Sexuelle Nötigung:Erschütterung einer Elite

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Über Jahrzehnte förderte die Schwedische Akademie einen Funktionär, der wegen seiner Übergriffe auf Frauen bekannt war. Autorinnen soll er sich mit dem Hinweis gefügig gemacht haben, er könne ihnen schaden - oder helfen.

Von Thomas Steinfeld

Die Schwedische Akademie ist unter erheblichen öffentlichen Druck geraten, nachdem am Dienstag dieser Woche publik wurde, dass ein ihr nahestehender Kulturfunktionär seine Bekanntschaft mit Mitgliedern der Akademie systematisch ausgenutzt hat, um sich sexuelle Dienstleistungen vor allem von jungen Autorinnen und Praktikantinnen zu verschaffen. An diesem Tag veröffentlichte die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter Berichte von achtzehn Frauen, die in den Jahren von 1996 bis heute von diesem Funktionär belästigt oder genötigt worden waren - oft mit dem Hinweis, er könne ihre Karriere befördern oder behindern. Den Namen und den Grund der Verbindung zur Akademie verschweigt die schwedische Presse zwar. Beides scheint aber in allen einschlägigen Kreisen bekannt zu sein, zumal mehrere Frauen den Mann schon im Jahr 1997 öffentlich derselben Vergehen beschuldigt hatten: "Sexterror in der Kulturelite", lautete die Schlagzeile der Boulevardpresse. Als sich damals eine dieser Frauen mit ihrer Beschwerde an den Sprachwissenschaftler Sture Allén wandte, zu jener Zeit Ständiger Sekretär der Akademie, verfolgte dieser die Angelegenheit jedoch nicht weiter. Die Übergriffe des Mannes gehörten offenbar zum Allgemeinwissen eines Kulturbetriebs, der - in Schweden mehr als in anderen westlichen Ländern - in Gestalt von Klans oder Familien organisiert ist.

Der Kulturfunktionär betrieb bis zum Bekanntwerden der jüngsten Vorwürfe einen Kulturverein, in dessen Kellerlokal in der Stockholmer Innenstadt regelmäßig Lesungen, Podiumsgespräche und künstlerische Darbietungen stattfanden. Mehreren Mitgliedern der Akademie soll dieses Lokal als "Wohnzimmer" gedient haben, die Akademie unterstützte den Verein finanziell - wie auch etwa die Kommune und der staatliche "Kulturrat". Ferner hatte der Mann Zugang zu Wohnungen der Akademie in Paris und in der Stockholmer Altstadt. Etliche Übergriffe fanden vermutlich dort statt. Auf Vorschlag des Schriftstellers Per Wästberg, eines prominenten Mitglieds der Akademie, erhielt der Funktionär im Jahr 2014 einen hohen königlichen Orden. Noch im vergangenen Jahr rühmte sich der Essayist und Kritiker Horace Engdahl, von 1999 bis 2009 Ständiger Sekretär der Akademie, öffentlich der Freundschaft dieses Mannes. Er eigne sich als Vorbild für einen literarischen Nachwuchs, der sich mehr am Typus des "Gentlemans" als an dem des "Hipsters" orientieren solle.

Die Literaturwissenschaftlerin Sara Danius, seit dem Jahr 2015 Ständige Sekretärin der Akademie, beauftragte noch am Dienstag ein Anwaltsbüro. Es soll prüfen, ob und in welchem Maße der Funktionär Einfluss auf die Arbeit der Akademie und insbesondere auf Preisentscheidungen genommen haben könnte. Ferner schlug sie der Akademie vor, die Förderung jenes Kulturvereins einzustellen. Die Akademie will über diesen Antrag auf ihrer nächsten Sitzung entscheiden. Unterdessen erklärte Alice Bah Kuhnke, die Kulturministerin, sie plädiere für eine Aberkennung des Ordens. Der Skandal wird in den schwedischen Medien als elementare "Krise" der Akademie betrachtet, einer Institution, der das Land einen großen Teil seines internationalen Renommees verdankt. "Wäre die Akademie eine gewöhnliche öffentliche Institution", schrieb Björn Wiman, der Feuilletonchef von Dagens Nyheter, in seinem Kommentar, "wären sämtliche Mitglieder zum Rücktritt gezwungen worden."

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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