Schauspiel:Familienplanung

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"Children of Tomorrow" im Volkstheater

Von SABINE LEUCHT, München

Zwei Männer, zwei Frauen - ein Kinderwunsch! Doch genau genommen ist es weniger der Wunsch als die Option des Kinder-Habens, die durch das Stück von Tina Müller und Corinne Maier geistert. Das Was-wäre-Wenn, flankiert von unzähligen, gleich drängenden Fragen: Darf ich wollen, was die Gesellschaft von mir erwartet? Wie bekomme ich im Zukunftsentwurf Familie meine Sozialisation als "absolut individualistisches Wesen" unter? Kriegen wir als Eltern das gemeinsam hin? Und was wird aus uns als Paar? Als Einzelne? Als empathisch Sich-Sorgende? Als Geldverdiener? Als sinnliche Wesen? Als Anerkennungsbedürftige?

Das von der Regisseurin (Maier) und der Theaterautorin (Müller) gemeinsam mit den Schauspielern entwickelte Stück breitet unter dem Titel "Children of Tomorrow" das emotional und ideologisch total verminte Feld vor uns aus, auf dem junge Familien heute mit vielfältigen Bürden und Erwartungen jonglieren. Und dennoch ist der kurze Abend ein turbulenter, ungeheuer frischer Spaß geworden, der Eltern wie Kinderlosen genug Stoff an die Hand gibt, um sich für den Rest des Abends den Mund fusselig und eigene Erfahrungen von der Seele zu reden.

Nicole Henning hat die kleine Bühne des Volkstheaters mit einem zweifarbigen Teppich ausgelegt, auf dem vier "Happy Socks" tragende Schauspieler anfangs eine Mischung aus Gymnastik und Freudentanz aufführen, kindlich herumrollen, Spielzeug verstreuen und wechselnde Allianzen bilden. Auf dem gelben Teil liegt eine breite Matratze, wo sich gleich mehrere Male die Glieder analog zu den Standpunkten verknoten. Auf der rosa Seite liegen vier rote Hüpfbälle mit Zitzen um einen ebenfalls roten Plastiktisch herum. Später - das Thema Stillen samt WHO-Empfehlungs-Druck "Bonding", dem Gefühl des Angebundenseins und der "Sehnsucht nach Unentbehrlichkeit" ist da längst durch, und das Kapitel "Selbstverwirklichung für alle" oder Erziehung als "wohlwollende Vernachlässigung" aufgeschlagen - werden Pola Jane O'Mara, Julia Richter, Mehmet Sözer und Oleg Tikhomirov derart manisch auf diesen Bällen herumhüpfen, dass kein Zweifel mehr bleibt: Diese Spiel- ist in Wahrheit eine Kampfzone.

Tatsächlich ist das kluge, fast durchweg in Futur 1 geschriebene Möglichkeits-, Hoffnungs- und Befürchtungs-Konvolut nur so gespickt mit Opfern: Kinder fallen aus Fenstern oder werden doch nicht geboren, Väter kollabieren bei dem Versuch, der ultimative DILF (Dad I'd like to fuck) zu werden und Mütter geben 300 Prozent (wild entschlossen, dass sie das "total kicken" wird), damit ihr Muttersein sich nicht negativ auf ihre soziale und berufliche Attraktivität auswirkt. Fünf Zukunftsszenarien lässt das Team nach und nach lustvoll implodieren. Und den Mythos des über alle Missstände erhabenen Theaters gleich mit: Denn dass die Akteure ihre Schauspieler-Ichs mit hineinnehmen in den Text, verkompliziert die Sachlage eher noch. Doch so familienfeindlich das Theater als Arbeitgeber auch sein mag, als Ort, diesen Umstand aufzufächern, hat es sich hier glänzend bewährt.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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