Schauspiel:Wuchtiges Panoptikum

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Das Lorca-Pasticchio "In den Straßen keine Blumen" am Volkstheater

Von Egbert Tholl, München

Nach der Pause gibt es einen langen Moment, an dem der Abend Kunst wird. Die fünf jungen Frauen, denen man zuvor schon geraumer Zeit zugeschaut hat, tragen die Verwundungen, die ihre Seelen zuvor erfahren mussten, nun in ihre Körper. Sie sitzen auf dem Boden auf Kork-Krümeln, also im Dreck, sitzen um einen leeren Pool herum, die Bühne gesäumt von einem leeren Stahlgestell. Vorher hingen daran Leintücher, nun ist die Aussteuer wohl fertig, denn darum geht es viel an diesem Abend, Heiraten, Heiraten, Heiraten. Nun sitzen sie da also, tragen Kleidchen die oben weiß und unten trauerdunkelgrau sind, nur eine trägt reines Weiß, es ist Adela, die den Abend nicht überleben wird. Sie hocken im Dreck, sie wühlen darin, verhaltensauffällig, aber choreografiert. Eingesperrte Tierchen, bewacht von der harten Übermutter Bernarda Alba. Die trägt strenges Schwarz und ein folklorisierendes, schönes Kleid, das hat Claudia Irro geschneidert, wie überhaupt die Kostüme sehr gelungen mit Archaik spielen.

Dieser lange stumme Moment erzählt viel über Druck, Zwang und die Folgen. Zwar strahlt Margot Gödrös als Bernarda Alba selbst überhaupt keine Gewalt oder auch nur Strenge aus - wenn man die Figur so naturalistisch anlegt, dann bräuchte es da schon ein anderes Kaliber an Garstigkeit. Aber die Szene ist ja Folge des Vorangegangenen, nicht unmittelbar allein evoziert durch die Mutter. Das Vorangegangene besteht aus vier Stücken von Federico García Lorca, von Charlotte Roos kunstvoll ineinander geschoben, so dass im selben Tableau die Liebenden aus der "Bluthochzeit" auf die an ihrer Ehe verzweifelnde Yerma treffen, Donna Rosita ledig bleibt und eben dann alle Frauen von Bernarda Alba eingesperrt werden. Roos behält Lorcas Archaik bei, erfrischt die Sprache wo nötig, schafft ein Frauenschicksalspanoptikum von großer Wucht, die Pınar Karabulut zunächst einmal vernichtet. Ihre Inszenierung am Münchner Volkstheater will zu cool sein, zu aufgekratzt.

Es beginnt mit Rihanna und einem Vorspann, Tarantino-mäßig kinolässig, Daniel Murena liefert den weiteren, verführerischen Soundtrack, die Männer irren durch die verschiedenen Stück-Derivate, mal sind sie bonbonhafte Geschenke, meist eher Trottel. Einer hat eine wunderbare, verdutzte Poesie, weil er einfach so ist, Timocin Ziegler. Die jungen Frauen verwechseln mitunter Grobheit mit Leiden, da wird's dann eher mühsam, aber Nina Steils, Pola Jane O'Mara und vor allem Laina Schwarz als Gast im Volkstheater haben Momente, denen man sich ob ihrer emotionalen Kraft nicht entziehen kann.

So changiert der Abend zunächst ohne rechtes Ziel, wird nach der Pause groß - und rutscht dann ab in extrem überschaubare Hip-Hop-Pussy-Power nach Khia: "Lick this pussy" als Gebet eines Pseudofeminismus.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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