Rock in Bayern:Indiepop beim Tafernwirt

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Peter Höfner hat schon immer ein gutes Gespür gehabt und gründete ein Festival bei Wasserburg

Von Rita Argauer, Babensham/Wasserburg

Vor einigen Jahren blickte man immer wieder verwundert von den Tourplänen relativ bekannter Bands auf: Zwischen den üblichen bayerischen Stationen München oder Nürnberg tauchte, besonders bei einem bestimmten Schlag von Indie-Bands, öfter ein Ort auf, von dem man noch nie gehört hatte: Sankt Leonhard. Die österreichischen Ja, Panik etwa waren schon mehrmals dort aufgetreten. Die Berliner Elektro-Popper Jeans Team auch, Avantgarde-Pop von Hans Unstern gab es dort genauso wie Attwenger, Anajo oder die Münchner Monostars.

Wenn etwas im örtlichen Traditionswirtshaus unter dem Namen "Club Leonhard" veranstaltet wurde, fielen in das knapp 200 Einwohner starke Dorf zwischen Wasserburg und Waldkraiburg mehr Gäste ein als dort wohnen. "Manche Bands aus England konnten kaum glauben, dass sie hier ein anständiges Konzert spielen können", erzählt Peter Höfner, der das Wirtshaus von 2008 bis 2012 gepachtet hatte und die jeweils gerade angesagte Indie-Szene dorthin holte. Sankt Leonhard ist ein Ortsteil von Babensham im Landkreis Rosenheim. Wobei die Bezeichnung Ortsteil dem kleinen Ort eigentlich Unrecht tut. Denn Sankt Leonhard ist, genau genommen, ein eigenständiges Dorf mit einer eigenen Kirche und umliegenden Höfen; wenn auch gerade mal so viele, dass man diese an zwei Händen abzählen kann. Und den Kern markiert eben nicht nur ein Zwiebelturmkirchlein, sondern auch das Wirtshaus, eine Tafernwirtschaft.

Die Bedenken der Bands, ob sie ein Publikum in dem pittoresken Ort erreichen werden, konnte Höfner guten Gewissens zerstreuen: "Stay cool", habe er da gesagt, "da werden Leute kommen". Und die kamen. "Wir hatten ein gutes Stammpublikum", erzählt Höfner. Menschen aus den umliegenden Orten, die sich das Programm im voraus angesehen hätten, die Bands angehört haben und dann textsicher die Konzerte besucht haben.

Insgesamt war Höfner nur vier Jahre dort, weitete aber bereits in seinem zweiten Jahr das Bandprogramm aus. Die Kontakte zu den gerade relevanten Künstlern hatte er, also plante er ein Festival, das erste "Kuahgartn-Open-Air", bei dem etwa die schwedische Band Katzenjammer auftrat, die bei ihrer diesjährigen Tour im Münchner Zenith spielen wird. Er hatte schon immer ein gutes Gespür dafür, ob eine Band etwas werden würde, auch wenn sie noch klein und unbekannt war. Als er die Wirtschaft aufgab, blieb das kleine Festival, das jährlich gewachsen war.

In diesem Jahr hat er mit Attwenger, Trümmer, Jesper Munk oder dem Münchner Folk-Songwriter Impala Ray auch wieder einige bekannte Namen dabei. Doch uriger als das Festival, das zwar mit gutem Line-up besticht, aber eben auch ein Festival von vielen ist, waren die Veranstaltungen beim Tafernwirt. Von außen wirkte der Gasthof eher wie ein Ausflugslokal aus den Siebzigerjahren denn wie eine Szenekneipe: ein kleiner Vorgarten und auf dem Putz darüber der stolze Frakturschriftzug: "Tafernwirt zu St. Leonhard seit 1392". Neben der Eingangstür in einem Schaukasten wurden die Bands angekündigt, die im ländlich-anachronistischen Idyll so verloren wirkten, als stünde dieses Haus mitten in Berlin. Im ersten Stock befand sich der Veranstaltungssaal, darin eine klassische Guckkastenbühne, eine Theke und eine Tanzfläche.

Zu Konzertabenden war nachts die gesamte Hauptstraße zugeparkt. Das Gebäude aus dem 14. Jahrhundert war schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein Ort des Nachtlebens gewesen. "Ich war dort schon, als ich jünger war", sagt Höfner, der dort 2007 seinen 40. Geburtstag gefeiert hat. Als die damalige Pächterin aufhörte, beschloss er, zusammen mit seinen Freunden Sebastian Kaiser und Christian Hellmeier das Lokal weiterzuführen. Zum ersten November 2008 war er der neue Wirt. Der Ruf, dass dort ordentliche Partys stattfinden, bestand in der Region bereits. Doch mit dem "Club Leonhard" kam eben auch ein ausgesuchtes Musikprogramm dazu. "Wir sind ja FM4-Einzugsgebiet", erklärt Höfner, sie hätten also einfach auch viele der österreichischen Bands eingeladen, die auf dem Sender liefen und die Sankt Leonhard dann gerne als Tourstation auf dem Weg in den Norden mitnahmen.

Denn dort vermischte sich auf sehr herzliche Art gegenwärtige Jugendkultur mit der Tradition eines Landgasthauses: Die Fremdenzimmer dienten als Übernachtungsmöglichkeit für die Bands, hübsch hergerichtet mit Karo-Bettwäsche. Eines der Größeren geht mit Balkon zur Hauptstraße hinaus und war zum Backstage-Raum umfunktioniert. Und da man den Musikern wohl ein wenig Großstadtfeeling vermitteln wollte, hingen an den Wänden etwas geschmacklose Werbeplakate mit Unterwäsche-Models, sowie Hinweise auf die vergangenen Veranstaltungen. Abgesehen von dem schönen Balkon und dem Blick auf den Kirchturm hätte das auch in einem beliebigen Rockschuppen in jeder größeren deutschen Stadt sein können.

Höfner hat den Tafernwirt immer nebenbei gemacht, eigentlich arbeitet er als Geschäftsführer bei einer Münchner Versicherung. Als er zum zweiten Mal Vater wurde, war ihm die Doppelbelastung schließlich zu viel, im April 2012 war für ihn Schluss. Seit 2013 ist das Gebäude erneut verpachtet und auch wieder eröffnet. Die Fremdenzimmer wurden hergerichtet und werden nun auch an Gäste vermietet, im Saal gibt es auch wieder Veranstaltungen: Singer-Songwriter-Abende, auch Kleinkunst und Kabarett. Es wirkt alles etwas gesetzter, doch es wird dort wohl auch nicht mehr zur aktuellen Indie-Szene getanzt.

Kuahgartn-Open-Air, Samstag, 29. August, Freilufttheater am Stoa, Kesselseestraße, Edling nahe Wasserburg

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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