Schwerpunkt:Voll im Takt

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Von Jazz über Punk bis hin zu Whitney Houston: Filme über und mit Musik gibt es in dieser Festivalausgabe viele, Musicals auch.

Von Oliver Hochkeppel

Mit Musik geht bekanntlich alles besser. Speziell das Kino kann man sich nicht ohne Musik vorstellen. Wären doch viele Thriller ohne ihre Soundtracks nur halb so spannend, und mancher Schmachtfetzen wie die Love Story nicht annähernd so tränentreibend. Von den Film-Musicals ganz abgesehen, wo beide Genres miteinander verschmelzen. Außerdem wird Musik oder das Musikbusiness oft zum Thema von Filmen. So oft, dass man auch die aktuelle Ausgabe des Filmfests München ausschließlich mit musikaffinen Leinwandepen verbringen könnte.

Was schon mit dem Eröffnungsfilm Mackie Messer anfängt, sind doch in Joachim A. Langs Vexierspiel um eine Dreigroschenoper-Verfilmung nicht nur viele der berühmten Brecht/Weill-Songs zu hören, es ist überdies eine Reflexion über eines der wichtigsten Kapitel der deutschen Musikgeschichte. Auch Jesse Peretz' Nick-Hornby-Verfilmung Juliet, Naked, ein anderer großer Film des Festivals, der anschließend ins Kino kommt, darf man dem Genre Musikfilm zurechnen - spielt doch Pop in allen Romanen des Briten eine tragende Rolle, auch in dieser Liebesgeschichte eines abgetauchten Rockers. So wie in The Song of Sway Lake von Ari Gold die Jagd auf eine sagenumwobene alte Jazz-Platte die Geschichte ins Rollen bringt. Ein entscheidender Sidekick ist die Musik auch im indischen Filmdrama The Song of Scorpions: Glauben hier doch die Dorfbewohner, dass die tödliche Wirkung des Skorpiongifts nur durch Gesang aufzuhalten ist - ein perfektes Vehikel für die beiden Bollywood-Stars Golshifteh Farahani und Irrfan Khan. Den vielleicht überraschendsten und witzigsten musikalischen Dreh liefert Sheikh Jackson: Der ägyptische Regisseur Amr Salama lässt hier einen konservativen Imam in eine Lebens- und Glaubenskrise rutschen - durch den plötzlichen Tod Michael Jacksons, der sein Jugendidol war. Nun erscheint ihm der "King of Pop" während des Gebets in der Moschee.

In "Sheikh Jackson" erscheint der "King of Pop" während des Gebets in der Moschee

Direkt ins Musical-Fach gehört die Mafia-Komödie Ammore e Malavita der Regie führenden Gebrüder Manetti aus Rom. Ein Zwischending wiederum ist My Name is Myeisha: In Gus Kriegers Micro-Budget-Produktion unternimmt die 19 Jahre alte Titelheldin mit Freundinnen eine fatale Spritztour ins nächtliche Los Angeles, die nach einer Autopanne mit ihrer Erschießung durch vier Polizisten endet. Der Autor Rickerby Hinds machte vor fünf Jahren aus dieser wahren Begebenheit ein Theaterstück über Polizeigewalt und Rassismus, das Gus Krieger fast als eine Art Hip-Hop-Drama verfilmt hat. Ebenfalls ohne großes Budget und sogar parallel als Theaterstück und Film entstand Inferninho. Die Musica Popular Brasiliera gibt in der Tragikomödie der beiden Autorenfilmer Guto Parente und Pedro Diogenes den Hintergrund ab. Ist der Ort des Geschehens doch die titelgebende Bar, in dem sich ein buntes Völkchen zusammengefunden hat: Schwule und Heteros, Träumer und Gauner, Superhelden und Angsthasen, die eine sanfte Rebellion anzetteln, als ihr Biotop von Gangstern bedroht wird.

Musik als "life changing moment", darum geht es in Nixen von der deutschen Regisseurin Katinka Narjes. Zwei Schwestern sind singend groß geworden, haben sich dann aber der üblichen Sachen wegen auseinandergelebt: Partner, Job, Kinderkriegen. Bis die eine heimlich einen Auftritt für beide arrangiert, was zu einem Neuanfang führt. Piano Girls lautete der Arbeitstitel des Films, dessen Musik-Score die Regisseurin von der Avantgarde-Jazz-Gruppe Kessler Schwarz schreiben ließ.

Das Stichwort Jazz leitet über zum Dokumentarfilm, wo das Thema Musik seit Jahren boomt. Der Hamburger Filmemacher Eric Friedler zeichnet in It Must Schwing die Geschichte von "Blue Note" nach, der berühmtesten und wichtigsten Plattenfirma des Jazz. Vor den Nazis aus Berlin geflohen, gründeten Alfred Lion und sein Freund Frank "Francis" Wolff 1939 in New York das Label, das durch Lions visionäre Künstlerauswahl, Wolffs Musikerfotos auf den Plattenhüllen und die perfekten Produktionen vom legendären Tonmeister Rudy van Geldern Musikgeschichte schrieb. Doch Friedler begnügt sich nicht mit prominenten Zeitzeugen wie Herbie Hancock, Sonny Rollins, Ron Carter oder Rudy van Gelder (im letzten Gespräch vor seinem Tod 2016), sondern geht mit fiktionalen Animationsszenen im Dokudrama-Stil seines Vorbilds Heinrich Breloer auch dem gesellschaftspolitischem Hintergrund nach: dem Beitrag von Lion und Wolff im Kampf der Schwarzen gegen Rassismus und Diskriminierung.

Einen Nachhall davon sieht man in Whitney, Kevin Macdonalds mit bislang unbekanntem Material bestücktem Dokumentarfilm über das wechselvolle Leben des Popstars Whitney Houston. In eine ganz andere Sphäre führt Stephen Nomura Schibles Ryuichi Sakamoto: Coda. Er beobachtet den an Krebs erkrankten berühmten japanischen Filmkomponisten bei seiner vermutlich letzten Album-Produktion.

Zurück nach München führt einen schließlich der in New York lebende Brasilianer Peter Azen: In Black Wave begleitet er die Gründung eines - inzwischen in der Szene weltweit bekannten - Punk-Plattenladens im Westend. Ein Film, in dem man viel über die eigene Stadt lernen kann, und nicht nur über die Rolle von Subkulturen in der vermeintlichen Hochkultur-Hochburg.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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