Satirisches RAF-Dreiergespräch:Nimm einen Keks!

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30 Jahre "Deutscher Herbst": eine Satire mit den Terroristen Raspe, Ensslin und Baader und dem einen oder anderen Überraschungsgast.

Willi Winkler

Ein Seniorenheim irgendwo in Schleswig-Holstein. Bei gutem Wetter könnte man von der Terrasse die Segler auf der Ostsee erkennen. Es ist aber kein gutes Wetter, sondern wie immer am Jahresende in Norddeutschland. Im Fernsehen läuft eine Sendung mit Florian Silbereisen.

Raspe, Ensslin und Baader, hier auf einem Archivfoto aus dem Jahr 1977, verbringen ihre Zeit in einem Pflegeheim in Schleswig-Holstein - zumindest für unser satirisches Dreier-Gespräch. (Foto: Foto: AP)

Das Zimmer ist überheizt; vor den Fenstern sind Gitter. Unter einem rot, blau und golden geschmückten Tannenbaum jeweils in einem Rollstuhl kuhwarm eingemümmelt, zwei Männer und eine Frau: Gudrun Ensslin (67), Jan-Carl Raspe (63) und Andreas Baader (64).

Ensslin: Mir ist kalt.

Baader: Ach was, es ist viel zu heiß.

Raspe: Wenn ihr meint. (Er macht Anstalten aufzustehen, sinkt aber seufzend wieder zurück in seinen Liegesessel.)

Jetzt schweigen alle drei. Das Seniorenheim Abendrot beherbergt nur diese drei - und das bestgehütete Staatsgeheimnis: Baader, Ensslin und Raspe haben im Herbst 1977 in ihren Zellen in Stammheim keineswegs Selbstmord begangen, sie wurden auch nicht ermordet, sondern von einer Spezialabteilung des Verfassungsschutzes heimlich hierher geschafft, wo sie niemand vermutet und wo sie wenigstens keinen Schaden mehr anrichten können. Sie haben die Höchststrafe: Seit dreißig Jahren gehen sie sich auf die Nerven. Wie jeder Tag im Heim beginnt auch dieser mit einer Presseschau und mit dem immergleichen Brecht-Zitat, das diesmal Andreas Baader aufsagt.

Baader: "Wer seine Lage erkannt hat - wie soll der aufzuhalten sein?"

Raspe: Nichts.

Ensslin: Was, nichts?

Raspe: Nichts. Überhaupt nichts in den Zeitungen heute.

Ensslin: Du bist doch halb blind. Hast du gründlich geschaut?

Baader: Nein, da war nichts. Kein Wort über die RAF. Überhaupt kein Terrorismus.

Im Fernsehen bimmeln sehr blonde Engel in rotsamtenen Minis penetrant Jingle Bells.

Baader: Imperialistische Scheiße!

Raspe: Aber diese Jahresendfiguren sind doch lecker!

Ensslin: Welche Figuren bitte?

Raspe: Na, die blonden Schnepfen da.

Ensslin: Baby, muss ich mir wirklich dieses frauenfeindliche Geschwätz anhören?

Baader: Lass ihn, Jan ist doch Zoni. Also, auch wenn heute nichts drin war: Ihr müsst zugeben, 2007 war der beste RAF-Jahrgang bisher. Noch nie waren wir so wertvoll wie heute.

Ensslin: Blödmann.

Baader: Aber wenn ich's dir doch sage: das ganze Jahr, egal, wohin du schautest, Fernsehen, Zeitung, Spiegel, Bild: überall RAFRAFRAF.

Ensslin: Und was hat es für die Stadtguerilla gebracht? Freiheit ist nur im Kampf um Befreiung möglich. Soll die Berichterstattung der Bild-Zeitung vielleicht politisch sein? Die Macht kommt aus den Gewehrläufen.

Baader: Für die Knarre zitterst du doch längst zu viel, Schätzchen.

Raspe: Er hat Recht, Gudrun. Schau mal her. Der Klar ist zwar ein Hornochse, aber besser als mit seiner Adresse an die Rosa-Luxemburg-Konferenz konnte das Jahr gar nicht beginnen. (Er sucht in seinem Stapel mit Zeitungsausschnitten.) "Trotzdem gilt hier ebenso: 'Das geht anders'. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen."

Ensslin: Schreiben hat er ja noch nie können.

Baader: Du und Dein ewiges Gezicke! Und immer muss es das gnädige Fräulein so weit raushängen lassen, dass es bei Professor Walter Jens in Tübingen Rhetorik studiert hat.

Ensslin: Trotzdem gilt hier ebenso - schon dafür gehört Klar eingesperrt.

Raspe: Jedenfalls war damit die Begnadigungsdebatte eröffnet. Christian Klar hatte ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten gerichtet, und Brigitte Mohnhaupt sollte ohnehin auf Bewährung freikommen. Herrlich, wie die Zeitungen schäumten!

Baader: Am besten war doch das Fernsehschnellgericht bei Sabine Christiansen im Januar: "Gnade für Gnadenlos - eine zweite Chance für Mörder?" Lässt die doch tatsächlich über eine Amnestie abstimmen, und natürlich sind 91 Prozent dagegen, dass Klar und Mohnhaupt freikommen. Wenn sie die Todesstrafe gefordert hätte oder Kinderschänder an die Wand, hätte es auch eine Mehrheit gegeben. Reinster Faschismus!

Ensslin: Was soll daran so toll sein?

Baader: Merkst du denn nicht, wie die Verhältnisse langsam so unerträglich werden, dass sich die Massen dagegen auflehnen werden?

Ensslin: Welche Massen denn? Die 91 Prozent?

Baader wirft einen begehrlichen Blick auf den Pappteller mit Gebäck, das die guten Schwestern vom Haus Abendrot wieder mit viel Liebe gebacken haben.

Baader: (mümmelt leer): Ich kann meine Zähne nicht finden.

Ensslin: Denk lieber an deinen Cholesterinspiegel, Baby.

Baader: Hast Du sie schon wieder versteckt? Gib sofort her, du Votze!

Raspe (pfeift gemein): "Und der Haifisch, der hat Zähne..."

Ensslin (die den Blick nur mühsam vom Duett Carmen Nebel/Florian Silbereisen wenden kann): Wollten wir nicht zum Jahreswechsel aus Protest gegen den Konsumterror und den Krieg in Vietnam in Hungerstreik treten?

Raspe: Genau, die Konflikte verschärfen.

Baader (schweigt ingrimmig, dann, mit Blick auf den Teller mit den Zimtsternen): Es werden Typen dabei kaputtgehen.

Raspe: Als Brigitte Mohnhaupt aus dem Gefängnis in Aichach entlassen wurde, hieß es in Bild: "Schlimmste Terroristin FREI!". Was wird die Brigitte sich gefreut haben: 25 Jahre im Knast - und endlich fürchten sich die Leute vor ihr.

Baader: Das Gruseln gehörte schon immer dazu. Mein persönlicher Favorit 2007 ist das Treffen Peter-Jürgen Boock mit Michael Buback. Der Terrorist spricht mit dem Sohn des Opfers. "Es tut mir unendlich leid, was geschehen ist. Allein ich weiß, ich kann es nicht rückgängig machen." Ein echtes Schauspiel, absolut preisverdächtig, fünf Sterne.

Die Tür geht auf, und Peter-Jürgen Boock kommt herein.

Baader: Wenn man vom Teufel spricht...

Boock: Du, das find ich jetzt echt nicht richtig von dir, Andreas...

Baader: Halt die Klappe, du Großmaul. Was willst du denn hier?

Boock: Solidarität demonstrieren.

Baader: Nimm einen Keks.

Raspe: Dann wird die Amnestiefrage ernst. Franz Josef Wagner schreibt einen Bild-Brief an Bundespräsident Horst Köhler: "Entscheiden Sie, wie es ist, wenn man Ihr Leben bedroht."

Baader: Lasst mir den Wagner in Ruhe. Im Schellingsalon damals hat er beim Billard regelmäßig verloren. Schriftsteller wollte er werden, mindestens Hemingway. Dann ist er wieder rüber in die Bild-Redaktion und hat seinen Mist zusammengeschrieben. "Entscheiden Sie, wie es ist, wenn man Ihr Leben bedroht." Niemand hat Köhlers Leben bedroht, nur Wagner mit seiner Schreiberei - herrlich!

Ensslin: Weißt du, was du bist, Andreas? Du bist zynisch!

Baader: Ach?

Ensslin: Nach dieser Kampagne konnte Köhler gar nicht mehr anders, als Christian die Begnadigung zu verweigern.

Baader: Womit ihm Köhler doch nur einen Gefallen getan hat: Nach 25 Jahren im Knast ist der doch draußen nicht mehr lebensfähig. Oder möchtest du vielleicht raus? Möchtest du erleben, wie das draußen ist: Globalisierung, Hartz IV und täglich grüßt die Apokalypse?

Ensslin: Schlimmer als mit dir kann's ja nicht sein.

Raspe: Sache ist, dass wir hier doch alles haben. Wir machen unsere politische Arbeit und werden nicht verfolgt. Hier, habt ihr das gesehen? (Er zieht wieder einen Ausriss aus der Bild-Zeitung vor) "Der Schoß ist fruchtbar noch...", warnt Einar Koch, als Ralf Reinders am 1. Mai daran erinnert, dass Schleyer ein Nazi-Mittäter war. Bild zitiert den Kommunisten Brecht, um vor einer Wiederkehr der Vergangenheit zu warnen.

Baader: Der Schoß ist furchtbar noch.

Ensslin: Dann haben sie die Tonbänder gefunden, die Aufzeichnungen aus dem Prozess.

Baader und Ensslin (Archivfoto von 1968): "Weißt du, was du bist, Andreas? Du bist zynisch!" - "Ach?" (Foto: Foto: dpa)

Baader: Das war doch wieder enorm politisch, Gudrun! Dreißig Jahre nach unserem Verschwinden hört man uns live in den Tagesthemen sprechen, sogar Ulrike. Diese Präsenz hatte bisher nur Horst.

Raspe: Mahler?

Baader: Mahler, als er 1975 in die Kamera hinein erklären durfte, warum er nicht gegen Peter Lorenz ausgetauscht werden will.

Ensslin: Der ist keine Reklame für die Innung. Grüßt Michel Friedman mit "Heil Hitler!"

Stefan Aust schaut vorbei. Baader, Ensslin und Raspe starren ihn stumm und feindselig an.

Aust: War das ein Jahr, was? Klar nicht begnadigt, Mohnhaupt freigelassen, die Tonbänder aus Stammheim gefunden und, Leute, ich kann beweisen, dass ihr abgehört wurdet. In den Zellen abgehört.

Die Drei: Schweigen.

Aust: Versteht ihr nicht: Die haben euch machen lassen, die haben gewusst, das ihr euch umbringen wollt, und trotzdem nichts gemacht.

Die Drei: Schweigen finster.

Aust: Das ist mindestens unterlassene Hilfeleistung, und ich kann es endlich beweisen!

Baader: Wir haben uns aber nicht umgebracht.

Aust: Aber...

Ensslin: Wir leben noch.

Aust: Also...

Raspe: Pech für Dich.

Baader (etwas geistesabwesend): Die Klassenkämpfe entfalten! Das Proletariat organisieren! Mit dem bewaffneten Widerstand beginnen! Die Rote Armee aufbauen!

Im Fernsehen pausiert Florian Silbereisen, ein Rentier-Ballett tritt auf. Graziös gleiten die Tiere übers Kunsteis, es schneit in viel zu dicken Flocken Kunstschnee, dazu überirdische Glasharfenmusik zur Melodie von "Stille Nacht".

Ensslin: Ist doch schön hier! Die Ostsee, die Segel auf dem Meer, Weihnachten, Silvester...

Baader: Ich tick's nicht, Gudrun. Das soll die Revolution sein? Die Massen, die sich öffentlich-rechtliche Volksmusiksendungen anschauen und mit Glühwein zusaufen!

Raspe: Gottchen, Andreas, hast du auch schon den Bullenblick?

Baader: Das Messer im Rücken der RAF bist du und du auch!

Ensslin: Also, wenn ihr mich fragt, mein Held ist Helmut Schmidt.

Raspe: Bist du jetzt komplett abgedreht, Gudrun? Helmut Schmidt! Das muss dein Vaterkomplex sein.

Boock (von hinten): Schmidt wollten wir übrigens auch entführen.

Baader (schneidend): So? Wen wolltet ihr Schlappschwänze eigentlich nicht entführen?

Ensslin: Helmut Schmidt sagt im Interview in der Zeit, die Terroristen, alle, "werden übertroffen von bestimmten Formen von Staatsterrorismus".

Baader: Was meint er? Seinen?

Ensslin: Er sagt es nicht. Seltsam. Schmidt ist außer Horst Herold der einzige, der uns ernst genommen hat. "Jeder Krieg bringt Verrohung mit sich, auf allen Seiten", erzählt er. Wenigstens jetzt hat er kapiert, dass wir im Krieg mit Deutschland lagen. (Sie macht ihn nach:) "Und nach alledem, was die Angehörigen dieser Gruppe Bürgern unseres Landes angetan haben, ist es allerdings nicht angängig, sie, solange sie ihren Prozess erwarten, in einem Erholungsheim unterzubringen. Sie müssen schon die Unbequemlichkeiten eines Gefängnisses auf sich nehmen." Und dann hat er uns hier an der Ostsee untergebracht. Wie gefällt euch übrigens der junge Doktor? Ich habe ihm die Verdammten der Erde von Frantz Fanon zu lesen gegeben, er ist ganz begeistert.

Baader: Zieht den Trennungsstrich jede Minute. Auf in den bewaffneten Kampf!

Ensslin: Mir ist kalt.

Raspe: Aber im Ernst: Sind wir 2007 nicht viel weiter als 1972? Wir müssen Springer nicht enteignen, die berichten sowieso über nichts lieber als über uns. Die RAF war das wichtigste Thema des Jahres. Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt.

Ensslin: "Warum soll jemand mit Geld überschüttet werden, der auf ganzer Linie versagt hat?" Stimmt ja, wenn eine CDU-Kanzlerin den gesetzlichen Mindestlohn unterstützt und die hohen Abfindungen von Managern kritisiert, dann haben wir eine echte revolutionäre Situation.

Baader: Unter euch Pfarrerstöchtern vielleicht.

Ensslin: Prolet.

Horst Köhler kommt unangekündigt, aber er ist schließlich der Präsident aller Deutschen. Der Kinderchor im Fernsehen jauchzt: "Vom Himmel hoch..."

Köhler: Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber diesmal nicht die CSU verständigt.

Der Präsident schüttelt sich den Regen vom Mantel; es schneit einfach nicht mehr richtig. Er hat für jeden ein kleines Geschenk mitgebracht.

Ensslin: Freiheit ist nur möglich im Kampf um Befreiung. Das heißt für mich RAF. Ja, wir haben auf der ganzen Linie gesiegt. Also verloren.

Aust: Ich kann es beweisen.

Boock: Es tut mir unendlich leid.

Köhler: Ihr seid entlassen.

Alle Drei: Nein!

Die barmherzigen Schwestern kommen. Sie kennen Horst Köhler so wenig wie Peter-Jürgen Boock oder Stefan Aust und haben nur das Wohl ihrer Schützlinge im Auge. Sie schalten den Fernseher aus und schieben die drei Pfleglinge zurück in ihr jeweiliges Einzelzimmer. Vorhang.

© SZ vom 31.12.2007/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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