die Stadt hatte das seit den sechziger Jahren zum städtischen Restgrün abgesunkene, aber prominent zur Altstadt hin gelegene Grundstück zur Verfügung gestellt. Hier stand einst das im Krieg zum Teil zerstörte Stadtschloss - erbaut von Carl Theodor Ottmer in den Jahren 1833 bis 1840.

Vor bald 50 Jahren wurde diese spätklassizistische Residenz der Herzöge von Braunschweig abgerissen. Braunschweig war somit ein West-Pendant zur Ostberliner Stadtschlossbarbarei, die sich zehn Jahre zuvor ereignet hatte. Es gab offenbar eine Ära, die sich aggressiv gegen jede Form von Ständesymbolik richtete. Heute ist es umgekehrt: Der großen Sehnsucht nach Schuluniformen und Benimmkursen kommt jede repräsentative Schlosskulisse recht, um sich darin einzurichten.

Keine Arkade, nirgends

Weshalb heute angesichts der 116 Meter breiten, angenehm proportionierten Front der Braunschweiger Residenz, angesichts des Portikus, der Eckrisalite und der Seitenflügel zu überprüfen ist, was herauskommt, wenn Kaufleute zu Schlossherren und Schaufenster zur Herrschaftsarchitektur geadelt werden. Wenn also ein Kaufhaus der Preis für die Wiedergewinnung von Schloss, Stadtmitte, Bürgerstolz und Raumkultur ist. Es bedeutet: Fluch und Segen zugleich.

Die Schlossreplik, in der - das soll nicht verschwiegen werden - auch eine "kulturelle Nutzung" untergebracht werden konnte (zum Beispiel: Stadtbibliothek, Schlossmuseum oder Standesamt, die etwa die Hälfte des neuen Schlosses besetzen), verdankt sich schlicht der Erfindung der rein kommerziell genutzten Schloss-Arkaden. Die Stadt selbst hätte die Finanzierung des Wiederaufbaus aus eigenen Mitteln kaum bewältigt. So hat man sich auf einen Handel eingelassen:

ECE und Credit Suisse bekommen das Grundstück, bauen die Schlossfassade wieder auf, kleben ein gigantisches Einkaufszentrum an die Schlossrückseite - und überlassen der Stadt als Mieterin Schlossräumlichkeiten zur kulturellen Nutzung. Die Denkmalpflege war daran leider unbeteiligt: was etwa dem früheren Ballsaal auf grotesk verknotete Weise anzusehen ist, der sich heute entgegen seiner früheren Raumpracht unter ein Archiv ducken muss.

Lang ersehnt

Aber dennoch bekommen die Braunschweiger an einem denkbar tristen Ort, am Bohlweg, eine schon lange ersehnte Schlossfront, die zudem urbanes Flair ausstrahlen wird. Nur: Dazu bekommen sie auch eine innerstädtische Mall. Also 30 000 Quadratmeter Verkaufsfläche für ungefähr 150 Läden.

Ob aber diese Läden beziehungsweise Kettenfilialisten wie H&M, Rewe oder Thalia vom angestammten Handel in der Innenstadt vermisst wurden? Das bestehende Handelsgefüge ist in Braunschweig - wie überall dort, wo Discounter von der grünen Wiese in die zunehmend bevorzugten und reanimierten Innenstädte ziehen - von Mietsteigerungen und einer enormen Flächenkonkurrenz bedroht.

Wobei es auch eher den Geschäftssinn als die Baukultur in Braunschweig illustriert, dass zum Beispiel weder im Schloss, noch in den sogenannten Schloss-Arkaden auch nur eine einzige Arkade zu sehen ist. Die Arkade ist ein auf Pfeilern oder Säulen ruhender Bogen. So einen Bogen sucht man vergebens in den Schloss-Arkaden. Was dagegen überall zu sehen ist, sozusagen als fassadenplastisches Erkennungszeichen der neuen Mall-Architektur (die von Alfred Grazioli und Wieka Muthesius entworfen wurde): Kolonnaden. Das sind Säulengänge, die nicht von der Bogenwölbung, sondern durch ein gerades Gebälk bestimmt werden. Das ist ein Unterschied.

Falsches Logo

Die Schloss-Arkaden sind also in Wahrheit Schloss-Kolonnaden. Nur verkauft sich offenbar der richtige Begriff auf dem Terrain der Immobilienmakler weniger gut als das falsche Logo, das sich irgendwelche Branding-Experten schon für jede zweite deutsche Stadt haben einfallen lassen. Frei nach Tucholsky: Nähme man den Immobilienseiten der Zeitungen die Arkade - um wie viel stiller wäre es in der Welt.

Dabei versöhnt das Schloss als wiedergewonnene Raumfigur auf eindrucksvolle Weise mit einer nur sporadisch durchgeplanten Stadtmitte. Es könnte sich sogar als Motor und Katalysator einer für Braunschweig enorm wichtigen Innenstadtreparatur erweisen. Aber das Schloss wird dennoch vom sehr viel wuchtiger wirkenden, zum Dialog unfähigen und ausgreifend platt um das Ottmer-Werk herumgebauten Einkaufszentrum gewürgt - fast wie von einem fettleibigen Sumo-Ringer.

Die dagegen beinahe zierlich anmutende Welfen-Residenz muss sich sogar fast gewaltsam penetrieren lassen vom Konsumtempel jener adipösen Kauflust, der Mark Ravenhill vor Jahren nicht zufällig ein entsprechend drastisch betiteltes Theaterstück gewidmet hat.

Das Kaufhaus schiebt sich rücksichtslos mit den üblichen Läden (wie C&A) und den sattsam bekannten Gastrofilialen (wie Starbucks) in den Baukörper des Schlosses hinein und markiert so einen "Schloss-Hof", den es in dieser glasüberdeckten Form nie gegeben hat. Dort stand früher eine Rotunde, die den offenen, dreiflügeligen U-Grundriss des Schlosses zum angrenzenden Schlosspark öffnete.

Jetzt wird dieser Park, unter Glas und zur Aussicht auf Schaufenster verdammt, nur noch von einem hübschen Holzboden parodiert, der genau dort verlegt wurde, wo einst Gras und Kies zum artifiziellen Grünraum arrangiert waren. Es ist ein denkwürdiger Akt, der da in der Mitte Braunschweigs vollzogen wird: Der verarmte Adel, die Schlossrekonstruktion, gibt sich dem reichen Emporkömmling, der Mall, zwar nur widerwillig hin - aber schließlich: Profitieren nicht alle von dieser Mesalliance?

Dem Schloss sei dank

Mit Blick auf den berüchtigten Bohlweg muss man feststellen: Die Stadtästhetik gewiss. Hier wirkt die Rekonstruktion des alten Stadtraumes heilend an einem Ort, dessen Trübsinn wie mit Händen zu greifen ist und aus billigen, anspruchslosen Nachkriegshäusern besteht. Braunschweig wurde im Krieg geschunden: In der Innenstadt stand nur noch jedes zehnte Haus. Hier musste folglich schnell und billig gebaut werden. Konsequenz:

Wer heute, aus dem Schloss kommend, den dröhnend vielbefahrenen Bohlweg überquert, der sieht sich der "World of Sex" oder "McDonald's" gegenüber - oder jenem Graffito, das besagt: "Auschwitz ist eine Lüge". Kein schöner Ort. Aber schon jetzt wurde im Zuge der Schlossrekonstruktion die Fahrbahn verengt. Bäume werden gepflanzt und Stühle mit Blick aufs Schloss ausgerichtet. Der Bohlweg war kein Weg, sondern eine vollgerümpelte Stadtschneise. Jetzt wird er wieder zur Adresse. Dem Schloss sei also auch Dank.

Auf der anderen Seite: die Arkaden. Sie sind schlicht missgestaltet und können es in keiner Weise aufnehmen mit der Plastizität und Proportion des Schlosses. Deshalb gerät der gnadenlose Umgriff so fürchterlich. Er besteht aus groben Betonfassaden oder aus übereifrig und geradezu flittchenhaft mit grünem Glas und goldenen Stoffbahnen ausstaffierten Fassaden, die nur dies kaschieren: Stauraum, WC-Räume oder Parkdecks.

Wer sich in Erinnerung ruft, welche Baukunst der Handel bis auf den heutigen Tag hervorgebracht hat - etwa die Passagen von Paris oder Mailand, die großen Kaufhäuser in London oder Berlin, bis hin zu Bauten von Nouvel oder Herzog & de Meuron -, muss verzweifeln.

Im Inneren dagegen bietet die Mall, dreigeschossig und voluminös, einen angenehm lichten Aufenthalt. Aber trotz der ehrgeizigen Vertikalverbindungen zu den Parkdecks lässt sich auch hier sagen: Wer eine Mall kennt, kennt sie alle. Zu kaufen: Turnschuhe, Jeans, Schmuck, ein Geldautomat, dazu "Subway"-Stullen . . . das Übliche.

"In einer Welt, da sich alles ums Einkaufen dreht . . . und Einkaufen alles ist . . . was bedeutet da Luxus? Wahrer Luxus ist, NICHT einzukaufen." Sagt Rem Koolhaas. Ab Donnerstag, sechs Uhr früh, ist die neue Luxus-Shopping-Arkaden-Residenz geöffnet. Im Angebot: ein sehr schönes Schloss.

© SZ vom 28.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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