Rock aus dem Untergrund:Geisterbeschwörung

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Beim Noise Mobility Festival in der Glockenbachwerkstatt offenbart die musikalische Subkultur ihre Vielfalt und zeigt, dass noch Entdeckungen möglich sind

Von Jürgen Moises

Mit "Hauntology" tauchte vor ein paar Jahren in der Elektronik-Szene ein neues Genre oder eher ein musikästhetisches Konzept auf. Dieses zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass Vergessenes oder Verdrängtes, Unverdautes oder Unheimliches aus der Musikgeschichte in die Gegenwart geholt und meist in der Form von Samples in neue Kontexte gestellt wird. Auch die krautrock-artige Musik von Le Cercle des Mallissimalistes aus Frankreich, die am Sonntag beim Noise Mobility Festival in der Glockenbachwerkstatt auftreten, könnte man mit einiger Berechtigung unter den von Jacques Derrida geliehenen Begriff der "Hauntology" stellen.

Auch hier geistern musikalische Gespenster der Vergangenheit herum, die in dem Fall die russischen Namen Tachesky, Hugsky oder Koustov tragen, sowie die französischen Bélibaste de Cocagne und Michel Dujardin. Ihnen gemeinsam ist, dass sie Vertreter des Mallissimalismus sind, einer spirituell-psychedelisch angehauchten Musikströmung, die, so erfährt man auf der Website von Le Cercle des Mallissimalistes, unter dem Einfluss von heiligen Riten sibirischer Stämme in den 1950ern in Russland entstand und Ende der 60er nach Europa schwappte. Dass die Musik etwas Unheimliches hat, beweist das Album "Le festin de sang", das Le Cercle des Mallissimalistes 2010 mit Musik von Wolgrang Tachesky eingespielt haben. Auch mit Kompositionen von Bélibaste de Cocagne haben die Franzosen ein Album produziert. "Le Moire" heißt es und ist 2015 beim Label Les Potagers Natures erschienen.

Treten als eine von sechs Bands beim sechsten Noise Mobility Festival in der Glockenbachwerkstatt an: die sechs Musiker des "Franz Kafka Ensembles" aus Kroatien. (Foto: Veranstalter)

Wer bereits am "Googeln" ist, wird zu den Mallissimalisten nicht viel finden. Weil Tachevsky & Co. in der Musikgeschichte vollkommen vergessen, oder: vielleicht auch frei erfunden sind. Sie wären nicht die ersten fiktiven Komponisten, deren Werk reale Spuren zeitigt. Es sei hier an Otto Jägermeier erinnert: geboren 1870 zu München, gestorben 1933 zu Zürich, wie es jahrzehntelang im Lexikon der deutschsprachigen Musik, dem "Riemann", hieß. Jägermeiers Kompositionen wurden sogar im Radio-Sender SFB gespielt. Wer will also sagen, dass seine Musik oder die von Tachesky oder de Cognac nicht existiert?

Was es auf alle Fälle und zum großen Glück wirklich gibt, das ist das zweitägige Noise Mobility Festival. Denn es beweist mit seiner inzwischen sechsten Ausgabe, dass Subkultur im teuren München noch immer möglich ist. Organisiert wird es in Do-It-Yourself-Manier von der Band Majmoon mit Unterstützung von freiwilligen Helfern, der Glockenbachwerkstatt, des Kulturreferats und von Balkannet e.V. Was das diesjährige Musikprogramm angeht, so tritt diesmal neben den meist mit aufwendigen Filmprojektionen arbeitenden Le Cercle des Mallissimalistes in Aynar eine weitere experimentelle Band aus Frankreich auf. Hinzu kommen das kroatische Franz Kafka Ensemble, das seine Mischung aus Experimentalrock, Jazz und Weltmusik als "Circus Noire" bezeichnet, sowie mit G.Rag/Zelig Implosion, Camión und Rumpeln drei Bands, die mit No Wave, Beat Poetry und Noise den Münchner Underground vertreten.

Bereits die Cover sind recht düster, und noch düsterer ist die mallissimalistische Musik der Komponisten Bélibaste de Cocagne und Wolgrang Tachesky, die ihre Wurzeln in Sibirien hat. (Foto: Les Potagers Natures)

N oise Mobility Festival # 6, Sa./So., 21./22. Mai, 20 Uhr (ab 16 Uhr Do-It-Yourself-Flohmarkt und Ausstellung), Glockenbachwerkstatt, Blumenstr. 7

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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