Schauspiel:Mit Karacho in den Abgrund

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"Paradies spielen" am Markgrafentheater in Erlangen

Von Florian Welle, Erlangen

Es ist erstaunlich: Nahezu alle Medien setzen sich intensiv mit den Folgen des Klimawandels auseinander. Doch auf die Bühne hat es die "Unbequeme Wahrheit" - so der Titel des Dokumentarfilms von Al Gore - bislang selten geschafft. Wenn Ökologie im Theater thematisiert werden soll, zerrt man meist immer noch zuerst Ibsens "Ein Volksfeind" hervor. Eine "Klima-Trilogie", wie sie Thomas Köck seit drei Jahren geschrieben hat und wovon der letzte Teil "paradies spielen" kürzlich den Mülheimer Dramatikerpreis erhalten hat, war also längst überfällig.

"Paradies fluten" und "paradies hungern" nennt der Österreicher die ersten beiden Teile seines Werkes, das konsequent kleingeschrieben ist und ohne Satzzeichen auskommt, was ihm in den besten Momenten etwas wunderbar Lyrisches verleiht. Auch im dritten Part prallt das Schicksal Einzelner auf die Weltgeschichte, die angesichts der globalen Erwärmung nur mehr als Klimageschichte erzählt werden kann. Der Untertitel des Stücks, das nach seiner Mannheimer Uraufführung im vergangenen Jahr nun im Erlanger Markgrafentheater in der Regie von Intendantin Katja Ott zu sehen ist, weist die Richtung: "abendland. ein abgesang".

Die Fakten sind alle bekannt. Etwa, dass der Erdüberlastungstag heuer bereits im August liegt. Die Ressourcen der Erde sind nun mal endlich, doch wider alle Logik gilt ungebrochen das neoliberale Wachstumsmantra. Und so rasen die Menschen in Köcks theatraler Dystopie ungebremst in den Abgrund. Die Metapher, die er dafür benutzt, mag ein wenig ausgelaugt sein, wirkungsvoll ist sie allemal: Sein "ewiger ICE der Spätmoderne" hält einfach nicht mehr an, sondern saust samt Fahrgästen durch eine immer unwirtlicher werdende Welt. Dazu trällert der Schaffner Elvisʼ "You'll Never Walk Alone", denn "wir sind falsch abgebogen schon vor jahrzehnten oder vor jahrhunderten ...". Ein weiterer Erzählstrang thematisiert das vergiftete Schicksal chinesischer Wanderarbeiter in den italienischen Textilfabriken von Prato Macrolotto und schreibt so indirekt Gerhart Hauptmanns "Weber"-Drama fort.

Katja Ott ist eine sehr dichte und konzentrierte Inszenierung gelungen, in der weniger wirklich mehr ist. Das Bühnenbild von Bernhard Siegl beschränkt sich auf eine drehbare Bank, die den unaufhaltsamen Zug symbolisiert. Und Eisenstangen, die unentwegt rauf- und runtergezogen werden, stehen für die Webmaschinen. Dazu hat Ott ihre Schauspieler zu minimalem Spiel angehalten, eindringliche Monologe - etwa von Enrique Fiß, dessen weitere Entwicklung es unbedingt zu verfolgen gilt - wechseln mit präzisen Chorszenen von eisiger Kälte. Dazwischen Späße, bei denen einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

Thomas Köck ist ein Autor mit eminent politischer Haltung. Letztlich will er mit seinem Untergangsszenario wachrütteln, glaubt "durch das Theater etwas in der Welt bewegen zu können". Es zeugt von einem glücklichen Händchen der Theaterleitung, sein Stück nach Erlangen geholt zu haben. Vor dem Hintergrund von "paradies spielen" ist es indes vollkommen unverständlich, warum man alle Hefte der kommenden Spielzeit extra in Plastik eingeschweißt und so für ein ökologisches Foul gesorgt hat.

© SZ vom 04.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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