Wenn man jemanden bei einem nächtlichen Liebesabenteuer kennen gelernt hat und ihn dann wiedertrifft bei Tageslicht, zum Beispiel in einer Bürobesprechung unter Kollegen, ist eine gewisse Beklommenheit unvermeidlich. Wen man einmal nackt gesehen hat, dessen Kleider werden auch künftig eine gewisse Durchlässigkeit für einen haben.
Charlotte Roche ist seit einem halben Jahr die Autorin des Bestsellers Feuchtgebiete, in dem sie all jene Themen grell ausleuchtete, bei denen man nach dem bürgerlichen Comment eigentlich das Schlafzimmerlicht löscht. Sie hat sich der Öffentlichkeit nackt gezeigt (natürlich nur in Gestalt ihrer Protagonistin, aber in diesen Dingen ist unsere Phantasie nicht sehr pedantisch). Jetzt muss die Feuchtgebiete-Popularisatorin wieder zurückkehren ins bürgerliche Leben wie nach einer feuchtfröhlichen Betriebsfeier in den Berufsalltag am nächsten Morgen - ein anzügliches Schmunzeln der Kollegen ist da das letzte, was man will.
Charlotte Roche hat sich - deshalb? - für ihre neue Fernseharbeit den Lebensbereich ausgewählt, der dem Bett am entferntesten ist: die Arbeitswelt. In fünf Folgen schnuppert sie in fünf verschiedene Berufsfelder hinein. Unter dem Titel "Charlotte Roche unter. . ." ist sie unter die Bestatter, die Jäger, die Müllmänner, die Altenpfleger und die Trucker gegangen.
Ernst des Lebens
Das klingt nach sozialem Realismus und Ernst des Lebens, und soll es wohl auch. Charlotte Roche gibt sich betont züchtig - nur bei ihrer Tour mit einem Trucker erfasst die Kamera einmal ein Tattoo auf ihrem Oberarm. Und wenn sie dem Bestatter sagt: "Sie können mir doch nicht an den Po fassen!", dann hat dieser in Wahrheit nur umsichtig versucht, Roches Kleid davor zu retten, sich an einer Sargkante zu verhaken.
Charlotte Roche will in fremde soziale Welten eintauchen, aber anders als zum Beispiel Günter Wallraff bleibt sie dabei ganz sie selbst. Deshalb ist der Erkenntnisgewinn dieser sagenhaft langweiligen Fernsehstrecke gleich Null. Über die fremden Berufswirklichkeiten erfährt man so gut wie nichts. Statt dessen darf man sich an dem charmanten Wesen der Roche erfreuen, die man vermutlich in egal welches Lebensumfeld werfen könnte, sie würde mit ihrer ansteckend guten Laune und ihrem unterhaltsamen Witz aus allem eine gute Party machen.
Schon mit Feuchtgebiete sah sich Roche in der Rolle der Aufklärerin. Über ihre neue Fernsehserie sagt sie: "Ich kaspere alle meine Vorurteile ab." Ihr Kaspern ist dabei sehr charmant, aber mit Vorurteils-Aufklärung hat das nichts zu tun. Was wir in Wahrheit sehen, ist, wie sich ein Bestatter, ein Jäger, ein Müllmann, ein Altenpfleger und ein Trucker freuen, in ihrem Berufsalltag einmal ein bisschen Abwechslung durch eine berühmte und hübsche Fernsehdame zu bekommen.
Es gibt nur wenige Momente, in denen eine berührende Wahrheit aufleuchtet, weil sich Berufsethos und Lebenssinn plötzlich verschränken. So wenn der Bestatter erklärt: "Ich habe meinen Vater und meine Mutter selber begraben. Das kann mir kein anderer gut genug machen." Oder wenn der Jäger - die beste Folge - die Roche in strengem Ton zurechtweist, nachdem sie für den Hund ein Stöckchen geworfen hat: "Bällchen schmeißen machen Zirkushunde, das ist ein Jagdhund."
Dokumentationen aus der Berufswelt gehören zum Spannendsten, was das Fernsehen leisten kann. Aber hier ist die Kamera in Wahrheit mehr auf Charlotte Roche gerichtet, als auf die Objekte ihres angeblichen Erkenntnis-Interesses. Wenn Charlotte Roche nicht so sympathisch rüberkäme, würde man ungerührt feststellen: Eine ziemlich schlechte Sendung.
Charlotte Roche unter . . . 3sat, jeweils mittwochs 23.15 Uhr.