Serie (1): Zukunft des Journalismus:"Wir werden täglich von Gelaber überflutet"

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Was wird aus der Presse? Wie entwickelt sich das Internet? In einer Interview-Serie geht sueddeutsche.de den publizistischen Trends nach. Den Auftakt macht Online-Pionier David Talbot von salon.com.

Interview: Leif Kramp und Stephan Weichert

David Talbot ist stellvertretender Vorstandschef von Fenton Communications, einem Public-Relations-Unternehmen mit Büros in Washington, San Francisco und New York, das sich auf Non-Profit-Organisationen (Greenpeace, Human Rights Watch, MoveOn) spezialisiert hat. Er ist auch Aufsichtsratschef des von ihm gegründeten Online-Magazins salon.com und wurde von der New York Times als "Pionier des Online-Journalismus" gefeiert. Zuvor arbeitete Talbot als Redakteur für das linksintellektuelle US-Magazin Mother Jones ; er schrieb unter anderem für Time, The New Yorker, Rolling Stone und Los Angeles Times. Talbot ist Autor des Bestsellers "Brothers: The Hidden History of the Kennedy Years" (2007). Derzeit baut er eine regionale Online-News-Firma für den Raum San Francisco auf, wo er mit seiner Familie lebt.

David Talbot fürchtet um Amerikas Presse und Demokratie. (Foto: Foto: salon.com)

sueddeutsche.de: Mr. Talbot, mit Milliarden von Dollar pokern Konzerne wie Google und Microsoft um die Online-Plattform Facebook. Haben solche Firmen die Macht, das Internet zu revolutionieren?

David Talbot: Soziales Netzwerken gehörte schon immer zum Reizvollsten, was das Internet zu bieten hat. Seit den Ursprüngen der Online-Revolution wollen die Leute mithilfe dieses Mediums interagieren und nicht bloß passiv Medienangebote konsumieren. Daher betrachte ich das Facebook-Drama als Fortsetzung dieser Geschichte. Ich glaube sogar, dass auch Nachrichtenseiten soziale Netzwerke integrieren müssen, wenn sie von dieser Revolution nicht ausgeschlossen sein wollen.

sueddeutsche.de: Wie wichtig ist angesichts von Web 2.0 der professionelle Journalismus?

Talbot: Wir brauchen ihn mehr denn je! Im Web 2.0 werden wir ja täglich von Blogs und Gelaber überflutet - was wir deshalb brauchen, sind sauber recherchierte, glaubwürdige Informationen. Und dafür brauchen wir redaktionelle Filter. Blogger haben die Medienwelt mit neuer demokratischer Energie bereichert, aber Blogs schreien nach professioneller redaktioneller Aufbereitung.

sueddeutsche.de: Ist den Profis im Vergleich zur Armee der Blogger nicht mitunter die Leidenschaft abhanden gekommen?

Talbot: Ja, ich glaube, dass fest angestellte Redakteure und Autoren großer Blätter unter einer Krise ihrer journalistischen Seele leiden, weil die Verlage ihrerseits unter Kürzungen, Skandalen und Übernahmen durch Großunternehmen leiden. Sie sollten der Bewegung zur Wiederbelebung des Qualitätsjournalismus beitreten, um ihren Kampfesgeist aufzufrischen.

sueddeutsche.de: Sehen Sie in solchen Übernahmen und Fusionen eine akute Gefahr für den Qualitätsjournalismus?

Talbot: Finanzspekulanten und Medienmogule könnten schon bald den letzten Nagel in den Sarg des amerikanischen Journalismus treiben. Die US-Presse wird zwischen den technologischen Herausforderungen des Internets und den Profiterwartungen großer Medienkonzerne förmlich zerquetscht. Gerade Rupert Murdochs Mediengeschäfte sind stark gesteuert von persönlichen Motiven, namentlich vor allem seiner konservativen politischen Agenda. Wenn wir nicht bald alternative Besitzstrukturen für die Presselandschaft in diesem Land finden, etwa Kombimodelle mit öffentlich-privaten Anteilsverhältnissen oder Mitarbeiterbeteiligungen, wird die Presse weiter den Bach runtergehen - und Amerikas Demokratie mit sich reißen.

sueddeutsche.de: Heißt das, Sie befürworten Alimentierungen durch Stiftungen oder den Staat?

Talbot: Heutzutage spricht aus Sicht von Nachrichtenanbietern einiges für öffentliche Beihilfen oder Business-Modelle auf einer Nonprofit-Basis, weil der seriöse Journalismus ganz eindeutig nicht mehr auf dem Markt bestehen kann. Aber staatliche Subventionen und sogar die Stiftungsmodelle bringen immer auch eigene Probleme mit sich. Öffentlich-rechtliche Medien in den USA - wie das Public Broadcasting System PBS - neigen dazu, befangen und überängstlich vor Kontroversen zu sein. Allgemein gesagt, befürworte ich also die Risiken und Belohnungen des Marktes, aber möglicherweise ist das beste System eines, das etwas von beidem integriert - beispielsweise ein privates Unternehmen, das Zuschüsse oder Spenden für investigativen Journalismus erbittet, der für den Werbemarkt normalerweise unattraktiv ist.

sueddeutsche.de: Wie viel Zeit geben Sie der gedruckten Zeitung noch?

Talbot: Die Zeit drängt, keine Frage. Schon jetzt beobachten wir in den USA massive Entlassungswellen. Zeitungen werden kaputtgespart. Das schadet der Qualität und führt zu weiteren Auflagenverlusten. Für die amerikanische Presse ist das eine Todesspirale: Die einzigen Zeitungen, die überleben, werden diejenigen sein, die weiterhin in ihr redaktionelles Produkt investieren und den Übergang in die digitale Ära meistern. Trotz ihre eigenen finanziellen Probleme gibt es bei der New York Times Anzeichen dafür, dass sie das schaffen könnte. Die Times ist für mich ohnehin die einzige unentbehrliche Zeitung Amerikas, und solange sie durch ihre einzigartige Verlagsstruktur in Familienbesitz geschützt ist, bin ich zuversichtlich, dass sie eine starke Marke bleiben wird.

sueddeutsche.de: Hand aufs Herz: Was ist in der Diskussion um die Zukunft der Zeitung lediglich Schwarzmalerei?

Talbot: Der allgegenwärtige Pessimismus ist in der Regel gut begründet. Der Marxist Antonio Gramsci hat einmal gesagt: Was wir brauchen, ist ein Pessimismus des Intellekts und ein Optimismus des Geistes, wenn wir versuchen wollen, unseren Beruf zu retten.

sueddeutsche.de: Bleiben Online-Portale wie salon.com von den gravierenden Umwälzungen im Journalismus verschont?

Talbot: Als einer der Pioniere des Web 1.0 steht salon.com ähnlichen Herausforderungen gegenüber wie alle anderen auch - besonders wenn versucht wird, Blogs und soziale Netzwerke in das traditionelle Redaktions- und Geschäftsmodell zu integrieren. Aber salon.com hat sich eine Art von Unternehmergeist bewahrt, der nötig ist, um die Medienzukunft mitzugestalten.

Die Serie "Götterdämmerung" entsteht in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin.

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