Red Hot Chili Peppers: "Stadium Arcadium":Es pocht das Herz in großer Not

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Warum, eigentlich, ist diese Gruppe nur so erfolgreich: Die "Red Hot Chili Peppers" haben mit dem neuen Album "Stadium Arcadium" jedenfalls wieder etwas für ihre Altersvorsorge getan.

Thomas Steinfeld

Wenn ein Hartgummiball auf dem Boden aufschlägt, gibt es einen dunklen Ton, der um so tiefer wird, je mehr Masse der Ball besitzt. "Bum" macht dieser Ton, und "bum, bum, bum", wobei das "u" nicht dumpf, also nach unten hin offen klingt, sondern deutlich und definiert ist, schön gerundet, weich, aber durch und durch muskulös. Manchmal gesellt sich ein heller, schmatzender, zuweilen metallischer Ton dazu, mischt sich mit dem "Bum", wenn sich der Ball von der Oberfläche wieder löst, oder wenn diese Fläche für kurze Zeit mitschwingt. Ein Herzton ist dieses "Bum", ein Lebensgeräusch, unermüdlich, unbeirrbar, nie erlahmend.

Früher brannte es nur bei Pink Floyd - tja, früher! (Foto: Foto: Warner)

Flea, der Bassist der amerikanischen Rockgruppe Red Hot Chili Peppers hat diesen Ton zu seinem Ton gemacht und ihn zu einer mittelgroßen Kugel ausgebildet. Daran muss er lange gearbeitet haben. Sein "Bum" hat Schnelligkeit und Kraft, die Fähigkeit zur abrupten Beschleunigung und ebenso raschen Verlangsamung, die nervöse Bereitschaft zum Rhythmuswechsel, und wenn er es in "C'mon Girl" dreieinhalb Minuten lang, mit stets gleichbleibender Intonation in Zweiundreißigsteln dahinrasen lässt, dann klingt es, als habe er einen solchen Flummi, aufgeladen mit unendlicher Energie, in eine Trommel eingeschlossen - oder wie das Herz eines Langstreckenläufers in dessen enger Brust, jenseits des dreißigsten Kilometers.

Seit über zwanzig Jahren gibt es diese Gruppe aus Kalifornien, " Stadium Arcadium", das in diesen Tagen veröffentlichte Werk, ist ihre neunte Studioproduktion, und es wird, wie die Alben zuvor, ein Welterfolg werden. Das ist nicht selbstverständlich, eben wegen der Herztöne - ja, wegen dieser Herztöne, denn bei den Red Hot Chili Peppers kommen diese keineswegs metaphorisch daher, als Sinnbild von Liebe und Leiden und Einsamkeit und Eifersucht und allem, womit sich der westliche Mensch ansonsten die Hirnwindungen aufweicht, sondern ganz und gar körperlich, als das Pulsieren eines von dicken, roten Adern durchzogenen, fasrigen, auf- und abschwellenden Muskels. Ihre Musik ist von zuweilen berückender Schönheit, aber dann auch von einer panischen Hast, von wilder, zuckender Kraft und lärmerfüllter, manchmal albtraumhafter Enge. Im Booklet des Albums haben sich die vier Musiker der Gruppe als Football-Spieler abbilden lassen - ein sinnvolles Bild, denn ihre Musik teilt mit diesem Sport das Prinzip der Eruption auf engem Raum.

Achtundzwanzig Stücke versammelt dieses Album, kein schwacher Song ist dabei, und solche Verschwendung erscheint nicht wie aus dem Geist des Überflusses entstanden, sondern aus einem Bewusstsein von Not und Bedrängnis. Es fehlt hier offenbar das Vertrauen, mit einem Lied die Welt erobern oder sich auch nur ein paar schöne Minuten erwerben zu können. Es fehlt das Sich-Hingeben-Können, das Laufenlassen-Dürfen, die Fähigkeit zu langen Bögen und zur Melodie. Hier ist etwas ganz und gar Unerlöstes am Werk, eine Kurzatmigkeit, die kein Vertrauen gelten lassen will, eine Unruhe, die von der Hoffnung nicht lassen kann, durch die allergrößte Anstrengung, jenseits der letzten Erschöpfung doch noch an einen Punkt friedlichen Stillstands zu gelangen.

Und so sind die meisten dieser Stücke wie ein Aufbäumen, an dessen Anfang etwas ganz Simples steht, das sich dann aber, oft in einem abenteuerlichen, aber kompositorisch immer noch plausiblen Zickzack, durch die Genres der populären Musik zieht, um am Ende im Geheul der Rückkopplung unterzugehen. Diese Musik will durch Überwältigung überzeugen, durch radikale Variation und Vielheit, und ihr Reiz liegt darin, dass unüberhörbar ist, wie viel Schrecken diesem Versuch vorausgeht - ganz abgesehen davon, dass der dafür notwendige physische Einsatz bei Musikern, die, mit Ausnahme des Gitarristen, mittlerweile die Vierzig überschritten haben, die Regionen des Selbstzerstörerischen streift.

Deswegen beginnt "Dani California", das Stück, das jetzt überall im Rundfunk zu hören ist, mit einem Rhythmus wie aus der ersten Stunde im Schlagzeugunterricht, "bum tschak, bum bum tschak". Deswegen fangen gleich mehrere Stücke damit an, dass erst einmal die Grundakkorde mit langen Pausen zwischen jedem Schlag gespielt werden. Deswegen setzt "Readymade" mit einem der dümmsten Bassläufe ein, die es seit dem Debütalbum von Black Sabbath im Jahr 1970 gegeben hat. Und aus demselben Grund kippt diese radikale, auf die schlagende Wirkung der am besten erprobten Mittel des Rock'n'Roll pochende Einfachheit jedesmal nach nur wenigen Augenblicken um: in schiere Virtuosität, in eine Schlagzeugpartie, deren Beat, wollte man ihn notieren, auf die noch zu erfindende Zählzeit eindreivierteleinhalb gelegt werden müsste, in einen Bass, dessen Groove den Tatbestand der Zwangsbewegung aller äußeren Gliedmaßen erfüllt, in die Neil-Young-Paraphrase in "Desecration Smile" - und in ein Gitarrenspiel, das in seiner expressionistischen Freiheit geradewegs auf die lichte Wolke zu zielen scheint, die von Jimi Hendrix übrig geblieben ist.

In einer E-mail, die Flea, jener Bassist, vor kurzem an die Anhänger der Gruppe sandte, spricht er von William Blake. Er frage sich, schreibt er, ob es in unserer Welt jemanden gebe, der "so rein und groß und mächtig" sei wie jener Maler und Dichter der frühen englischen Romantik. Man schaue sich ein Bild von Blake an, und man versteht, was er meint: die Überfüllung eines Szenarios, in dem die Botschaft stest größer zu sein scheint als die Bildfläche, die Körperlichkeit der Gestalten, und vor allem - wie William Blake die Muskeln malt, Muskeln, deren Fasern zu erkennen sind, als hätte man die Haut über ihnen abgezogen, die gestaltet sind, als wären sie pures, rohes, radikal empfindliches Fleisch. Flea und Anthony Kiedis, der Sänger der Gruppe, sehen, wenn sie auf der Bühne stehen, mit nacktem Oberkörper nicht viel anders aus, sondern eben so: wie springende, bebende, zitternde Muskeln. Würde ihnen eine Haut wachsen, wären sie vielleicht erträglicher. Aber nicht halb so interessant. Bum.

© SZ v. 10.05.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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