Sarkozy und die Medien:Der Schatten-Intendant

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Unter dem Omnipräsidenten Sarkozy sind die französischen Medien in die Krise geraten. Reihenweise geschasste Journalisten flüchten sich ins Internet.

Michael Kläsgen

Redaktionskonferenz der französischen Online-Tageszeitung Mediapart: Links sitzt eine ehemalige Ressortleiterin des Wirtschaftsblatts La Tribune, das immer mal für eine exklusive Geschichte gut ist; gegenüber ein ehemaliger leitender Redakteur von Le Monde, der schon Minister interviewte; rechts der frühere stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitschrift Marianne. Doch ja, unter den 22 festangestellten, meist gestandenen Redakteuren befinden sich auch junge Talente: eine Absolventin der Journalistenschule in Lille ist dabei.

Die meisten aber sind ältere Kollegen, so manche Edelfeder ist darunter und so mancher bekannter Rechercheure wie zum Beispiel Edwy Plenel, der Mitinitiator von Mediapart. Der Ex-Trotzkist, wie er gern genannt wird, war 25 Jahre lang beim Meinungsmacherblatt Le Monde, zuletzt als geschäftsführender Redakteur; er enthüllte mehrere Affären, brachte Minister und Geheimdienstleiter zu Fall - und jetzt macht er eine Internet-Tageszeitung, und zwar eine ohne großen Bruder in gedruckter Version.

Unter Pseudonym

Mediapart ist die jüngste Online-Kreation geschasster französischer Journalisten. Der Tagesjournalismus im Internet ist für sie zu einem Refugium geworden. Rue89 zum Beispiel ist die Zufluchtstätte ehemaliger Libération-Redakteure. Mediapart hätte das Sammelbecken für Monde-Journalisten werden können, das wollte Plenel aber nicht.

Bakchich.info wiederum eifert der Enthüllungs- und Satire-Zeitung Le Canard Enchaîné nach. Von dort stammt auch der Gründer. Das Portal veröffentlicht wie das Vorbild gern unter Pseudonym Texte von Journalisten, die ihre Storys nicht in ihrer Zeitung unterbringen wollen oder können. "Die Internet-Zeitungen sind das deutlichste Zeichen der tiefen Krise, in der die französische Presse steckt", sagt Plenel.

Und diese Krise ist erst am Anfang: Le Monde, Libération und Le Figaro planen weitere Entlassungen. "Diese Krise ist jedoch nicht nur wirtschaftlicher oder finanzieller Art", fährt Plenel fort, "leider muss man fast sagen: Es handelt sich auch um eine professionelle Krise. Die Journalisten wissen heute nicht mehr, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Und deswegen ist das Entstehen der Online-Zeitungen vor allem ein Zeichen für die Krise der Demokratie in Frankreich."

Unabhängigkeit

Im Kern geht es um die Unabhängigkeit der Medien. Seit der Wahl von Nicolas Sarkozy ist der drohende Verlust dieser Unabhängigkeit ein Dauerthema in der Öffentlichkeit. Sarkozy trägt das Seine dazu bei. Unverhohlen bekennt er sich dazu, ein Freund der größten Medienbosse des Landes zu sein. So manch bekannter Journalist stürzte bereits über diese Männerfreundschaften: der Match-Chefredakteur Alain Genestar und Fernseh-Moderator Patrick Poivre d'Arvor. Doch die Kritik daran stört Sarkozy nicht. Unbeeindruckt proklamierte er sich jüngst gewissermaßen auch noch zum Schatten-Intendanten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Von Anfang an droschen die Webjournale neben dem Canard, Libération und Marianne am heftigsten auf ihn ein, und zwar jedes Medium auf seine Art, mit einem eigenen Design und einer eigenen Sprache. Manche Information hatten sie exklusiv: Auf rue89 stand zuerst, dass Sarkozys Ex-Frau Cécilia nicht zur Wahl gegangen war und diese Nachricht von der Sonntagszeitung JDD aus dem Hause des Sarkozy-Freundes Lagardère zensiert worden war.

Das Portal De source sûre (aus sicherer Quelle) brachte als erstes Medium das Video von einem angetrunken wirkenden Sarkozy auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm. Mediapart gelang es sogar, international zitiert zu werden, allerdings nicht mit Gemeinheiten über Sarkozy, sondern mit einem Bericht über den mutmaßlichen Insiderhandel beim Luftfahrtkonzern EADS.

Ohne Werbung

Für Mediapart sind solche Scoops fast überlebensnotwendig. Denn das Portal gründet auf einem waghalsigen und weithin singulärem Geschäftsmodell. Es lehnt Werbung ab, weil die Macher überzeugt davon sind, dass Werbung Abhängigkeit erzeugt. Sie wollen mit Hilfe von Abonnenten rentabel werden. In drei Jahren seien dazu 55000 Zahler notwendig, nach drei Monaten sind es bislang 8000 - zu wenig, wie die Macher eingestehen.

Deswegen erwägen sie, das selbstauferlegte Werbeverbot an bestimmten Stellen zu lockern und verstärkt auf den Leserclub setzen. Nach dem Vorbild des südkoreanischen Webjournals Ohmynews sollen so Leser zu Bürgerreportern werden. Die eingesandten Texte recherchiert die Redaktion nach und redigiert sie, bevor sie veröffentlicht werden. Auch rue89 lädt die Leser zum Mitmachen ein, stellt aber nur jeden zehnten Bürgerreport online, wie Mitbegründer Pierre Haski sagt.

Mit dem investigativen Anspruch der Online-Tageszeitungen hält es sich also in Grenzen. Vieles geht auch online wie bei den großen Brüdern in gedruckter Version nicht über Andeutungen, Verschwörungstheorien und Beschuldigungen ohne Quellenangabe hinaus. Mit dem ambitionierten Recherche-Portal der Dissidenten des Wall Street Journal in den USA haben die französischen Internet-Zeitungen deshalb wenig gemein.

Das liegt auch am fehlenden Geld: Während das Reporter-Büro in New York in den ersten drei Jahren mit zehn Millionen Dollar im Jahr gesponsert werden soll, haben die Macher von Mediapart mit Mühe und Not 3,3 Millionen Euro zusammengekratzt, wobei das meiste davon die sechs Gründungsmitglieder beisteuerten. Von Beginn an leiden die Online-Zeitungen damit unter dem gleichen Handicap wie die Print-Journale: Sie sind unterfinanziert.

© SZ vom 22.07.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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