Schriftsteller Heiner Müller zum 80.:Der Verletzliche

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Heute wäre Heiner Müller 80 Jahre alt geworden. Vom sowjetischen Blick auf die DDR geprägt, ist sein Werk inzwischen für viele nicht mehr greifbar. Eine Erinnerung.

Jens Bisky

Als Heiner Müller gestorben war, begrub ihn das vereinigte Deutschland, als wäre er dessen Staatsdichter gewesen. Etwa 3000 Trauernde will man am 16. Januar 1996 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof gezählt haben. In den Tagen zuvor hatten Schauspieler, Kollegen, Freunde am Berliner Ensemble Müllers Texte vorgetragen. Sie begannen morgens gegen 11 Uhr und endeten spät in der Nacht. Man kam und ging, stets war es voll. Große Schauspieler traten auf, darunter Marianne Hoppe, Klaus Piontek, Ulrich Mühe, Erwin Geschonneck. Der Abschied von Müller war auch ein Abschied vom 20. Jahrhundert, von Krieg und Nachkriegszeit, vom "Krieg ohne Schlacht" - wie der Klassiker der Widerspruchs- und Klassenkampfdichtung seine Autobiographie genannt hatte.

Mit Zigarre und Hornbrille blickte er auf die DDR. An diesem Freitag wäre Heiner Müller 80 Jahre alt geworden. (Foto: Foto: dpa)

Die taz vermutete damals, bald werde Müllers Wohnung in eine Kultstätte verwandelt, in ein Museum für Theaterbeflissene. Sein Werk aber, so stand es in dieser Zeitung, werde "nach einer Pietätserhebung völlig versinken". Waren die Trauerfeiern nicht deswegen übergroß geraten? Waren "Lohndrücker" oder "Wolokolamsker Chaussee" ihrer Epoche nicht allzu eng verbunden?

Müllers Wohnung ist so wenig Gedenkstätte geworden wie die seines Konkurrenten Peter Hacks, aber die Ausgabe seiner Gedichte hatte 1998 überraschenden, andauernden Erfolg. Auch auf dem Theater hält sein Werk sich besser als erwartet. Neuester Statistik zufolge gab es in jedem Jahr nach seinem Tod zwanzig bis dreißig Neuinszenierungen - mehr also als zwischen 1992 und 1994. Im vereinten Deutschland ist er häufiger gespielt worden als vor 1990 im gesamten deutschsprachigen Raum.

Erbe in Ordnung

Auch sonst scheint es mit Müllers Erbe seine Ordnung zu haben. Es gibt alles, was zu einem Großdichter dazugehört: die Werkausgabe des Suhrkamp-Verlags ist mit Erscheinen der drei Gesprächs-Bände nun abgeschlossen, die Akademie der Künste pflegt das Archiv, seit 2001 liegt eine ausführliche Biographie vor, verfasst von Jan-Christoph Hauschild. Den achtzigsten Geburtstag begeht man in der Kantine des Mainfranken-Theaters Würzburg ebenso wie im Berliner Akademiegebäude am Hanseatenweg.

Dennoch bleiben Zweifel, ob sich Heiner Müllers Werk in Zukunft behaupten wird. Und das nicht, weil Biographie und Werkausgabe viele Wünsche unerfüllt lassen oder ihm der Ruf des schwer Verdaulichen vorauseilt. Es liegt an der Eigenart des Werkes selber. Müller sah mit sowjetischem Blick auf die DDR und mit Seneca, Tacitus, Mommsen auf die Sowjetunion. Nabelschau ist allzeit beliebter. Biographische Erfahrungen waren für Müller, den verletzlichen Menschen, der bereit war, alles der Poesie zu opfern, nur Material.

"Leben im Material" nannte er sein DDR-Dasein. Obendrein hat er sich dem Kommunismus verschrieben. Durs Grünbein sprach treffend von der "Kommunion mit dem historisch Vergeblichen". Es gibt bei Müller, und das stört Geschichtsgefühlige, keine gute, unschuldige Seite. Utopie und Terror fallen in eins, Liebe gleicht aufgeschobenem Verrat, Sprache trügt.

Die Theaterstatistik verrät auch, dass Müllers Texte immer häufiger in Collagen verwandt, mit Werken anderer zusammengespannt werden. Die Annahme liegt daher nahe, dass seine Dramen vor allem als Material, in Fragmenten, überleben werden. Das passt zum Schwergewicht der wie gemeißelt wirkenden Verse, die Rätsel und Prägnanz verbinden, den hohen Ton treffen, der aus der deutschen Literatur zu verschwinden droht.

Müller-Sätze vergisst man schlecht: Kommunismus - "ein Sommergewitter im Schatten der Weltbank"; "Meine Braut heißt Rom"; "Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA, im Rücken die Ruinen von Europa". Weil er den einzelnen Vers zum Schauplatz von Tragödie und dialektischer Bewegung - ohne Synthese - zu machen verstand, kann man ihm ein langes Nachleben prophezeien - auch gegen die Werkgestalt: "Wenn ich die Frau bin und du bist kein Mann."

© SZ vom 9.1.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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