Reportage:"Gott hat sich verzockt"

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Sagt der Sieger des Münchner Gamer Poetry Slams

Von Renate Frister, München

Jesus wurde von einem seiner engsten Freunde verraten - tja, "falsch geliked war eben immer schon halb gekreuzigt". Und so nahm die Gewalt weiter ihren Lauf, da konnte auch Admin-Number-One aka Gott nichts ausrichten. Wenn Slam Poet Dominik Erhard die Weltgeschichte als Computerspiel neu schreibt, läuft er zur Höchstform auf, spricht in einem atemberaubenden Tempo; von der Entstehung der Welt bis heute braucht er gerade mal fünf Minuten.

Zusammen mit sechs weiteren Slammern aus München tritt er beim Gamer Poetry Slam im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst auf. Wie passt das zusammen? Das Museum verknüpft in der aktuellen Ausstellung "Archäologie der Zukunft" (noch bis 2. August) in Zusammenarbeit mit dem Kino der Kunst alte Themen mit neuen Technologien, Kunst mit Unterhaltung. Die Besucher sind eingeladen, Videospiele verschiedener Künstler auszuprobieren und etwa in versteckte Wüstenlandschaften abzutauchen.

Auch die schauspielerische Performance zählt, nur Verkleidung ist verboten

Games sind also Pflichtthema des Dichterwettstreits, die Slammer schrieben ihre Texte eigens für diesen Abend. Ob Gedicht oder Geschichte, Essay oder Drama - die literarische Form ist bei Poetry Slams völlig frei. Nur das fünfminütige Zeitlimit sollte eingehalten werden. Neben dem Inhalt zählt auch die schauspielerische Performance, Verkleiden ist jedoch verboten. Das Publikum kürt den Sieger durch den lautesten Applaus. Gleich zu Beginn, als die Begeisterungsskala im Ägyptischen Museum festgelegt wird, zeigen die rund 150 Zuschauer - neben vielen jungen Leuten doch auch einige ältere dabei -, was sie drauf haben: höfliches Klatschen für einen durchschnittlichen Auftritt, Begeisterungsrufe für einen guten, Johlen, Pfeifen und Trampeln für den besten.

Die Poeten ernten alle großes Gelächter. Darryl Kiermeier, der sich als der "realste Gamer" unter ihnen versteht und passend dazu seine obligatorische Jogginghose trägt, warnt vor dem Vorurteil, Gamer seien potenzielle Amokläufer. Alex Burkhard zieht Parallelen zwischen Fifa und Counterstrike - "Ich habe doch nach links geschossen!" -, stellt aber fest, dass man als Fußballmanager viel entspannter lebt und verhilft 1860 München endlich zur Meisterschaft. Sven Kemmler, wie gewohnt mit schwarzer Strickmütze, Hornbrille und Ringelshirt, entwirft ein realistisches Spiel des 21. Jahrhunderts, freigegeben ab 35 Jahren: "Entwickele Dich im Battlefield Bioland vom Bärlauchbrother zum Rucolarider, bevor du nach Berlin ziehst." Und wenn im Endgame der Spieler gegen sich selbst "in cool" antritt, nämlich 20 Jahre jünger, dann wird das Spiel zum "Alter-Ego-Shooter". Das Publikum ist begeistert, Kemmler schafft es also ins nächste Level: die Finalrunde.

Einen ebenso hohen Publikums-Score erzielt Dominik Erhard. Der 21-jährige Germanistik- und VWL-Student, der 2013 Bayerischer Meister im Poetry Slam geworden ist, zieht das Publikum mit Wortspielen, in rasantem Rhythmus aneinander gereiht, rasch in seinen Bann. Reimend rast er durch die Menschheitsgeschichte, erzählt, wie Gott die ersten Menschen erschuf und sie in die Welt hinaus schickte mit den Worten "hatet und verlinket euch". Computerbegriffen gibt er in einem alten Kontext eine neue Bedeutung: "Die letze List der Griechen war - der berühmte Trojaner - wunderbar." Bei seinem Vortrag zieht der Dichter alle Register, spricht mal leise und nachdenklich, setzt taktische Pausen, zieht dann wieder im Tempo an, wird lauter, schreit fast.

Er geht über zum Mittelalter, in das er auch ein bisschen Gegenwart hineinschmuggelt: Hexen wurden verbrannt, weil sie Ghostwriter beschworen hatten, und Gutenberg erfand nicht nur den Buchdruck, sondern auch Copy und Paste. Und dann kam die Zeit, in der es hieß: "Niemand hat die Absicht, eine Firewall zu errichten." Insgesamt lief das Computerspiel namens Menschheitsgeschichte nicht so gut, Gott hat sich da etwas verzockt. Das Fazit des Slam Poeten: "Jeder ist seines eigenen Glückes Programmierer." Das Publikum tobt, es johlt, pfeift, trampelt den Slam Poeten ins Finale. Dort packt er einen seiner alten Texte aus, "Wir spielen alle in einem Theaterstück", und bezwingt damit seinen Endgegner Kemmler. Er gewinnt ein "altägyptisches Bier", denn schließlich wurde das Getränk im alten Mesopotamien erfunden.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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