Sabine Christiansens Sendeschluss:Es ist vorbei, bye, bye, Junimond

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Die Welt schaut rauf zu meinem Fenster: Zehn Jahre hat sie den Polit-Talk geprägt, zehn Jahre hat sie gute Quoten und böse Prügel bekommen - nun sagt sie, zehn Jahre seien genug. Und sie sagt: "Es ist nicht so, dass man sich einen Schutzpanzer kaufen kann." Das Fazit.

Juan Moreno

Renate Schmidt sitzt im Studio und ruft die Revolution aus. Sie trägt ein rotes Jackett und sagt, dass umgedacht werden muss. Deutschlandweit. Da läuft in der Pflege seit längerem einiges falsch. Man muss an die Bürokratie ran. Und an die Pflegestufen.

Sabine Christiansen müsste jetzt etwas sagen.

Es ist Sonntagabend, das ist ihre Sendung, ihr Beruf. Sabine Christiansen ist Deutschlands wichtigste politische Journalistin. Sie könnte sich jetzt etwas weiter nach rechts zu Renate Schmidt drehen, und fragen: Aber Frau Schmidt, Sie waren doch bis vor kurzem Familienministerin. Sie waren für die Pflegeversicherung mitverantwortlich, wie können sie denn jetzt sagen, dass da schon lange etwas falsch läuft?

Sabine Christiansen fragt nicht. Renate Schmidt kommt gut durch die Sendung. Sie sitzt im Beirat der Sabine-Christiansen-Kinderstiftung.

Bei der ARD sagen sie, man schätze Christiansens Gastgeberqualitäten. Die Zeitungen schreiben, sie sei inkompetent, mache sich mit zu vielen Gästen gemein. Die entscheidende Frage, die nicht kommt - das Christiansen-Problem. Seit fast zehn Jahren schreiben sie das, und weil Christiansen kein Nachname mehr ist, sondern ein Synonym für die Art, wie in Deutschland über Politik geredet wird, sei das auch ein Gesellschaftsproblem.

Ab Sonntag ist es gelöst. Sabine Christiansen wird mit Horst Köhler sprechen. Nur der Bundespräsident und sie. Es wird ihre letzte Sendung sein, 447 hat sie dann gemacht. Die Zuschauer im Studio werden dem Präsidenten Fragen stellen dürfen. Dabei hätten sie vermutlich mehr Fragen an Sabine Christiansen.

Zum Beispiel, was bleibt, wenn man dem Menschen Sabine Christiansen die Sendung Sabine Christiansen wegnimmt. Ob es stimmt, dass sie wegen der Liebe alles hinschmeißt. Am meisten aber dürfte die Zuschauer interessieren, wie es kam, dass sie das alles ausgehalten hat. Sie hat immer weitergemacht, ist nicht durchgedreht. Wie macht man das?

Sabine Christiansen sitzt in ihrem Berliner Büro. Ein ambitioniertes Büro. Groß, hell, weiß. Die Ledersessel sind von Mies van der Rohe, im halbhohen Wandregal steht ein Haufen Anerkennung in Gold. Bambi, Grimme-Preis, Bayerischer Fernsehpreis und noch einiges mehr. Auf zwei Flachbildschirmen sterben Menschen im Irak. Links BBC, rechts CNN. Ton ist aus. Das Büro zu fünf Millionen Einschaltquote am Sonntagabend.

"Es ist nicht so, dass man sich einen Schutzpanzer kaufen kann", sagt sie. Sabine Christiansen soll über die Verrisse reden, darüber, dass es nahezu unmöglich ist, eine Fernsehkritik zu finden, in der steht, dass sie ihre Sache gut macht.

Manchmal findet man einen Satz. Meistens ist er ironisch gemeint. Wenn nicht, kommen auf die 10 Zeilen Lob 200 Zeilen Häme. Das geht schon immer so. Ihr ganzes Leben lang hat eine sehr ehrgeizige Frau gesagt bekommen, dass sie es nicht kann, dass alles, wofür sie jeden Tag arbeitet, jeden Tag aufsteht, nicht gut genug ist. 20 Jahre lang. Vermutlich sagt diese Zähigkeit mehr über sie aus als alles andere.

Sabine Christiansen sitzt sehr gerade, das Kreuz ist durchgedrückt. Man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich in die Mies-van-der-Rohe-Sessel fläzen könnte. Wie ist das nun mit der Kritik? "Ich habe ja schon gesagt, dass man sich nicht einen Panzer kaufen kann."

Mehr wird sie dazu nicht sagen, ganz gleich, wie oft man nachfragt. Als Sabine Christiansen 1987 zu den Tagesthemen kam, sie war 29 und die erste Frau, ordnete ihr damaliger Kollege Hanns Joachim Friedrichs an, das gemeinsame Büro der Sekretärinnen zu trennen.

Erst als Ulrich Wickert kam, wurden die beiden Büros wieder zusammengelegt. Friedrichs soll in der ersten Zeit nicht mit Sabine Christiansen gesprochen haben. Er hatte 35 Jahre als Journalist gearbeitet, war eine Ikone, bevor er die Tagesthemen moderieren durfte. Sabine Christiansen war im Grunde gerade mit der Ausbildung fertig. Es war nicht fair. Er war nicht fair.

Sabine Christiansen passte sich an. Je häufiger die Redaktion sie spüren ließ, dass sie nicht gut genug war für den Job an der Spitze der ARD-Nachrichten, umso härter wurde sie, zu sich und zu anderen. Eine ihrer Kolleginnen erzählt die Geschichte von der Verwandlung. Die Verwandlung, das ist ihr Markenzeichen. Das haben sie in der Redaktion nicht fassen können. Kurz vor der Sendung sei Sabine Christiansen manchmal fahrig, durcheinander, unvorbereitet gewesen. Sie habe ein Thema nicht drauf gehabt, und jeder in der Konferenz habe es gemerkt. Dann sei sie aus der Maske gekommen, habe sich ins Studio gesetzt und - funktioniert. Die Verwandlung ist ihre Gabe. Die Rolle ihres Lebens.

Die meisten Zuschauer mögen Sabine Christiansen. Ihre freundliche Art, das Ruhige, das Harmonische. Vielleicht wollen die Menschen das einfach. Am Sonntag bitte langsam. Gerade nach dem Tatort. Am Sonntag nur Christiansen, Ermüdungsbecken zum Gucken. Westerwelle, Falter, Stiegler, Pofalla, Roth, Gysi. Genau richtig, kurz vorm Schlafengehen. Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch so, dass jemand, der zehn Jahre lang eine Sendung gemacht hat, von der zu Beginn alle sagten, dass es sie keine sechs Monate geben wird, nicht so schlecht sein kann.

"Die macht eine Menge richtig." Günter Struve ist Programmdirektor der ARD. Weißes Haar, 66 Jahre, lange dabei, schlau. Marienhof, Jörg Pilawa, Harald Schmidt - ist alles Struve gewesen. Nicht allein, aber ohne ihn wäre es auch nicht gegangen.

Man sagt, dass er auch RTL führen könnte. Von ihm ist das mit den Gastgeberqualitäten. Vor zehn Jahren hat er Sabine Christiansen die Sendung gegeben. Sat1 hatte Talk im Turm ins Programm genommen und holte mit politischem Talk tolle Quoten. Nicht mit Sex wie früher.

"Wir konnten Erich Böhme nicht den Sonntag überlassen", sagt Struve. Das habe ihn rasend gemacht. Die Frage war, wer gegen Böhme gesetzt werden sollte. Bei der ARD stritten sie lange. Die eine Hälfte der Anstalten wollte, dass Sabine Christiansen es macht, die andere genau das verhindern. Fünf zu fünf stand es nach der entscheidenden Abstimmung. Struve brachte als Programmdirektor seine Stichstimme ein. Sechs zu fünf. Sabine Christiansen hatte die Sendung.

Zehn Jahre später wird Günter Struve sagen, dass er sie ihr nicht wieder weggenommen hat. Das ist seine Darstellung.

Eine andere Darstellung erfährt man in ihrem Umfeld. Es soll am 7. Juni 2006 gewesen sein, zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft, als Struve im Bayerischen Hof in München Sabine Christiansen gesagt haben soll, dass Günter Jauch ihre Sendung bekommt.

Mit ihm hat Struve verhandelt. Jauch war nicht billig, aber irgendwann hatte er ihn so weit. Ein paar Monate später zieht Jauch zurück und die ARD gibt Anne Will die Sendung. Im Juni 2006 aber scheint alles noch klar zu sein. Noch ein paar Wochen zuvor hat Sabine Christiansen sich einen Traum erfüllt. George W. Bush im Einzelinterview. Im Weißen Haus. Vor dem Kamin. Sabine Christiansen soll nicht lang im Bayerischen Hof geblieben sein.

Etwa drei Wochen später kann man in der Zeitung lesen, dass sie freiwillig aufhört. Die Sendung werde noch ein Jahr weiterproduziert, dann seien die zehn Jahre um. Zehn Jahre, das sei ein guter Moment um aufzuhören. Sie wolle jetzt kürzer treten.

Nur um das klarzustellen: Ihr wurde nicht gekündigt, sie sei gegangen. Und noch was, sie sei verliebt. Sein Name ist Norbert Medus, französischer Modeunternehmer und ein wunderbarer Mann. Die Bild zeigt Fotos von Christiansen und Medus. Beide verliebt in Paris. Es ist eine ungewöhnliche Geschichte. Im Februar hatte sich Sabine Christiansen offiziell von Bayer-Aufsichtsrats-Chef Manfred Schneider getrennt. Vier Monate danach gibt sie ihr bisheriges Leben für einen neuen Mann auf. Später wird sie bei Kerner aufreten und von ihm reden. Sie werde nach Paris ziehen. Sie erzählt von den Schwierigkeiten, einen Telefonanschluss in Frankreich zu bekommen. In Paris wird sie im 7. Arrondissement leben. Es ist ein schönes Haus. Peter Scholl-Latour wohnt im selben.

Sabine Chrisiansen ist noch viel dünner und zierlicher, als es im Fernsehen aussieht. Sie will nichts sagen zum Bayerischen Hof. Da gehe sie nur zum Filmball hin. "Ich habe stets nach zehn Jahren aufgehört, das mache ich immer so. Zehn Jahre Tagesthemen, zehn Jahre Christiansen. Warum versteht man das in Deutschland nicht?"

Sabine Christiansen wird im Herbst heiraten. Den Franzosen. Die Bild-Zeitung hat vor ein paar Tagen darüber berichet. Die Bunte hat eine große Geschichte gemacht. Neuer Mann, neues Leben, neue Stadt, Christiansen geht es super, schreibt die Bunte. Mitarbeiter in der Redaktion sagen, dass es ihr beschissen geht.

"Ach Quatsch. Man muss sich keine Sorgen um Sabine Christiansen machen." Einer ihrer besten Freunde heißt Klaus Wowereit, er ist Regierender Bürgermeister von Berlin und sitzt in seinem Büro im Abgeordnetenhaus. "Sabine Christiansen ist ein wunderbarer Mensch, eine professionelle Journalistin und eine exzellente Networkerin", sagt er, aber mit dem Begriff Freundschaft sei er vorsichtig.

Vielleicht auch, weil er weiß, dass Journalisten nicht mit Politikern befreundet sein sollten. Dann macht er das, was man von einem Freund erwartet. Er nimmt Sabine Christiansen in Schutz. Eine Stunde lang. Er sagt, dass die Medien die Christiansen-Nachfolge wie eine Staatsangelegenheit diskutiert hätten, und dass so etwas vor ihr undenkbar gewesen wäre. Er sagt, dass sie jahrelang fünf, sechs Millionen Zuschauer hatte. Er sagt, dass nun auch die Konkurrenten mit fallenden Quoten zu kämpfen haben. Er nennt die Konkurrenz und ihre Quoten, Illners und Christiansens. Sie habe immer nur an ihre Sendung gedacht. Klaus Wowereit ist ein toller Freund.

Vermutlich hat Klaus Wowereit recht. Man muss sich keine Sorgen um Sabine Christiansen machen. 35000 Euro soll sie für eine Sendung bekommen haben. Ihr gehört die Produktionsfirma TV21 zu einem Viertel. Und sie moderiert noch immer die englischsprachige Talk-Show Global Players auf CNBC Europe. Die Allianz-Versicherung sponsert die Show. Viele würden sagen, dass dies ein Abstieg sei. Sabine Christiansen findet das nicht. "Wir treten mit Global Players gegen CNN, Fox oder auch die BBC an, das ist eine ganz andere Herausforderung, als im deutschen Abendprogramm zu bestehen. Es geht um globale Zusammenhänge."

CNBC Europe ist ein Spartensender von CNBC, der wiederum ein Spartensender von NBC ist. Sabine Christiansen moderiert künftig also im Spartensender eines Spartensenders. Die nächste Sendung wird in Valencia aufgezeichnet. Es wird darum gehen, ob es sich für Unternehmen lohnt, den America's Cup zu sponsern.

Wenn Sabine Christiansen von ihrem Schreibtisch aufschaut, sieht sie den Reichstag. Er ist ganz nah. Wenn man ihr unangenehme Fragen stellt, lächelt sie. Es ist kein ansteckendes Lächeln, es ist das Lächeln, das zu einem durchgedrückten Rücken passt. Für einen Moment spürt man die Verwandlung, von der ihre Mitarbeiter sprechen. Diesmal in die umgekehrte Richtung.

Sonntag ist es vorbei.

© SZ v. 23./24.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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