Sichtweisen:Femme fatale und Hund

Lesezeit: 4 min

Aus Amerikas Sicht sind die Franzosen Weicheier, die Deutschen gelten als Machos.

VON NINA BERNSTEIN

Eigentlich hatten doch Deutschland und Frankreich dieselbe Haltung gegenüber Bushs Politik im Irak an den Tag gelegt. Beide hatten auch angeboten, irakische Sicherheitskräfte auszubilden, sind aber nicht bereit, eigene Soldaten zu entsenden. Beide sind der Ansicht, eine baldige irakische Souveränität und eine wichtigere Rolle der Vereinten Nationen werde den Frieden sichern helfen.

Doch anscheinend klingt das auf Französisch anders als auf Deutsch. In amerikanischen Ohren klingt es offenbar immer anders. Und im jetzigen Stadium der angespannten transatlantischen Beziehungen scheint es eine naheliegende Erklärung dafür zu geben: Für Amerika ist Frankreich eine Frau, Deutschland aber ist ein Kerl.

Die Franzosen selbst stellen La belle France als barbusige "Marianne" auf den Barrikaden dar. Sie exportieren Haute Couture, Kosmetik, gutes Essen - alles Dinge, die man traditionell mit den Freuden einer Dame verbindet, wenn nicht gar mit denen ihres Boudoirs. Deutschland hingegen ist das "Vaterland".

Die Pickelhaube ist in die schnittigen Insignien von Mercedes und BMW umfunktioniert worden. Und Deutschland exportiert große Maschinen und starkes Bier - Produkte, die man klar mit Männlichkeit verbindet. Und trotzt Schiller, Goethe und Franka Potente ist Deutsch Hollywoods Sprache des Krieges, die seit einem halben Filmjahrhundert im Rhythmus stampfender Schaftstiefel gebellt wird.

Solche Bilder sind einfach stärker als Tatsachen, die nicht dazu passen - wie die Jahrzehnte seit dem Zweiten Weltkrieg, in den sich die Deutschen als Pazifisten und die Franzosen als Militaristen profiliert haben.

Frankreich kämpfte in Vietnam, Algerien und anderen Ländern Afrikas, entsandte 36.000 Soldaten in alle Welt, während die Deutschen Friedenswachen hielten und die Berliner Love Parade erfanden - na und? Für die Amerikaner hat der Zweite Weltkrieg Deutschland für immer gegen den "Schlaffi-Effekt" immun gemacht, während die Franzosen daraus mit dem Ruf der ewigen Weichlinge hervorgingen.

Es stimmt zwar, dass beide Länder auf der "Achse der Feigheit" verortet und als "Altes Europa" abgetan wurden, als sie sich gegen den Krieg im Irak aussprachen.

Aber niemand kippte Schnaps in die Toilette, benannte das Sauerkraut um oder machten zur besten Sendezeit Witze über die fehlende Männlichkeit Deutschlands. Nur Frankreich ruft diese Art pubertärer Überreaktion hervor.

Teeren und Federn

"Es liegt daran, wie wir die beiden Länder wahrnehmen," sagt Irwin M. Wall, der sich als Historiker mit den französisch-amerikanischen Beziehungen beschäftigt.

"Aus amerikanischer Sicht wird Frankreich nie das Stereotyp loswerden, ein feminines Land zu sein." Daher sei auch völlig klar, wer der männliche Partner sei und wer der weibliche, wenn Außenminister Colin Powell erklärt, Amerika und Frankreich gingen "seit 225 Jahren zur Eheberatung".

In der amerikanischen Öffentlichkeit wird schon seit langem eine Strategie sexistischer Stereotypisierung verfolgt. Franklin Roosevelt lästerte einst, de Gaulle verstehe nicht mehr von Wirtschaft "als eine Frau von einem Vergaser".

Im Jahre 1953 verglich das Life-Magazin die Französische Regierung mit einem "großen Can-Can-Ballett" und Frankreich selbst mit einem Showgirl, das sich Millionen amerikanischer Wirtschaftshilfe ins Strumpfband stecke.

Frank Costigliola, Historiker an der Universität von Connecticut, führt viele ähnliche Beispiele an in seinem Buch "Frankreich und die Vereinigten Staaten: Die kalte Allianz seit dem Zweiten Weltkrieg".

Er vertritt die Ansicht, dass durch die Zuschreibung "femininer" Charakteristika französische Standpunkte schon immer abqualifiziert werden sollten: "Mit Frankreich als Frau verbindet man automatisch ein hysterisches oder sogar verrücktes Frankreich.

Robert O. Paxton, emeritierter Professor für Geschichte an der Columbia-Universität und Autor des Buches "Vichy France", stimmt zu: "Bush und seine Leute können vorhandene Stereotypen in unserer Gesellschaft nutzen, indem sie Frankreich als feminin charakterisieren."

Das Paradoxe daran sei, dass die Franzosen ein spiegelbildliches Stereotyp von Amerika pflegten: "Sie glauben, der amerikanische Mann sei völlig entmännlicht und die amerikanischen Frauen hätten die Hosen an."

Andere ziehen ähnliche Kategorien heran, um zu erklären, warum Frankreich, aber nicht Deutschland, bei den Amerikanern derartig allergische Reaktionen hervorruft.

"Ich bevorzuge den Vergleich verschiedener Länder mit Katzen und Hunden", so Walter Russell Mead, von dem das Buch "Besondere Vorsehung: Amerikanische Außenpolitik und wie sie die Welt verändert hat" stammt. Frankreich sei das Katzenland, Deutschland - wie Amerika und Großbritannien - ein Hundeland, das allerdings die Rolle des niederrangigen Hundes spiele, indem es "seine Kehle darbiete".

Die Filmkritikerin Molly Haskell betont bei Frankreich hingegen den gefährlichen Aspekt - man sehe dieses Land in der Rolle der femme fatale, "der Verführerin, die ganz Europa von uns weglockt . . . Frankreich ist die verschlagene, böse Frau, die die anderen, allesamt im Zweifel anständige Kerle, in die Irre führt."

Alles, was nicht in dieses Bild passt, wird vergessen - etwa Kanzler Schröders präventives Wahlversprechen, dass sich Deutschland auch unter UN-Mandat nicht an einem Krieg gegen Saddam beteiligen werde. Oder die Tatsache, dass Präsident Jaques Chirac bei einer Restaurant-Kette in den USA Bananen-Splits zubereitete, bevor er als Offizier in den Dienst der französischen Armee trat.

"Die Deutschen kommen ungeschoren davon, weil wir so darauf versessen sind, Frankreich zu teeren und zu federn", erläutert die Kulturhistorikerin Ann Douglas, die den Essay "Die Verweiblichung der amerikanischen Kultur" verfasst hat "Unser andauerndes Bedürfnis, Frankreich zu verunglimpfen - und dazu hat die Verweiblichung immer gedient - hat den einfachen Grund, dass Frankreich stets eine eigene Meinung vertreten hat."

Ein weibliches Frankreich, das als Bastion sinnlicher Freuden und elitärer kultureller Verfeinerung angesehen wird, sei ein maßgeschneiderter Feind für den Texaner im Weißen Haus. Da die Wirtschaft durchhänge und die Angst, schwach zu wirken, vorherrsche - kein seltener Grund aggressiver Männlichkeit -, habe Frankreich-Bashing an politischer Attraktivität hinzugewonnen.

Allerdings gab es auch unter Bill Clinton Animositäten zwischen Washington und Paris, wie sich Charles A. Kupchan erinnert; während der Clinton-Jahre war er Sicherheitsberater für Europafragen. "Wenn die Franzosen Berichte über Operationen im Kosovo schickten, wurden sie einfach in den Müll geworfen . . . Man war allgemein der Ansicht: ,Wenn es aus Frankreich kommt, dient es sicher dazu, die amerikanische Macht zu untergraben'. Dennoch fühlen sich die Amerikaner tief in ihrem Inneren enger mit Frankreich verbunden als mit Deutschland. Denn wenn Frankreich weiblich ist, gibt es natürlich eine Anziehung, eine Verlockung, eine Romanze."

Vielleicht liegt hier der Hase im Pfeffer: "Eine selbstbewusste Frau lacht über den gut gebauten, Gewichte stemmenden Mann, sie macht sich über ihn lustig." Das verfehle auch auf ihn seine Wirkung nicht, gibt Kupchan zu. "Da entsteht diese Mischung aus Ärger und Indigniertheit, dieses ,Wie kannst du es wagen?'"

(SZ vom 10.10.2003)

© Die Autorin arbeitet seit 1995 als Reporterin für die "New York Times". <p> Deutsch von Alexander Menden</p> - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: