Sängerinnen im Pop:Schwarzbraun ist die Haselnuss

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Beyonce, Tweet, Mariah: Plötzlich legt man Wert auf Distinktion durch dunkle Hautfarbe. Und doch: Die schwarze Frau des R&B dient zugleich als Popikone wie als Dienstleisterin.

DIRK PEITZ

Das Entscheidende an dieser Platte ist nicht, was man auf ihr hört.

Mariah Carey (Foto: Foto: Universal)

Obwohl sie toll klingt, ein richtig gutes R&B-Album ist das von vorne bis hinten, mit hypermodernen Produktionen von Jermaine Dupri, den Neptunes, Kanye West und einprägsamen Refrains wie diesem: "Cause it's my night / No stress, no fights / I'm leaving it all behind / No tears, no time to cry / Just making the most of life." Der ist aus "It's Like That", der ersten, großartig minimalistischen Single des Albums, das gerade erschienen ist. Es heißt "The Emancipation Of Mimi", ist von Mariah Carey und schließt die bald zehn Jahre dauernde Hinwendung Careys von der weißen Mainstream-Ballade zum schwarzen R&B endgültig ab.

Das Entscheidende aber ist das Cover. Zu sehen ist darauf die blondeste Schwarze aller Zeiten: Mariah, Spitzname Mimi, Tochter eines Schwarzen und einer Weißen, trotzdem irgendwie immer für weiß gehalten.

Jetzt ist ihr Körper plötzlich schwarz geworden. Die Hautfarbe entspricht etwa dem kakaobuttrig-bronzenen, weichgezeichneten Ton, in dem Beyoncé Knowles auf Bildern auch stets erscheint. Welche Farbe hat Mariah Carey, fragte Thomas Meinecke in seinem Roman "Hellblau", und dies ist nun die aktuelle Antwort: Sie ist schwarz.

Daran sind ein paar Dinge erstaunlich. Zum Beispiel, dass hier die Hautfarbe offenbar ähnlich als soziales Konstrukt verstanden wird, wie es Judith Butler beim Geschlecht tut.

Jedenfalls in dem Sinne, dass die Hautfarbe kein rein biologisches Merkmal ist, auch wenn sie im Gegensatz zum Geschlecht eigentlich nicht wechselbar ist: Mariah Carey bekennt sich nicht zu einer anderen rassischen Abstammung, sondern symbolisch zu einem sozialen und popästhetischen Konzept, das Schwarzsein heißt.

Sie hat bloß in Photoshop eine Farbwahl getroffen. Damit begibt sie sich nur scheinbar in eine gleich zweifach, nämlich geschlechtlich und rassisch benachteiligte Rolle: Die schwarze Frau mag in der realen Welt im Zentrum aller Benachteiligung stehen - von der tendenziell machistischen afroamerikanischen Kultur wie der weißen Mehrheitskultur wird sie fast ausschließlich auf ihre Körperlichkeit reduziert und kaum je als denkender Mensch sichtbar.

Als Popfigur hingegen ist sie das Erfolgsmodell der Stunde - womöglich auch aufgrund der Logik, dass die am meisten marginalisierte Stimme zugleich immer die authentischste sei.

Mariah Carey, die erfolgreichste Musikerin der neunziger Jahre und der tragisch verirrte Popstar des neuen Jahrzehnts, bezeichnet ihre virtuelle Schwarzwerdung im Albumtitel hingegen gleich als Emanzipationsgeschichte.

Gemeint ist damit keine feministische, gar politische, sondern im Gegenteil eine Art Frauwerdung, die sich allein auf die Vorstellung von totaler Sinnlichkeit bezieht. Die musikalische Ausdrucksform und der popkulturelle Echoraum dafür ist der R&B, und tatsächlich ist der heute eine weibliche Domäne, jedenfalls was die Performer angeht.

Außer Usher und dem allerdings durch andauernde Gerichtstermine verhinderten R. Kelly gibt es eigentlich keine männlichen R&B-Sänger mehr.

Tweet (Foto: Foto: AP)

So wie es umgekehrt bis auf Missy Elliott eigentlich keine Rapperinnen mehr gibt, die doch in den neunziger Jahren noch den traditionell männlichen Hip-Hop zu feminisieren schienen.

Heute muss man Hip-Hop und R&B vielmehr als jeweils männlich beziehungsweise weiblich codierte Komplementärgenres verstehen, die zusammen so wirkmächtig wie keine andere Kunstform afroamerikanische Identitäten produzieren.

Das Geschlechterbild des Hip-Hop ist traditionell simpel, nicht nur was die klassische Gangsta-Rolle des Mannes angeht, die mittlerweile durch die Figur des ghettosmarten Geschäftsmanns abgelöst und sozusagen legalisiert wurde. Frauen kommen im männlichen Hip-Hop fast nur in zwei Kategorien vor, als Bitch oder Mama, also als extrem sexualisierte Objekte der Begierde oder als extrem entsexualisierte Muttergeschöpfe.

Der R&B setzt dagegen das Selbstbild der sinnlichen Frau, die ihre Position durch Verführung und Verweigerung gewinnt. Was bleibt, ist die weibliche Fixierung auf ihre eigene Fleischlichkeit als Machtinstrument - und auf den Mann. Die Frau als wenigstens ihre eigene Geschlechtsidentität autonom bestimmendes Subjekt existiert im Grunde nicht.

Und wenn doch, dann ist das ein Ereignis, allerdings ein erneut sexuell konnotiertes: Als Tweet vor drei Jahren mit "Oops (Oh My)" ein Lied veröffentlichte, dessen Text eine Masturbationsphantasie beschrieb, und zwar nicht als Ersatzhandlung mangels Penetrationspartner, ging das gleich als revolutionärer sozialer Realismus durch.

Eine solche Annahme rechtfertigt sich allein aus den engen Genrekonventionen des R&B. Er ist, auch wenn sich die Musik häufig so anhört, kein ideeller Nachfolger des Soul, der zumindest einer spirituellen Befreiungsidee folgte, durchaus auch einer politischen und gesellschaftlichen.

Der R&B hingegen kennt keine Utopie außer der konsumistischen, darin ist er ganz gegenwärtig, und er befasst sich ansonsten mit nur einem Themenkomplex, dem ewigen Zyklus von Verlieben, Lieben, Entlieben. Mit besonderer Betonung auf dem Mittelteil, der gewöhnlich im Bett stattfindet: Befreit wird da gar nichts, außer der Körper von überflüssiger Kleidung. Was sich an modernen R&B-Lyrics also vor allem ablesen lässt, ist der Geschlechter-Status-quo aus weiblicher Sicht.

Und da bietet Tweets zweites, ebenfalls toll klingendes Album "It's Me Again", das nach diversen Verschiebungen nun Ende des Monats erscheinen soll, leider keine neuen Erkenntnisse. "Sports, Sex & Food", lautet der Titel eines Liedes, und Tweet empfiehlt darin den Geschlechtsgenossinnen, sie mögen sich auf diesen drei Feldern fortbilden - um den Männern zu gefallen.

Tatsächlich wirkte das Selbstbild der R&B-Frauen zunächst fortschrittlicher. Vor ein paar Jahren traten sie in ihren Videos und hypermodernistischen Songs noch als afrofuturistische Cyborg-Phantasien auf, gleich so als wollten sie die feministischen Theorien Donna Harroways bebildern und mit schwarzer Mythologie und den lässigsten Beats der Popgeschichte kreuzen. Sogar die immer als Mainstream-Act gedachten Destiny's Child sangen von "Independent Women".

Doch diese Unabhängigkeit hat offenbar enge Grenzen, die nicht angetastet werden. Vor allem wenn Männer in der Nähe sind. Beyoncé Knowles, die Frontfrau des Trios und prominentestes Aushängeschild des R&B, verkörpert dessen multiple Rollenanforderungen wie keine andere: Sie inszeniert sich als Geschäftsfrau, Hascherl, Superstar, Werbeikone, Anführerin der in R&B-Texten stets vorkommenden Frauenclique - und begibt sich im Beisein ihres Lebensgefährten, des Hip-Hop-Moguls Jay-Z, klaglos in die Rolle als Frau an seiner Seite.

Folgte man dem Inhalt der aktuellen Single von Destiny's Child, so lässt sich das nicht als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung verstehen, sondern als Teil einer Dienstleistungsbeziehung zwischen den Geschlechtern. Auf "Soldier" wird ein strenges Anforderungsprofil für potenzielle Liebhaber formuliert: Ein "rude boy with street credibility" muss er sein, seine Frau verteidigen können, und 80 Karat um ihren Hals sind auch ein gutes Argument.

Das ist nichts anderes als die Anwendung männlicher HipHop-Protzereien auf die Herren selbst. Doch leider ist es nicht ironisch gemeint, sondern als ernsthafte Bestätigung - die Frau erfindet sich weiter nach männlichen Vorgaben.

Herauskommt dabei trotzdem die aufregendste und zugleich erfolgreichste Popmusik der Gegenwart. Da reicht ein kurzer Blick in die Charts: Chiaras "1, 2 Step" zum Beispiel ist ein Monstertrack, der, wie einst Africa Bambaataas epochales "Planet Rock", Kraftwerk-Zitate mit einem unfassbar guten Groove verbindet; "Only U" von Ashanti operiert so kunstvoll mit einem verzerrten Gitarrensound herum, dass einem die Tränen kommen; "Get Right" von Jennifer Lopez, neben Carey die andere weiße Diva-Darstellerin, die mit und in afroamerikanischen Popcodes arbeitet, schafft etwas ähnliches mit einem nervig-coolen Saxofonloop; und "Soldier" von Destiny's Child schließlich mag inhaltlich ein Desaster sein, der Song hat aber trotzdem einen ziemlich guten Rhythmustrack.

Mit herkömmlichen Vorstellungen von Autorenschaft allerdings lässt sich diese Musik nicht mehr verstehen, und die Beteiligung der Sängerinnen am kreativen Prozess ist auch nicht in dem Sinne messbar, dass man daraus ihren Grad an Emanzipiertheit herleiten könnte.

Denn Alben wie die von Mariah Carey, Tweet und Destiny's Child werden heute ganz ähnlich wie Hollywood-Blockbuster gefertigt: Mindestens eine Hand voll, außerMissy Elliott durchweg männliche Produzenten arbeitet daran parallel mit ihren Teams von Sound-Designern, Software-Experten und Studio-Nerds. Die Credits erreichen deshalb Längen, die denen eines Filmabspanns nahe kommen. Zwar gibt es kaum eine R&B-Performerin mehr, die nicht mindestens als Mitautorin und so genannter Co-Executive-Producer genannt würde.

Doch durch die hochgradig arbeitsteilige Produktionsweise bleibt ihr Einfluss unklar. Im Zweifel spielen die Sängerinnen nur die weibliche Hauptrolle in technisch hochgerüsteten R&B-Blockbustern, deren einziges Problem bald werden könnte, dass daran immer die gleichen Produzenten werkeln. Denn eines Tages wird denen kein noch geilerer Beat, kein noch ausgefuchsterer Sound, kein noch schiebenderer Groove mehr einfallen.

© SZ v. 16./17.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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