Sammlungstausch: München-Köln:Im Reich der Sinne

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Zwei Museen tauschen ihre Sammlungen aus: Die Kölner Sammlung Ludwig schickt ihren "Picasso" nach München. Dafür prescht der "Der Blaue Reiter" vom Lenbachhaus nach Köln. Und siehe da: Beide Kollektionen profitieren davon.

GOTTFRIED KNAPP

Was immer man gegen den Austausch zentraler Kunstbestände einwenden mag, eines wird nach der Besichtigung der beiden transplantierten Museumstrakte deutlich: Nie haben die beiden Sammlungen so überzeugend gewirkt wie in den Räumen, die ihnen bei ihren Gastspielen zur Verfügung gestellt wurden.

Auch er hat die Umbettung gut verkraftet: Marc´s "Tiger" ist aus dem Unterholz der geduckten Räume des Lenbachhaus-Anbaus mit seinen starkfarbig versoßten Wänden an einen Ehrenplatz in Köln gewandert. (Foto: N/A)

In Köln, an den weißen Wänden der hohen Säle im Museum Ludwig, wird die malerische Revolution des ¸¸Blauen Reiters" zu einem sinnlichen Ereignis, wie es in München in den geduckten Räumen des Lenbachhaus-Anbaus an den starkfarbig versoßten Wänden nie zu erleben war.

Es wird fast handgreiflich deutlich, welchen kunsthistorischen Schatz Gabriele Münter in ihrem Haus in Murnau über die beiden Weltkriege und über die Nazizeit hinweg gerettet und schließlich der Stadt München vermacht hat: In keiner anderen Sammlung der Welt lässt sich die allmähliche Entwicklung einer neuen Bildsprache mit allen tastenden Versuchen anhand so vieler zentraler Werke nachvollziehen wie in dem großen Werkkomplex, den Kandinsky nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 in den Händen seiner Münchner Lebensgefährtin zurückgelassen hat.

Man glaubt den Atem der Geschichte zu spüren, wenn man das Bild ¸¸Impression III" aus dem Jahr 1911 auf seinen Ausgangspunkt, auf das erste Konzert mit Zwölftonmusik von Arnold Schönberg in München, zurückbezieht.

Kandinsky hat in seiner kühn paraphrasierenden Farb-Vision die neuartigen Klang-Eindrücke dieses Konzertabends bildhaft nachzuformen, ins Geistige zu überhöhen, also von den gegenständlichen Schlacken zu befreien versucht.

Man kann, wenn man will, in der keilförmigen schwarzen Masse der oberen Bildhälfte den Deckel eines aufgeschlagenen Flügels und in den schräg auf das Schwarz zustrebenden Farbgebilden die magisch vom Klang angesogenen Zuhörer erkennen, doch die flüchtigen gegenständlichen Assoziationen verlieren sich in dem dominanten Akkord von Schwarz, Rot und jenem leuchtenden Gelb, in dem der synästhetisch denkende Künstler Kandinsky die Musik am direktesten materialisiert sah.

Wie ein Sturzbach bricht das Gelb von rechts oben in die ¸¸Impression" ein, als würden die Klänge vom Podium herab das Auditorium überschwemmen.

Die Titel deuten es an: Mit den ¸¸Improvisationen" wagte sich Kandinsky noch einmal einen Schritt über die Kühnheiten seiner ¸¸Impressionen" hinaus. In der ¸¸Improvisation 26 (Rudern)" aus dem Jahr 1912 künden nur noch ein paar lange diagonale schwarze Striche von den Bewegungen der Ruderer; der Rest des Bildes besteht aus dynamisch kommunizierenden Farbwolken, die man poetisch ausdeuten, aber auch vollkommen zweckfrei genießen kann.

Bei den ¸¸Kompositionen" ist dann ein anekdotischer Anlass überhaupt nicht mehr zu erkennen. Die ¸¸Studie zu Komposition VII" (1913) zeigt einen Strudel treibender Farbinseln und dynamisch aufschießender Raketen, der nur noch emotionale Reaktionen zulässt, konkrete Assoziationen aber ins Leere laufen lässt. Das große Projekt der Befreiung der Malerei von den Fesseln der Realität - es wurde, was Kandinsky angeht, in München vollendet.

Die Kölner Ausstellung kann die Spannung über dieses Kernereignis hinaus gut halten. Vor allem der künstlerische Dialog zwischen Kandinsky und Franz Marc wird lebendig.

Als Kandinsky 1909 einen kegelförmigen ¸¸Berg" mit Farben auf die Leinwand modellierte, war er dem Naturmystiker Marc plötzlich ganz nahe; doch seine gelbgescheckte ¸¸Kuh" löst sich fast auf in der flächigen Komposition, sie geht deutlich auf Distanz zu Marcs ¸¸Kühen, gelb-rot-grün", die in ihrer animalischen Vitalität körperhaft plastisch aus dem Grund hervortreten.

Natürlich sind auch die übrigen Mitstreiter aus dem Münchner Umkreis im jüngsten Kunstkonvoi nach Köln mitgefahren: Gabriele Münter etwa, der die Nutzanwendung der zirkulierenden Theorien gelang; Alexej Jawlensky, der die Farbflächenkunst der Fauves stufenweise radikalisierte; August Macke, von dem einige schöne Porträts und heitere Promenadenbilder in München hängen geblieben sind; und schließlich Paul Klee mit einigen Geniebeweisen: Sein winziges Aquarell ¸¸Föhn im Marc´schen Garten" dokumentiert die Rückkehr der Farben in den Klee"schen Zeichenkosmos.

Szenenwechsel: Picasso in München, Picasso im Kunstbau - das ist zunächst einmal ein beeindruckendes Raumerlebnis.

Beim Betreten des Saals über die Rampe tut sich an der gekurvten linken Außenwand ein Panorama von vielen Hunderten dicht neben- und übereinanderhängenden Graphiken auf. Noch nie hat man auf einen Blick so viele Kunstwerke gesehen, noch nie ist einem aber auch so direkt vorgeführt worden, dass man keine Chance hat, auch nur einen Bruchteil des Ausgestellten zu genießen.

Mehr als 800 Objekte aus der Picasso-Sammlung von Irene und Peter Ludwig sind aus Köln nach München gekommen.

Da hilft dem Besucher nur eine strenge Auswahlstrategie weiter - eine Strategie, wie sie die beiden Sammler beim Einkauf bewusst vermieden haben. Sie haben in einer Zeit zu sammeln begonnen, als die zentralen Werkgruppen nicht mehr erschwinglich waren; so haben sie sich auf die Ränder des Werks konzentriert - und haben dabei eine solche Fülle von bildnerischen Eigentümlichkeiten einheimsen können, dass über der Ausstellung die Riesenfigur Picassos auf ganz ungewöhnliche Weise aufgeht.

Aus den kleinformatigen Nebenarbeiten der Jahre bis zum Kubismus ragt die protokubistische Gouache mit dem ¸¸Bildnis Max Jacob" (1907) heraus, ein ¸¸afrikanisch" inspiriertes, auffällig präsentes Porträt des Freunds, das wie eine Holzskulptur gearbeitet ist.

Auf ähnlich hohem Niveau erhebt die ¸¸Frau mit Artischocke" (1941), deren Gesicht in wilde Einzelteile zerlegt ist, die Artischocke wie eine Keule gegen einen unsichtbaren Feind. Dazwischen: Zeichnungen, Skizzen und großformatige Papierarbeiten, die alle stilistischen Wandlungen mit originellen Varianten belegen; Skulpturen, die wenigstens eine Ahnung von der Vielfalt der bearbeiteten Materialien geben; Keramikarbeiten wie der ovale Teller, auf den Picasso die Illusion eines Stierkampfs samt Arena gezaubert hat.

Beim Spätwerk dann kann die Sammlung mit einer Reihe drastisch erzählender großer Bilder und vielen experimentellen Arbeiten endgültig aufschließen zu den großen Kollektionen in Paris und Barcelona. Dennoch prägen sich die druckgraphischen Geniestreiche, die in einzigartiger Vollständigkeit an den Wänden ausgebreitet sind, am nachhaltigsten ein. Wie Picasso etwa einer schlichten Linoleumplatte mit Stahlwolle und Stichel die allmähliche Metamorphose eines hübschen Jünglings in einen diabolisch grinsenden Faun abgewinnt, wird mit allen Zustandsdrucken und der Originalplatte eindrücklich vorgeführt.

Dann aber ist es so weit: Dann muss man eintauchen in den Ozean der Radierungen auf der gegenüberliegenden Wand, dann tritt das Genie in seinen mythologischen Verkleidungen auf uns zu, als Satyr, als Gaukler, als Minotaurus, als Malerfürst, dem alle Strategien der Erotik zur Verfügung stehen, als tragikomische Künstlerfigur mit Rembrandt-Zügen, als Musketier, als Bettler, Voyeur und Zwerg. Auf den letzten Blättern starrt ein winziges Männchen mit verquollenem, kahlem Schädel hinauf zu den Fleisch- und Geschlechtsmassiven der jugendlich prangenden Weiblichkeit. Und ein Gelächter ist zu hören, wie es allenfalls der alte Rembrandt anstimmen konnte.

¸¸Der Blaue Reiter" im Museum Ludwig Köln, ¸¸Picasso" im Kunstbau München, jeweils bis 27. Juni. Kataloge: 30 Euro.

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.63, Dienstag, den 16. März 2004 , Seite 15

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