Skinhead-Festival in Belgien:Blut, knüppelhageldick

Lesezeit: 7 min

Allen Verboten zum Trotz blüht die rechtsradikale Musikszene. In Flandern feierten Skinheads ihr Idol Ian Stewart mit einem Festival. Besucher und Bands kamen aus allen Ecken Europas.

Jürgen Maier

"Fuck Jesus Christ", brüllt ein kahlköpfiger Brite ins Mikrofon und wird dafür mit "Sieg Heil"-Rufen gefeiert. Der Mann ist ein Veteran der Skinhead-Bewegung und Sänger der international bekannten Neonazi-Band Whitelaw. Es folgt ein Song, dessen Refrain jeder im Saal mitgrölen kann, selbst wenn er ihn an diesem Abend zum ersten Mal hört: "Adolf Hitler - Sieg Heil!" Und ein paar Deutsche im Publikum ergänzen das Lied nach dem letzte Akkord: "Adolf Hitler unser Führer, Adolf Hitler unser Held. Adolf Hitler war der größte Revolutionär der Welt."

Die Besucher des Rechtsrock-Festivals kommen nicht nur aus Deutschland. Bis zu 2000 Besucher aus Europa frönen der internationalen Hass-Kultur. (Foto: Foto: Reuters)

Rund zwei Drittel der 700 Rechtsrock-Fans sind zu diesem Konzert in der belgischen Provinz aus Deutschland angereist - die anderen aus Belgien, den Niederlanden, Frankreich, England, Italien, Ungarn und Polen. Sie huldigen an diesem Tag ihrem Idol Ian Stuart Donaldson. Der Sänger der britischen Naziband Skrewdriver gilt als Gründer des internationalen Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour" (B&H).

Im Herbst 1993 kam er bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Ihm zu Ehren hat die "B&H"-Sektion Vlaanderen am letzten Oktober-Samstag zum Memorial-Festival eingeladen, und zwar wie in der Szene üblich: konspirativ. Nur durch persönliche Kontakte und auf einschlägigen "Heimatseiten" im "Weltnetz" war von dem Konzert zu erfahren.

Blut und Ehre wie die HJ

Am Freitag beginnt der Countdown. Drei Kontakt-Handys gehen auf Empfang, die Organisatoren geben auf Deutsch, Englisch oder Niederländisch die Koordinaten des Vorab-Treffpunkts durch: eine Autobahn-Raststätte nahe Antwerpen. Dort machen am Samstag ab 13 Uhr zwei Schleuser eine Gesichtskontrolle, ehe sie die Wegbeschreibungen zum Konzertort herausrücken.

Die politisch motivierte Schnitzeljagd endet in der Kantine des Sportgeländes in Wolfsdonk - einem Dorf rund 45 Kilometer von Antwerpen entfernt. Skingirls haben ein Kassenhäuschen an einem der Sportplätze bezogen, um 25 Euro Eintritt zu kassieren - "Judengold" wie ein Konzertbesucher lästert. Aber weit gereiste Gruppen wie White Wash aus den USA, Hate For Breakfast aus Italien oder Fehér Törvény aus Ungarn haben ihren Preis.

Der B&H-Sicherheitsdienst kontrolliert mit Metalldetektoren, um versteckte Kameras zu finden. Ein Journalist hatte im März heimlich ein SS-Memorial-Konzert der Belgier gefilmt. Das sollte kein zweites Mal passieren. Statt Videotechnik finden die schwarz uniformierten Security-Leute Waffen: In einem Ausmaß, das die Organisatoren entsetzt, wie einer von ihnen anklingen lässt. Dass Messer nicht mit aufs Konzertgelände kommen, ändert aber nichts daran, dass es später zur Sache geht. Ausgerechnet polnische Neonazis, die in der Szene eher diskriminiert, als ernst genommen werden, lösen eine Massenschlägerei aus.

Was in dem nächtlichen Durcheinander geschieht, lässt sich zunächst nur erahnen. In einem Internet-Forum ist später zu lesen, was passiert sein soll, nachdem die Polen in ihren Kleinbus verfrachtet waren. "Dann setzte der Fahrer mit Vollgas in den Rückwärtsgang und platzierte seinen Bus in die umherstehenden Gästen. Bei dieser Aktion wurden einige Personen verletzt, wodurch sich das Gefährt und seine Insassen komplett den Volkszorn zuzogen. Dass man die Polen anschließend ,lynchen' wollte, ist mehr als verständlich."

Musik ist das ideale Mittel

In betont friedlicher Mission tritt nach diesem Gewalt-Exzess eine Allgäuer Band auf, die einen so gar nicht friedfertigen Namen trägt: Faustrecht. 1994 gegründet, gehört sie international zu den wichtigsten Bands der Szene. "Wir werden keine europäischen Bruderkriege mehr zulassen", brüllt Frontmann "Nogge" ins Mikrofon. Und damit es möglichst jeder versteht, formuliert er das auf Englisch, wie zuvor schon seine Begrüßung: "Hail Victory!" Übersetzt: Sieg Heil! "United for Europe" lautet der nächste Song: Vereint für Europa.

Der Einheits-Gedanke alleine reicht aber nicht aus, um Skinheads auf die Kameradschaft einzuschwören. Was zusammenschweißt, ist der Hass auf gemeinsame Feinde. Der Faustrecht-Sänger weiß das. Ein Lied richtet er gegen "all die Wichser in der Bewegung, die uns verlassen" - ein anderes "gegen die Menschen, die uns - die weiße Rasse - zerstören wollen". Dann hebt die Band zum musikalischen "Klassenkampf" an. Ein Titel, mit dem Faustrecht Traditions-Bewusstsein dokumentiert: Die Skinhead-Bewegung war Ende der 60er-Jahre in der Arbeiterschicht Großbritanniens entstanden.

Nach einer politischen Spaltung erweiterten Neonazi-Skins das Feindbild von Bonzen und Börsenspekulanten: "Sie brechen ihr Wort und verkaufen das Recht und sehen uns Arbeiter nur als Judenknecht", heißt es im Song von Faustrecht. Da tobt der Mob vor der Bühne. Die zum Hitlergruß gehobenen Arme werden weniger. Stattdessen recken die Skins ihre geballten Fäuste empor. Und "Nogge" hetzt weiter: gegen "zionistische Bastarde". Das Publikum reagiert mit "Juden raus"-Rufen.

Momente wie dieser belegen den Kundgebungs-Charakter der Neonazi-Konzerte ganz im Sinne des "B&H"-Gründers Ian Stuart. Er war der Meinung: "Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden." Dieses Ziel verfolgte er mit seiner Organisation. Erfolgreich: Heute gibt es in fast jedem europäischen Land Divisionen von B&H. Sie organisieren die größten unter mehreren hundert Neonazi-Konzerten, die pro Jahr in Europa über die Bühne gehen. Bis zu 2000 Besucher frönen der internationalen Hass-Kultur.

Wikingerköpfe und Runen

Dass der Musikstil teilweise vom politischen Gegner der Punks geklaut ist, stört keinen der Skins. Ihre Musik nennt sich Hatecore, der dem unpolitischen Hardcore vergleichbar ist, oder RAC: Rock Against Communism. Mehr als ein paar einfache Akkorde beherrschen die wenigsten Bands. Es entscheidet nicht das musikalische Können darüber, wer mitspielt, sondern die politische Gesinnung. Trotzdem schaffen sie es immer wieder, ohrwurmartige Rhythmen aus den Boxen zu jagen, die zum Toben einladen.

Skinheads nennen es Tanzen, was wie eine Schlägerei aussieht. Skins mit schweißnassen Oberkörpern prallen dabei aufeinander. Wikinger-Köpfe und Runen haben sie sich eintätowiert. Oder auch mal ein Hakenkreuz, das exakt so auf der Schulter sitzt, dass es im Alltag vom T-Shirt bedeckt ist. Hinzu kommen Losungen der Marke: "Blood and Honour". Blut und Ehre. Das war der Leitspruch der Hitler-Jugend, den Ian Stuart Donaldson als Name für sein Neonazi-Netzwerk nutzte.

Die deutsche Division hat das Bundesinnenministerium im Jahr 2000 verboten. Trotzdem hat sich die Zahl der Szene-Konzerte seither auf 150 bis 200 pro Jahr verdoppelt. Die NPD hat die Lücke geschlossen. Sie verkauft ihre Politik zunehmend als Party. Rund 7000 Leute kamen beispielsweise zum "Deutsche Stimme Pressefest 2006", dem Fest des NPD-Verlags.

Außer Rednern trugen Bands und Liedermacher auf zwei Bühnen zur politischen Unterhaltung bei. Das bemerkte auch das Bundesamt für Verfassungsschutz, der in seinem jüngsten Jahresbericht schreibt: "Insbesondere die NPD und die neonazistischen Kameradschaften nutzen mittlerweile verstärkt die Werbewirkung von Musik für die Rekrutierung und Mobilisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen."

Die NPD schließt die Lücke

Abgesehen vom "Reiz des Verbotenen" bietet der Rechtsrock vergleichbares Aggressions-Potenzial wie der Heavy Metal, mit dem Unterschied, dass beim Hörer noch stärker Emotionen geweckt werden. Die Texte der Metaller sind zwar ähnlich martialisch, aber beliebig.

Die Neonazis formulieren hingegen die Wut, die viele Jugendliche teilen, beispielsweise die Wut über berufliche Chancenlosigkeit, ungleiche Besitzverhältnisse oder die Kriege der US-Regierung. Auf so genannten "Schulhof-CDs" finden sich Titel, die inhaltlich genauso gut von Punk-Bands stammen könnten. Wer das gut findet, lässt sich leichter für einen Konzert-Besuch interessieren. Und dort wird die Liste der Schuldigen um Ausländer und Juden ergänzt.

Als Musik-Experten hat sich die NPD den ehemals "Freien Nationalisten" Thorsten Heise in den Bundesvorstand geholt: Der Chef der Rechtsrock-Firma "WB-Records" könnte aber bald ausfallen, weil er am 30. Oktober eine Hausdurchsuchung wegen verbotener Tonträger hatte, bei der die Polizei auch Waffen sicherstellen konnte...

Dass B&H in Deutschland verboten ist, hindert die NPD übrigens nicht daran, Kontakte zu dem Neonazi-Netzwerk zu pflegen. Partei-Chef Udo Voigt trat am 10. Februar beim "Tag der Ehre" in Budapest auf, den die ungarische Sektion mitorganisiert hat - beim abendlichen B&H-Konzert zeigten die bayerischen Landesvorstandsmitglieder Norman Bordin und Matthias Fischer den Hitlergruß. Zu ihrem "Fest der Völker" im September lud die NPD sogar einen britischen B&H-Vertreter als Redner ein.

Neonazis bemühen sich zunehmend, ihre Ideologie mit dem europäischen Gedanken in Einklang zu bringen. Sie sprechen vom "Europa der Völker" oder schlicht - wie der singende Skinhead "Nogge" - von "europäischer Kameradschaft". Bei "Faustrecht" klingt das allerdings nach einem nationalistischen Identitätsproblem. Einerseits wird nach wie vor "stolz und treu - fürs Allgäu" musiziert. Andererseits hat sich die Gruppe zur"europäische Skinhead-Band" ernannt.

In Deutschland strafbar, in Belgien nicht

Das Europa von B&H ist sogar größer als die Europäische Union. Auch die Schweiz gehört dazu, wie auf einem Großplakat mit Länder-Flaggen in der Sportler-Kantine zu Wolfsdonk sichtbar ist. Ein "Blood & Honor Deutschland"-Transparent hängt schräg gegenüber - ein Hinweis, dass die Truppe trotz Verbot weiterhin aktiv ist.

Ein ehemaliger Führungskader der deutschen Sektion Baden hat vor dem Gebäude seinen Verkaufsstand aufgebaut. Hartwin Kalmus aus Karlsruhe. Er betreibt die Rechtsrock-Firma "Ragnarök Records" und ist bei internationalen "B&H"-Konzerten Stammgast. Die Konkurrenz für ihn ist dieses Mal überdurchschnittlich groß. Knapp 15 Händler haben sich in einem Verkaufs-Zelt und auf dem Vorplatz eingerichtet - rund die Hälfte von ihnen sind Deutsche.

Grundsätzlich können sich Neonazis in Belgien mehr erlauben als in Deutschland, ehe sie bestraft werden. So haben B&H-Leute den Konzertsaal mit Wandbehängen geschmückt, die SS-Runen und das Hakenkreuz zeigen. In Deutschland sind das strafbare Propaganda-Delikte, in Belgien nicht. Das nutzen sie Skins beim Ian-Stuart-Memorial: Sie brüllen zu Hunderten "Sieg Heil" und heben die Arme zum Hitlergruß.

Der unterschiedlichen Gesetze wegen wissen Neonazis die offenen EU-Grenzen seit Jahren zu schätzen. Große Konzerte sind vorzugsweise dort, wo der Verfolgungsdruck gering und die Verkehrsanbindung vergleichsweise günstig ist, zum Beispiel in Italien und in Belgien. In ihren Liedern verhöhnen die deutschen Skins dort die Staatsmacht: "Blut muss fließen knüppelhageldick und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik." Bassist und Schlagzeuger der Band "Propaganda" aus Baden-Württemberg begleiten diese Publikums-Gesänge in Belgien. In Deutschland hätten sie dafür strafrechtliche Konsequenzen riskiert, wie ein entsprechendes Urteil gegen Musiker der Mannheimer Band "Bosheit" belegt.

Im braunen Sumpf

Um den grenzüberschreitenden Neonazi-Manövern die Grundlage zu entziehen, wollte die deutsche Bundesregierung eine einheitliche Rechtslage in der Europäischen Union durchsetzen. Vertreter anderer Regierungen wehrten sich. Die Pressestelle des Bundes-Justizministeriums verschweigt, welche.

Doch Symbole wie das Hakenkreuz bleiben in vielen Ländern straffrei. Den "Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" hat die Bundes-Justizministerin Brigitte Zypries im April trotzdem als Erfolg verkauft: "Die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt und Hass oder das Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord wird europaweit bestraft."

Die Neonazis lassen sich davon nicht beeindrucken - das Ian-Stuart-Memorial in Belgien ist ein Beispiel dafür. Das politische Räuber- und Gendarm-Spiel haben an diesem Abend die Neonazis gewonnen, vor allem, weil die Polizei nicht angetreten ist. Ob es der Siegesrausch war, der die Skins übermannt hat, sei dahingestellt. Sie waren jedenfalls am Ende zu besoffen, um die Schweigeminute für ihr Idol Ian Stuart Donaldson durchzuhalten. Einige haben es nicht einmal mehr aufs Klo geschafft. Wer die Toilette betrat, watete buchstäblich im braunen Sumpf.

© SZ vom 3./4.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: