"Royal Tenenbaums":Wir Wunderkinder

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Im Dschungel der Emotionen: Wes Andersons neuer Film "Die Royal Tenenbaums" mit Gene Hackman und Gwyneth Paltrow

SUSAN VAHABZADEH

Manchmal scheinen Menschen in einer Zeitschleife gefangen zu sein - alles an ihnen wirkt seltsam, weil sie einen Moment in der Vergangenheit festhalten, vielleicht nicht den besten, aber einen, der noch alle Möglichkeiten geboten hat; und um das Gefühl der Hoffnung festzuhalten, schaffen sie um sich herum einen Kokon aus verblühten Gegenständen. So eine Familie sind die Tenenbaums: Alles an ihnen ist ein bisschen past its prime, die Klamotten erzählen von besseren Zeiten, die irgendwann in den Siebzigern gewesen sein müssen oder in einer Traumzeit - als ihre etwas heruntergekommene Villa noch ein Palast war. Sie sind auch ansonsten in ihrer Entwicklung stehen geblieben: Keiner von ihnen will erwachsen werden, nicht mal die Eltern. Und über allem schwebt die bange Frage: Was, wenn das Beste schon vorüber ist?

(Foto: SZ v. 13.03.2002)

Man kann die Familie Tenenbaum eigentlich nur lieben oder hassen - für zögerliche Gefühlsabstufungen dazwischen bieten sie keine Projektionsfläche. Royal, der Vater, ist ein egozentrischer Lebemann, der seine Enkel in der Kunst des Ladendiebstahls unterrichtet; seine Frau Etheline lebt seit Jahren von ihm getrennt und führt den Mann, der sie liebt, dauernd an der Nase herum; und die nächste Generation der Tenenbaums ist von Wunderkindern zu traumatisierten Nervensägen herangereift. Eigentlich muss man für jeden Verständnis haben, der dieses Sammelsurium gescheiterter Exzentriker zu anstrengend findet.

Wes Anderson hat "Die Royal Tenenbaums" stilisiert bis ins kleinste Detail, und eigentlich erzählt er eine komplett unglaubwürdige Geschichte; man schreckt also entweder schon vor der Oberfläche zurück - oder man lässt sich ein auf dieses Spiel, und findet das psychologische Drama, das sich hinter der Maske einer absurden Komödie verbirgt.

Von früher erzählt der Prolog, als Royal Tenenbaum noch reich war und seine Kinder Genies: Chas war ein Börsen-Wunderkind, Richie ein Tennis-As, und die adoptierte Margot hat in der neunten Klasse ihr erstes preisgekröntes Stück geschrieben. Nun ziehen sie, einer nach dem anderen, wieder bei der Mutter ein - drei grotesk traurige Geschichten. Chas (Ben Stiller) steht mit seinen Söhnen vor der Tür, weil er sich seit dem Tod seiner Frau nicht mehr sicher fühlt zuhause - und die drei geben ein Bild ab, das zum Brüllen komisch ist, rote Adidas-Anzüge in unterschiedlichen Größen, und lächerlich paranoid.

Richie (Luke Wilson) in seinem Björn-Borg-Outfit kommt von einer mehrjährigen Schiffsreise zurück. Die traurige Margot (Gwyneth Paltrow) hat sich in der Wohnung ihres Ehemanns sowieso nur noch im Badezimmer eingeschlossen und will heim zu Mama. Der einzige, den Etheline (Anjelica Huston) nicht wieder ins Nest lassen will, ist Royal (Gene Hackman), der wegen Zahlungsunfähigkeit aus seiner Hotelsuite geflogen ist. Also gibt er vor, sterbenskrank zu sein. Allerdings hat sich Royal bei Chas und Margot so oft in die Nesseln gesetzt, dass sie ihn auch todkrank und pleite noch auf die Straße setzen würden: Zu Wochenendbesuchen hat er immer nur Richie abgeholt. Richies bester Freund, ein alberner Literaturstar (Owen Wilson), macht das Chaos komplett. Fehlt eigentlich nur noch, dass sich Richie in seine Adoptivschwester verliebt; und das tut er auch.

Eigentlich ist alles schrecklich in diesem Haus, aber Anderson führt einen immer wieder in die Irre der Gefühle. Immer, wenn man sich auf dem sicheren Boden der Komödie glaubt, wird plötzlich das Entsetzliche sichtbar. Und man sitzt da mit einem unangebrachten Schmunzeln oder der falschen Rührung. Gene Hackman hat die besten Auftritte dieser Art - er versucht verzweifelt, seine Kinder zu umgarnen, steht sich aber selbst im Weg: Einmal bittet er sie, mit zum Grab der Großmutter zu kommen, um einen neuen Familienzusammenhalt zu entwickeln, und fast schon will man gerührt sein, bis Margot sagt, dass sie schon früher nie mitgenommen wurde zur Großmutter. Und dann sagt Royal: Du bist schließlich adoptiert.Es ist Margot - die heimlich im Badezimmer raucht, obwohl ihr niemand das Rauchen verbieten würde - bei der am deutlichsten klar wird, worum es eigentlich geht: Hinter den exzentrischen Auftritten steht der Wunsch, einzigartig zu sein, die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Liebe. Das ist alles übersteigert - aber man kann trotzdem sich selbst wiedererkennen in den Ängsten und Sehnsüchten.

Andersons Film gibt nicht vor, die Abbildung einer Wirklichkeit zu sein, die es nicht gibt, sondern kommt wie die Verfilmung eines John-Irving- Romans daher, den Irving nie geschrieben hat. "Die Royal Tenenbaums" leben in einer akribisch geplanten Phantasiewelt, wie sie sich Max Fischer ausgedacht haben könnte, das Wunderkind in "Rushmore", dem letzten Film, den Wes Anderson und sein Co-Autor Owen Wilson gemacht haben. Eine seltsame Mischung aus ersponnener Welt und realen Bezügen ist dabei herausgekommen. Gerade jene Dinge sind real, die am unglaubwürdigsten wirken - schon der Name Tenenbaum wirkt erfunden, gehört aber einem alten Freund von Anderson; und das Haus der Tenenbaums, das aussieht wie eine Gruftie-Version von Neuschwanstein, steht im real existierenden Harlem.

Die Assoziationen, die die Details auslösen, die Anderson und Owen zusammengetragen haben, sind überwältigend - der Soundtrack, mit den Stones und The Clash und den Ramones; die Spiele in einem Wandschrank, die längst verschüttete Kindheitserinnerungen freilegen; Eyeliner und Stirnbänder und gestreifte Polohemden. Dieser Dschungel aus Emotionen und Erinnerungen ist schwer zu erklären, und vielleicht muss man an den Siebzigern hängen, um sich in ihm trotzdem zurechtzufinden - aber dann erzählen die "Royal Tenenbaums" von einer Zeit, als die Welt überschaubar war und wohlhabend und alle Möglichkeiten bot. Egal, wie es damals wirklich gewesen ist - die Sehnsucht nach den vertrauten Klängen, den verschütteten Erinnerungen und den verstaubten Accessoires macht die bange Frage erträglicher, ob das Beste vielleicht schon vorüber ist.

THE ROYAL TENENBAUMS, USA 2001 - Regie: Wes Anderson. Buch: Wes Anderson, Owen Wilson. Kamera: Robert D. Yeoman. Mit: Gene Hackman, Gwyneth Paltrow, Anjelica Huston, Ben Stiller, Owen Wilson, Luke Wilson, Bill Murray. Buena Vista, 109 Minuten.

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