Schauspiel:Die süße Rache der Revoluzzerinnen

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Das Festival "Marstallplan" des Residenztheaters zeigt als "Weltbühne" fünf Stücke aus fünf verschiedenen Kontinenten. Allesamt sind es Uraufführungen, in denen der Zuschauer nicht nur sehr talentierte Bühnenautoren entdeckt

Von Egbert Tholl

Susanna Fournier hat überhaupt keine Angst vor der Größe einer Vorlage, Sophokles' "Antigone". Die Kanadierin scheint überhaupt eher fruchtlos, sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Theatermacherin und Performerin. Mit der Dreieinigkeit ihrer Person ging sie offenbar auch ihr Schreibunterfangen an: "Antigone lebt*" ist Idee, Kommentar und Diskurs zugleich. Vor allem Diskurs, über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und die Herstellung von Theater.

Fourniers Weiterdenken der "Antigone" in die Gegenwart hinein bildet den Abschluss des Marstallplans, dem Kompakt-Festival, das schon seit geraumer Zeit immer im Sommer kurz vor Ende der Spielzeit stattfindet. In diesem Jahr fungiert der Marstallplan als "Weltbühne", was man sehr wörtlich nehmen kann: Fünf Stücke wurden dafür geschrieben von Autorinnen und Autoren aus fünf verschiedenen Ländern, verteilt auf fünf Kontinente.

Das Residenztheater, von dem die Initiation zu einer umfassenden Kooperation mit dem Goethe-Institut, der Bayerischen Theaterakademie und den Theaterwissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität ausging, hat mit langem Atem und viel Akribie dieses Festival auf die Beine gestellt. Mehr als ein Jahr Vorlauf, Suchen nach Autoren, Sichten von Texten. Dann zwei Workshops in München, die fünf inzwischen ausgewählten Autorinnen und Autoren besuchen das "Spielart"-Festival, gehen in Ausstellungen und reden ganz viel miteinander und mit den Dramaturgen. Langsam nehmen die Texte gestalt an, Regieteams werden gefunden. Nun, nach den zwei Tagen dieses Wochenendes hat man Texte erlebt, die teilweise eine ganz große Zukunft versprechen, man hat Aufführungen gesehen, die voller Verve und Fantasie die Möglichkeiten unterschiedlicher Umsetzungen ausloteten. Und: Die Schauspieler hauen sich rein, als gäbe es kein Morgen.

Die wunde Lilith Häßle als Antigone mit deren toten Brüdern Polyneikes (Nils Strunk) und Eteokles (Thomas Lettow). (Foto: Konrad Fersterer)

Etwa Lilith Häßle. Sie spielt die Antigone in der Inszenierung von Rikki Henry, eine wunde, zitternde, traumatisierte Frau, sie ist überbordend in ihrer Emotion. Das ist notwendig, denn Fourniers Text verheddert sich knochentrocken in den Diskursen der Gegenwart. So brachten sich Antigones Brüder Polyneikes (Nils Strunk) und Eteokles (Thomas Lettow) deshalb gegenseitig um, weil der eine glaubt, ein Rave-Schamane zu sein, und der andere alles, wirklich alles mit den Segnungen des Kapitalismus' erklärt. Fournier vermeidet konsequent auch nur den leisesten Anflug von Poesie, Rikki Henry macht explosives Pop-Theater mit viel Bumms.

Davor am Sonntag eine andere superstarke Frau, Pauline Fusban. Sie erzählt mit den Worten des Hongkongers Pat To Yan von einer Katastrophe, wahrscheinlich einer atomaren, erzählt von zerberstenden Leibern und dem Sterben der Mutter. Neben sich hat sie Max Gindorff, den verstummten Bruder, und wie Fusban erzählt und dabei vom Bruder als Spiegel, als stummen Dialogpartner begleitet wird, das hat einerseits viel stilles und auch zersplitterndes Drama, andererseits auch eine rührende, warme Empathie. Mira Stadler inszeniert "Bis ans Ende ihrer Tage", vertraut vollkommen dem Text, der gar nicht mehr sein will als eine Endzeitfantasie.

Die anarchischen Rentner(innen)-Rocker Thomas Huber, Arnulf Schumacher und René Dumont in "Bakunin". (Foto: Konrad Fersterer)

Junge Regisseurinnen und Regisseure inszenieren junge Texte, das war der Plan, und er geht auf. Für alle fünf Inszenierungen entwirft Maximilian Lindner die Bühne, die im wesentlichen aus einem fahrbaren Rombus besteht, mit dem sehr unterschiedlich umgegangen wird, er kann Schleuse sein ins kontaminierte Gebiet, er kann Sauna sein. In "Bakunin" des Uruguayers Santiago Sanguinetti, der eine durchgeknallte Farce über agile IBM-Rentnerinnen abliefert, die sich an ihrem ehemaligen Arbeitgeber rächen wollen. Allein die beiden anarchistischen Saunatanten René Dumont und Arnulf Schumacher sind eine Schau für sich, von Stefan Schweigert mit Lust und toller Komik ausgestellt. Nur: Das System siegt - Katharina Pichler knallt als IBM-Lateinamerikachefin im Sambakostüm die alten Revoluzzerinnen ab, sogar Bakunin geht drauf, dabei spielt ihn Joachim Nimtz als würdevolle Maschine, IBM-generiert und voll mit dröhnendem Leben.

Nicht bei jedem Text spürt man die Herkunft seines Schöpfers durch. So entwirft die Nigerianerin Zainabu Jallo ("White Elephants") eine klaustrophobische Situation zwischen Mutter (Ulrike Willenbacher), blindem Sohn (Oliver Möller) und einem Wesen, mit dem der Sohn sprechen und durch das er sehen kann (Mathilde Bundschuh). Die Situation ist atmosphärisch dicht (Regie: Britta Ender), die Schauspieler sind toll, aber ein großes Rätsel bleibt.

Oliver Möller, Ulrike Willenbacher und Mathilde Bundschuh in "White Elephants". (Foto: Konrad Fersterer)

Auch bei Maria Milisavljević. Sie ist bereits Festival-prämiert und hat einen irisierenden Ton, viel Heimat, mal denkt man an Werner Fritsch, mal an Jelinek, immer an Milisavljević. "Auf ewig unser Gestern" ist ein Text über Grenzen in Europa, über Kriege und historisches Bewusstsein, den Franziska Angerer zu einem faszinierenden, komplexen Sprechkonzert verdichtet. Im Zentrum die großartige Barbara De Koy, die dem Text so viele Farben gibt, dass man gern mehr davon hätte - beim Marstallplan dauert jedes Stück eine Stunde.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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