Staat beschlagnahmt Nachdrucke:Zeitungszeugen unerwünscht

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Die Polizei beschlagnahmt in Bayern 2500 Exemplare des "Völkischen Beobachters" aus der Edition Zeitungszeugen. Die Chefredakteurin findet das "bizarr", der Verleger will klagen.

Die bayerische Polizei hat bislang 2500 Exemplare der umstrittenen Edition Zeitungszeugen im Pressehandel beschlagnahmt, wie ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums am Montag mitteilte. Die Zahl weise eine "steigende Tendenz" auf, beziehe sich allerdings nur auf Bayern. Bundesweite Zahlen lägen erst in einigen Wochen vor. Wissenschaftler kritisierten die Beschlagnahme.

Wird in Zeitungskiosken beschlagnahmt: der Nachdruck des "Völkischen Beobachters" in der Edition "Zeitungszeugen". (Foto: Foto: afp)

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft München hatte ein Ermittlungsrichter des Amtsgerichts München am Freitag angeordnet, den der Zeitung Zeitungszeugen beigelegten Völkischen Beobachter und das Nazi-Propagandaplakat "Der Reichstag in Flammen" zu beschlagnahmen. Dieser Beschluss gilt für ganz Deutschland. Gleichzeitig leitete die Münchener Staatsanwaltschaft gegen den Herausgeber der Zeitungszeugen, den britischen Verlag Albertas Ltd., ein Ermittlungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz ein.

Gegen die Beschlagnahmung will der britische Herausgeber rechtlich vorgehen. "Wir glauben, die Entscheidung des bayerischen Justizministeriums basiert auf einer inkorrekten Analyse des deutschen Rechts, und deshalb gehen wir dagegen vor", sagte der Inhaber des Londoner Verlags Albertas, Peter McGee, am Montag. McGee kenne das deutsche Rechtssystem nicht und habe Rechtsberater mit dem Fall betraut. Er könne nicht sagen, wie lange es dauert, bis er und seine Berater rechtliche Schritte einleiten.

Das Familienunternehmen hat McGees Angaben zufolge 150.000 Exemplare des Nazi-Blattes nachdrucken lassen. Der Verlag, der sich unter anderem auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs spezialisiert hat, habe im vergangenen Jahr ein ähnliches Projekt in Österreich veröffentlicht, sagte McGee weiter. "Wir haben die Jahre 1938 bis 1945 aufgearbeitet und von anerkannten Historikern analysieren lassen. Diese Schriften wurden vom österreichischen Bildungsministerium als Lehrmittel für den Unterricht übernommen. Ich kann die Reaktion aus Bayern nun überhaupt nicht verstehen." Neben der Kriegsgeschichte veröffentlicht Albertas Bücher über bedeutende Künstler und Komponisten sowie Computerwissen.

Die Chefredakteurin von Zeitungszeugen, Sandra Paweronschitz, nannte es "bizarr", dass gegen die historische Zeitungsedition jetzt sogar strafrechtlich vergegangen werde. Der Freistaat Bayern hatte zunächst mit einem Verstoß gegen das Urheberrecht argumentiert. Paweronschitz kündigte an, dass auch am kommenden Donnerstag wieder eine Ausgabe von Zeitungszeugen erscheinen werde, allerdings ohne Material, das die bayerische Justiz beanstanden könnte.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagte, sie unterstütze das Vorgehen der Strafverfolger: "Die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda wird hier billigend in Kauf genommen." Die nachgedruckten NS-Zeitungen, die den Zeitungszeugen lose beiliegen, seien aus dem Mantelteil der Zeitung leicht herausnehmbar, sagte Merk. Damit könnten sie aus dem Zusammenhang gerissen und von Neonazis missbraucht werden. Für eine geschichtliche, wissenschaftliche Auseinandersetzung sei eine solche Gestaltung nicht notwendig, sagte die Ministerin.

Merk kritisierte den Herausgeber von Zeitungszeugen. Wer sich trotz eines ausdrücklichen Verbots der bayerischen Staatsregierung zu einer derartigen Veröffentlichung entschließe, der zeige, dass ihm "die nötige Sensibilität im Umgang mit Geschichte und Recht" fehle. "Diese ganz bewusste Provokation macht es unvermeidlich, in ein so hohes Gut wie die Pressefreiheit eingreifen zu müssen", begründete die CSU-Politikerin das Vorgehen der bayerischen Justiz.

Der Zeithistoriker Hans-Ulrich Wehler hält die Furcht, der Nachdruck von NS-Zeitungen könnte heutigen Rechtsradikalen in die Hände spielen, für eine "enorme künstliche Aufregung". 70 Jahre nach den wesentlichen Ereignissen des "Dritten Reiches" müsse man die Veröffentlichung einer solchen historischen Quelle akzeptieren, "ohne gleich immer daran zu denken, wie das vielleicht der NPD nutzen könnte", sagte Wehler in einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur.

Der Nachdruck von NS-Zeitungen verlange allerdings nach einer journalistisch-wissenschaftlichen Einbettung. Dieser Kommentar müsse sachkundig sein und dürfe nicht zu knapp ausfallen, sagte der emeritierte Professor der Universität Bielefeld.

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