Russischer Oppositionspolitiker Limonow:Limonow muss babysitten

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Bisexueller Macho und narzisstischer Krakeeler - zu Besuch bei dem Schriftsteller Eduard Limonow in Moskau: "Wenn ich Putin damit eins auswischen kann, will ich unbedingt den Nobelpreis."

Sonja Zekri

Eduard Limonow musste das Interview verschieben. Am Telefon klang er verlegen: "Ich muss das Kind hüten." Der Schriftsteller und Politiker Limonow, bisexueller Macho und narzisstischer Krakeeler, Söldner bei serbischen Heckenschützen in Bosnien, angeklagt wegen Terrorismus und verurteilt wegen Waffenbesitzes, Eduard Limonow muss babysitten.

Am Tag danach. Ein stilles Viertel hinter dem Kursker Bahnhof, zwischen den Wohnblöcken ragt das Gerippe eines Spielplatzes auf. Ein junger Mann öffnet die Tür, schwarzer Anzug, todernste Miene. Dann kommt Limonow. Er ist schmaler als früher, trägt eine schwarze Krawatte zum schwarzen Hemd und einen grauen Spitzbart: Ein bisschen Trotzki, ein bisschen Catweazle. Das Händeschütteln kostet ihn Überwindung, er schaut dem Besuch nicht in die Augen. Ziemlich verdruckst, der Mann, und sehr übernächtigt (das Kind!). Nur seine Worte klingen wie immer nach einem ausgewachsenen Napoleon-Komplex.

Der Moskauer Galerist Marat Gelman hat gesagt, die größte Katastrophe für den Kreml wäre es, wenn Limonow den Literaturnobelpreis erhalten würde, diese Ehre wäre für Präsident Putin so verheerend wie die Auszeichnung Solschenizyns für die Sowjetunion. Limonow zuckt nicht mit der Wimper. "Ja, ich bin ein großer Schriftsteller, vielleicht der beste in Russland", sagt er nachdenklich, "Und wenn ich Putin damit eins auswischen kann, will ich unbedingt den Nobelpreis."

Heute mögen ihn sogar Liberale

Denn Eduard Limonow ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch "Führer" der verbotenen "Nationalbolschewistischen Partei". Und er ist Mitglied der Oppositionsbewegung "Anderes Russland", was eine der denkwürdigsten Fügungen der russischen Politik ist. Seit Monaten marschiert er Seite an Seite mit dem Schachgroßmeister Garri Kasparow bei den Protesten der "Nicht-Einverstandenen", ja, gerade Limonow mobilisiert die Massen. Kasparow, der aserbaidschanische Liberale und Liebling des Westens, und Limonow, der einst von einem "russischen Reich von Wladiwostok bis Gibraltar" träumte und dessen Jünger den Slogan "Für die Reformer! Stalin! Berija! Gulag!" schwenkten, bewegen sich an entgegengesetzten Rändern Russlands. Aber nach acht Jahren Putinismus haben beide ein gemeinsames Ziel, das Limonow in vier Worten zusammenfasst: "Die Demontage des Systems".

Im Moment läuft die Demontage nicht sehr gut. Ex-Premier Michail Kasjanow ist aus der Allianz "Anderes Russland" ausgeschieden. Die Frage nach einem Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr ist ungeklärt. Dennoch sieht Limonow keinen Grund für Pessimismus, der Kampf sei Ehrensache, er werde zum Sieg führen. Er muss. "Bei uns herrscht die totale Lüge, die totale Unfreiheit", sagt er. "Nehmen Sie die Wahlen: Es werden nur gehorsame Parteien zugelassen. Es gibt keine Freiheit nur ein riesiges Lügenregime."

Wenn Limonow über Freiheit spricht, klingt er wie ein UN-Vertreter, und es sind solche glühenden Anklagen, die ihm den Beifall selbst liberaler Demokraten eingebracht haben. "In der Diagnose stimme ich mit ihm überein", sagt die Politologin Lilia Schewzowa vom Moskauer Carnegie Center: "Aber natürlich ist er immer noch ein Radikaler."

Limonow hatte vorgeschlagen, 400 Oppositionskandidaten für die Duma-Wahl im Dezember aufzustellen, und falls die Liste erwartungsgemäß abgelehnt würde, könnte man ja im Zentralen Wahlkomitee die Tische umkippen. "Wir wollen den Konflikt", sagt Limonow, "einen anderen Ausweg haben wir nicht." Seine Anhänger werfen Eier auf Politiker; in Riga haben sie Mitte der Neunziger eine Kirche besetzt aus Protest gegen die Unterdrückung der russischen Minderheit; im ukrainischen Sewastopol verschanzten sie sich im Seemannsclub und warfen Flugblätter herab: "Sewastopol ist eine russische Stadt".

Damals, in den liberalen Jelzin-Jahren, galt so was als alberne Fascho-Gags. Im heutigen Russland aber, in einem Land ohne faire Wahlen, ohne politischen Diskurs im Parlament, ist die Straße der einzige Schauplatz politischer Auseinandersetzung. Dass die kremltreue Putin-Jugend "Naschi" im Denkmalstreit mit Tallinn die estnische Botschaft belagerte, beweist den Modellcharakter solcher Happenings.

Und Stanislaw Belkowskij, Direktor des Instituts für Nationale Strategien und Mitglied der Allianz "Anderes Russland", sagt: "Natürlich sind wir chancenlos. Eine politische Opposition ist heute in Russland nicht mehr möglich, nur noch eine ästhetische." Dass viele die Nationalbolschewiken ohnehin als eine Art präpotentes Gesamtkunstwerk sehen, kommt Limonow nur entgegen. Ihm dienen Literatur, Politik und Revolution ohnehin nur als Kulisse einer romantischen Selbstinszenierung. Die Politik hat ihn ins Gefängnis gebracht, sagt er, aber ohne Gefängnis hätte er vielleicht nie geschrieben.

Über vierzig Bücher dokumentieren seine politischen und persönlichen Exzesse, als donnernde Manifeste oder ironiefreie, hemingwayhafte Höllentrips wie etwa "Das Buch des Wassers", in dem er noch einmal in die Flüsse, Meere, Brunnen seines Lebens steigt. In seinen Werken, hat die Literaturwissenschaftlerin Olga Matich geschrieben, verschmelzen "die Figuren des Dichters, Propheten und politischen Führers. Sie bringen seine alte Phantasie zum Ausdruck, zum Nationalhelden zu avancieren."

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Limonow ein Provokateur mit Peter-Pan-Syndrom ist.

Der Aufstieg des künftigen Nationalhelden begann bescheiden. Geboren als Eduard Wenjaminowitsch Sawenko, Sohn eines Geheimdienstoffiziers in Dserschinsk an der Wolga, verdingte sich der junge Limonow als Kleinkrimineller, dann als Untergrund-Lyriker. Mitte der Siebziger muss er die Sowjetunion verlassen. Er reist nach New York und schreibt sein vielleicht schönstes Buch "Fuck off, Amerika", eine liebes- und lebensgierige Studie in Einsamkeit.

Limonow arbeitet als Kellner und Möbelpacker, lebt in der Gosse, leidet wie ein Tier und genießt es. Er liebt die Straßen, geht immer zu Fuß. Er denkt sich imaginäre Verabredungen aus und kommt immer zu früh, "um dem anderen zu beweisen, wie sehr mir an seiner Bekanntschaft gelegen war. Doch der andere kam nicht".

Er verschwendet sich, liebt hierhin und dorthin, findet Frieden einzig in den Armen schwarzer Männer. Angeekelt flieht er nach Frankreich, schließt sich den Ultrarechten an. Dann fällt die Sowjetunion. Die Emigration als Mittel des Protestes hat sich erledigt. Limonow kehrt heim, reizt die Liberalen mit einer "totalisierenden Poetik der Verärgerung" (Matich) bis aufs Blut. Erst als er zu vier Jahren Haft verurteilt wird und nach zwei Jahren wegen guter Führung entlassen wird, söhnt sich ein Teil der Intelligenzia mit dem Dissidenten aus.

Und nun marschiert dieser Limonow für ein freies Russland. "In einer Zeit, in der fast alle anderen Parteien gekauft oder gezähmt sind, sind die Nationalbolschewiken die einzige Partei, die außerhalb des Systems steht", sagt Belkowskij. 55 000 Mitglieder habe seine Organisation, sagt Limonow. Auf Kundgebungen brüllt er Groupies Anfang zwanzig mit heiserer Stimme in Extase, ansonsten gibt er sich als graue Eminenz. 24 seiner Anhänger sind im Gefängnis, er nicht. Warum? "Wollen Sie, dass ich die ganze Zeit im Knast sitzen?" - Ist er vorsichtiger geworden? - "Vielleicht."

Die Partei ist verboten, ebenso die Parteizeitung Limonka, Handgranate. In den nächsten Tagen fällt die endgültige Entscheidung des Obersten Gerichtes, danach droht neuer Ärger. Mehr noch: Andrej Lugowoj, jener Ex-Spion, den Großbritannien des Litwinenko-Mordes verdächtigt, habe gesagt, er habe auch ihn, Limonow, beseitigen sollen. "Ich nehme das ernst, hinter Lugowoj stehen die Geheimdienste", sagt Limonow.

Ritterschlag mit dem Knüppel

Das kann stimmen oder auch nicht, wie so viele Gerüchte, aber zweifellos hat der Kreml Limonow den Gefallen getan und den Fehdehandschuh aufgenommen. Auch wenn es ein Ritterschlag mit dem Gummiknüppel ist - dem Adrenalin-Junkie Limonow kann gar nichts Besseres passieren. Er erträgt vieles, aber keinen Konsens.

Aber angenommen, das Wunder geschähe, Putin würde abgelöst, freie Wahlen brächten die Opposition in den Kreml, was dann? "Wir wären eine Partei neben anderen. Es gäbe keine radikalen Experimente. Wir wünschen uns für Russland nur 10, 20 Jahre Ruhe und Wohlstand", sagt er. Aber steht im Programm der Nazboly nicht noch immer, dass das Recht des Menschen weniger gilt als das Recht der Nation? "Oh, wir hatten im Laufe der Jahre viele Programme." Und die Fahne - weißer Kreis auf rotem Grund, in der Mitte Hammer und Sichel - wie passt die zum Pluralismus? "Es muss ja nicht Russlands Fahne sein, es ist unsere Fahne." Leise rieselt dem Wolf der Kreidestaub aus dem Mund.

Belkowski ist überzeugt, dass Limonow sich ändern kann. Aber was ist Läuterung, was Taktik? Als Alexander Dugin, die rechte Hälfte der Nationalbolschewiken, 1998 die Partei verließ, hatte Limonow erklärt, nun sei die Partei vor allem rot und links. "Aber das habe ich nur gesagt, um die Sympathie der Medien zu gewinnen", schreibt er in "Meine politische Biographie". Diese Sympathie habe sich nicht eingestellt, und "darum nehme ich die Worte zurück."

Inzwischen ist Limonow Mitte sechzig, ein Provokateur mit Peter-Pan-Syndrom, nicht aufrichtig, aber auch nicht sehr gefährlich, eher rührend und ein bisschen abstoßend, wie alle Männer, die nicht erwachsen werden wollen. "Alle Kinder sind Extremisten", hat er mal geschrieben: "Ich bin ein Extremist geblieben." An der Wand hängen Fotos von Limonow in Kampfkluft auf einem Panzer. "Tadschikistan", sagt er, "Eine lange Geschichte, ach was: Ein Roman von Dumas."

© SZ vom 3.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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