Residenztheater:Eine verletzliche Frau

Lesezeit: 2 min

Die österreichische Schauspielerin Valerie Pachner in Ödön von Horvaths "Glaube Liebe Hoffnung"

Von Petra Hallmayer

Zur Zeit scheint sich für Valerie Pachner alles wunderbar zu fügen. Sie erhält den Bayerischen Kunstförderpreis 2016. Demnächst ist die junge österreichische Schauspielerin in dem Film "Egon Schiele - Tod und Mädchen" im Kino zu sehen, und an diesem Samstag spielt die 29-Jährige im Münchner Residenztheater unter der Regie von David Bösch die Hauptrolle in "Glaube Liebe Hoffnung". Natürlich freut sie das, aber man dürfe es nicht zu hoch hängen, meint sie. Sie sei immer noch am Anfang eines langen Weges.

Ödön von Horváths "kleiner Totentanz" könnte für sie ein großer Schritt sein. In dessen Zentrum steht die in finanzielle Not abgerutschte Elisabeth, die um ihr Recht auf Glück kämpft, über "lauter kleine Paragrafen" stolpert und in einer von sozialer Kälte regierten Gesellschaft schließlich alle Hoffnung verliert. "Es ist die Verweigerung von Solidarität, von Mitgefühl für einen Menschen, der ins Straucheln gerät", sagt Pachner, "die das Stück so grausam und so wahnsinnig aktuell macht." Böschs Inszenierung zeige eine stilisierte, zeitlich nicht genau verortete "Normalität, in der immer wieder eine unheimliche Brutalität aufflammt."

Valerie Pachner sieht jünger aus, als sie ist, hinreißend jung. Sie wirkt mädchenhaft zart und stark zugleich. Sie denkt nach, bevor sie antwortet, bricht immer wieder ab, schaut in die Ferne und lässt die Augen hin- und herwandern. Sie liebe Horváths Sprache, meint sie, die so schlicht erscheint, so vieles in wenigen Worten verdichtet. "Seine Sätze lassen sich nie einfach dahinsagen. Man braucht einen Unterbau, man muss sich einen ganzen Berg denken, bis man den Satz auf der Spitze erreicht." Eigentlich wollte sie gar nicht Schauspielerin werden, sondern Schriftstellerin. Das Theater war zunächst eine Möglichkeit, der österreichischen Provinz zu entfliehen. Und weg wollte sie ganz dringlich. Pachner fuhr zu Schauspiel-Workshops nach Graz und Wien. Bis ihr ganz Österreich zu eng wurde. Sie ging nach Honduras, wo sie ein soziales Jahr verbrachte. Danach studierte sie Internationale Entwicklung. Insgeheim zog es sie längst zum Theater, doch es dauerte eine Weile, bis sie sich "zugestand, etwas tun zu dürfen, das nicht politisch motiviert ist, mir einfach Spaß macht".

Selbstverständlich wünscht sie sich, dass ein Theaterabend auch gesellschaftliche Relevanz hat. Aber ihr Begriff davon "ist heute weiter gefasst, nicht mehr so streng". Sie mag Inszenierungen, die ohne Ausrufezeichen auskommen, "die einen genauen Blick auf die Figuren richten, die Verletzlichkeit des Menschen zeigen, einen berühren, ohne gefühlig zu sein."

"Verletzlich" ist ein Wort, das Valerie Pachner oft benutzt. Sie will sich nicht beherrschen lassen von dem Zwang, perfekt zu funktionieren, keine Schwächen zeigen zu dürfen. "Oh Gott!", sagt sie, wenn man sie nach ihren Stärken fragt, und gibt dann eine verblüffende Antwort. "Ich glaube, meine große Stärke ist meine Unsicherheit. Sie hilft mir, Risiken einzugehen, offen und verletzlich zu sein." Natürlich falle einem vieles leichter, wenn man sich sicher fühlt. "Jeder wünscht sich Sicherheit, doch es gibt sie nicht. Wenn man der Illusion von Sicherheit nachjagt, baut man Mauern. Wir sollten unsere eigene Unsicherheit, die Unsicherheit des Lebens und der Welt annehmen. Letztlich sind wir alle schutzlos und verletzlich." In einer Welt, in der die Menschen dies sich und anderen ein- und zugestehen, glaubt sie, wäre Elisabeths Geschichte anders ausgegangen.

Glaube Liebe Hoffnung ; Samstag, 22. Oktober, 19.30 Uhr, Residenztheater, Max-Joseph-Platz 1

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: