Schauspiel:Ziemlich trocken

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Das Flüchtlingsdrama "Abgesoffen" im Metropol

Von SABINE LEUCHT, München

Das Stück wirkt, als hätte einer stante pede auf die jüngste Skandaläußerung der AfD reagiert. Nur dass die zwei auf der Bühne ihre Opfer nicht an der deutschen Grenze erschießen, sondern in Madrider Badewannen ertränken und der Dialog-Roman, aus dem Alia Luque ihre Bühnenfassung herausgekratzt hat, bereits im Jahr 2000 erschienen ist. Carlos Eugenio López fantasierte schon damals eine namenlose Macht in die Welt, die zwei Menschen dafür bezahlt, Woche für Woche einen nordafrikanischen Einwanderer aus dieser zu schaffen und zu all den Toten in die Meerenge von Gibraltar zu werfen. Zur Abschreckung für die, die dann hoffentlich nicht mehr kommen. Die Idee, dahinter könne die Regierung stecken, klingt heute grausigerweise weniger abwegig denn je.

Luque, die beim letzten Radikal-jung-Festival mit der Uraufführung von Anne Leppers "La Chemise Lacoste" faszinierte, kommt mit "Abgesoffen" nach München zurück, wo sie schon als Studentin am Resi und Metropoltheater gearbeitet hat. Ihr Neu-Einstand aber verrät nichts davon, dass sie dort unter anderem auch Choreografin war - und gleicht einer Wiederaufnahme der Inszenierung, die Luque im April 2014 am Berliner Gorki-Theater gezeigt hat: Manu Chao singt ein- und ausgangs von den "verbotenen" Leben der "Clandestino". Und nur die durch den Mangel an Alternativen in den Mörderjob hineingerutschten Loser wurden neu besetzt: Christian Baumann und Thomas Meinhardt stehen im Metropol vor einer grellweißen Leinwand in größtmöglichem Abstand voneinander auf Positionen, die Klischees ("Alle Moros sind gleich") und Antiklischees (man philosophiert über Don Quijote und schreibt Gedichte) munter durcheinandermixen. Wobei selbst die infamste Entgleisung so wohl artikuliert rüberkommt, dass sie nichts Entlarvendes oder Überraschendes hat. Auch für die beiden gut bezahlten Dreckdienstleister nicht.

Baumann und Meinhardt spielen sie sehr nuanciert mit einem Rest an Haltung, Einfühlungsvermögen und Bildungshunger und breiten das Bewusstsein dafür vor uns aus, dass Opfer die Täter gewissermaßen ein Stück mitnehmen auf die andere Seite, und wir alle Verantwortung tragen, selbst wenn uns die Schraube, an der wir drehen, winzig vorkommen mag. Argumente aber werden nicht ausgetauscht, geschweige denn entwickelt. Und so verläppert sich das Zwiegespräch auf den nicht vorhandenen Sitzen eines eigentlich mit der 29. "Moro"-Leiche im Kofferraum durch die Nacht fahrenden Autos zunehmend im Gefühligen, anstatt sich zu einer tarantinohaft bösen Variante von "Warten auf Godot" auszuwachsen.

Bei allem Verständnis dafür, das Luque die Ermordung des 29. Marokkaners nicht bebildern: Für 80 Minuten Theater ist hier szenisch schlicht zu wenig los. Vor der statischen Konversation auf der Vorderbühne gab es Filmbilder vom Mittelstreifen einer Autobahn, zu denen Manu Chaos "Clandestino" immerhin akustisch ertrank. Und ein überlanges Outro zeigt, wie junge Männer aus dem Maghreb bei ihrer Ankunft in Barcelona der Freiheit, Gott und Mourinho zujubeln: Pralles, glückshungriges, testosteronschwangeres und - ja: auch beängstigendes Leben, das für die Aufführung deutlich zu spät kommt.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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