Second Life - und wie es langweilt:Es gibt kein richtiges Leben im zweiten

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Auf die Begeisterung für die Internetplattform "Second Life" folgen nun Ernüchterung, Häme und Verwunderung: Warum hat man das mal toll finden können?

Andrian Kreye

Am vergangenen Sonntag gab die deutsche Band Juli ein Konzert in der digitalen Welt des Internetspiels Second Life. Damit stellen sie sich in eine immer längere Reihe prominenter Stars, Politiker und Firmen, die versuchen, über das Internetspiel Kontakt zu jener ominösen Zielgruppe der medienüberdrüssigen Jugend zu bekommen. U2, Duran Duran, die französischen Präsidentschaftskandidaten Le Pen und Sarkozy haben digitale Alter Egos kreiert, der Louvre, die Nachrichtenagentur Reuters, die schwedische Botschaft und die Deutsche Post Filialen in Second Life eröffnet.

(Foto: N/A)

Wen das nun an die rührenden Versuche der Kirchen erinnert, in den siebziger Jahren die Abwanderung der jungen Gläubigen mit so genannten Beatmessen aufzuhalten, oder an die Bemühungen regionaler Sparkassen, sich mit Discoparties die Herzen junger Sparer zu erobern, der ist auf der richtigen Spur. Der Versuch, die Netzavantgarde ins zweite Leben zu locken, ging längst nach hinten los, hämisch fallen ausgerechnet jene über die Second-Life-Experimente her, an die sich die Bemühungen eigentlich richten sollen - die jungen Blogger und Internauten, die Second Life als veraltetes Chatprogramm verhöhnen.

Nun sollen Zweifler an der bunten neuen Onlinewelt zunächst einmal mit Zahlen zum Schweigen gebracht werden. Über 5 797 062 Benutzer seien inzwischen schon Mitglied bei Second Life, heißt es auf deren Startseite. Darunter die Zahl, die diese bald schon sechs Millionen Mitglieder in die richtige Relation bringt - in letzter Zeit im Second Life gewesen sind 1 769 831 Mitglieder. Immerhin eine Karteileichenquote von rund 60 Prozent. Wenn man aber bedenkt, dass die Betreiber von Second Life jedes Mitglied, das in den vergangenen sechzig Tagen einmal im Netz war, zu diesen Aktiven zählt, dann werden die Zahlen schon schwammig. Wie viele Mitglieder im Rahmen des weltweiten Hypes nur mal kurz ins Spiel schauten, lässt sich so kaum ermitteln. Clay Shirky, der für den Technoklatschblog des Silicon Valley Valleywag schreibt, höhnte jedenfalls schon im Dezember, die Erfolgsmeldungen von Second Life seien so zuverlässig, als zähle eine Eisdiele jeden Passanten, der einen Probelöffel von der neuen Eiskremsorte probiert und dann seines Weges zieht, zum festen Kundenstamm.

Nun ist Second Life sicherlich ein interessantes Phänomen, auch wenn es sich bei den aktiven Begeisterten nur um Zehntausende und nicht gleich um Millionen handelt. Die Frage ist nur, warum ein recht simples Onlinespiel mit veraltetem Grafikdesign als Erfolgsmodell einer neuen Medienwelt gefeiert wird, ja warum ihm gar Kräfte zugesprochen werden, die unsere Gesellschaft verändern könnten. Befragt man nämlich Medienexperten, die Bewegungen im Internet verfolgen, dann wird der Hype um Second Life schon bald ausbrennen. Dieser beruhe nicht so sehr auf tatsächlichen Neuerungen, sondern auf der Unfähigkeit der meisten Journalisten, überschätzte Internetmoden von Phänomenen mit Durchhaltevermögen zu unterscheiden. Was Second Life so attraktiv für traditionelle Medienbeobachter macht, ist die anachronistische Erzählform, die hier gepflegt wird. Das aber verurteilt das Spiel schon jetzt zum Scheitern - es ist schon im Ansatz veraltet.

Traditionelle Erzählformen verlaufen linear von A nach B. So verläuft auch seit Urzeiten das menschliche Denken, so sind Sprachen aufgebaut und seit den ersten Erzählungen am Lagerfeuer über die Dramen der Antike bis zum Hollywoodfilm jedwede Form der Literatur und Unterhaltung. Auch der Computer funktioniert ursprünglich nach diesem Vorbild menschlicher Denkungsweisen. Da fand der elektrische Impuls vom Tastaturbefehl bis zur auf dem Bildschirm abgebildeten Reaktion seinen linearen Weg durch die Schaltkreise des Prozessors.

Das aber hat sich längst verändert, seit vor rund zwanzig Jahren die ersten Superrechner sich nicht mehr am linearen Verlauf orientierten. Ende der achtziger Jahre entwickelte die Firma Thinking Machines in Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology Hochleistungsrechner, die 64 Prozessoren parallel schalteten, was zu Synergien führte, die kein menschliches Gehirn mehr erfassen und kein Programmierer mehr ausreizen konnte. Diese Supercomputer waren Vorboten einer Welle von Innovationen, die längst von Veränderungen im menschlichen Denken zeugen. So bahnt sich über die veränderten Denkstrukturen schon ein regelrechter Generationskonflikt an, weil die Fähigkeit des Paralleldenkens einer jungen, mit dem Computer aufgewachsenen Generation die Vorstellungskraft all jener übersteigt, die sich den Umgang mit dem Computer noch mühsam als Erwachsene aneignen mussten.

Besucht man beispielsweise das Entwicklungslabor einer Computerspielfirma, dann wird man schon bald merken, dass die Gestaltung eines solchen Spieles ein Paralleldenken erfordert, das nur schwer nachvollziehbar ist und an höhere Mathematik erinnert. Weil solche parallelen Denkvorgänge sich aber in zeitlich knapp bemessenen Umfängen abspielen, fällt es leicht, dem neuen Denken die Fähigkeit zu Konzentration und linearem Überlegen abzusprechen.

Irgendwann einmal wird sich diese Kluft zwischen den Generationen auflösen. Das lineare wird nicht vom parallelen Denken abgelöst werden. Digitale Innovationen werden allerdings beides erfordern.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.94, Dienstag, den 24. April 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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