Realismus:Lob für die Zukunft

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In vielen sozialistischen Ländern ordnete sich die Kunst den Wünschen der Machthaber unter und zeichnete eine ambivalente Utopie.

Von Astrid Mania

Sei es der Schurke im James-Bond-Film oder die mittelalterliche Höllentafel - das Böse war schon immer schillernder. Auch wenn man heutigen Betrachtern aus der totalen Werbe- und Konsumwelt wohl erst einmal erklären muss, dass die Dame links in Wojciech Fangors Bild "das Böse" ist. Denn das Gemälde "Postaci" (Figuren) entstand 1950 in Polen, zur Hochzeit des sozialistischen Realismus, jener Staatsästhetik, die mit Absolutheitsanspruch über alle Künste herrschte: Jegliche kreative Äußerung hatte im Dienst der offiziellen Ideologie zu stehen.

Somit stellt die sonderbare Dreiergruppe Fangors, der später zu sanft geometrisierter Abstraktion und Grafik finden sollte, ein historisches, soziales und politisches Programm vor: links, verkörpert in der eleganten Dame mit dem Täschchen und der exaltierten Sonnenbrille, der jüngeren Ausgabe einer Iris Apfel, das Überkommene, um nicht zu sagen, Verkommene. Rechts, in Gestalt des Arbeiterpaars im schlichten Blaumann, die - unmanikürten - Hände am Spaten, die Allegorie des Aufbaus, die prototypischen Werktätigen. Hinter ihnen erhebt sich eine stalinistische Nachkriegsarchitektur, während die zu keiner Arbeit Fähige oder Willige vor den Trümmern des alten Europa, einem ideologischen Schutthaufen steht. Der Blick des Mannes aber, der seine Kollegin so brüderlich-sozialistisch im Arm hält, ist fast schon melancholisch auf die Anti-Figur, die leibhaftige Dekadenz und Bourgeoisie gerichtet. Auch hat Fangor auf einen beschreibenden Titel verzichtet, der dieses Trio ideologisch einordnen würde. Es bleibt somit sonderbar ambivalent.

Denn häufig war es nur der Titel, der aus einem Genrebild, einer Figurengruppe oder Landschaft eine Erzählung sozialistischer Errungenschaften machte. Standen die Künstler unter dem Diktat des sozialistischen Realismus doch vor der Herausforderung, sehr vage Vorgaben in konkrete Werke umzusetzen: Der sozialistische Realismus war 1934 auf dem ersten Kongress des Schriftstellerverbandes in Moskau im Ursprung für die Literatur ausformuliert und dann pauschal auf alle Künste und in Folge auf alle anderen sozialistischen Staaten übertragen worden. So setzt er in erster Linie ideologische und strukturelle Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Künstler zu bewegen hatten.

Der Staat und seine Verbände monopolisierten das Kunstschaffen

In ideologischer Hinsicht wurden diese durch die Prinzipien Narodnost, Idejnost und Partijnost bestimmt, was sich in etwa mit Volkstümlichkeit, Ideengehalt und Parteilichkeit übersetzen lässt. Schlichter formuliert besagte dies, dass die Partei den Künstlern vorgab, welche Themen sie wie zu veranschaulichen hatten. In struktureller Hinsicht bedeutete dies die Monopolisierung des Kunstschaffens durch den Staat oder den jeweiligen staatlichen Künstlerverband. Wer künstlerisch tätig sein und davon leben wollte, musste sich in das offizielle Auftragssystem eingliedern. Ein privates Ausstellungswesen, einen privaten Kunstmarkt gab es nicht.

In der Sowjetunion wurden in den frühen 1930er-Jahren sämtliche bis dahin existierende Künstlergruppen aufgelöst. Spätestens mit dieser zentralistischen Lenkung der Künstler war auch das Schicksal der russischen Avantgarde besiegelt. Doch ihre Bildschöpfungen waren der politischen Elite, namentlich Lenin, immer fremd geblieben: Der Staatsgründer favorisierte eine Kunst des 19. Jahrhunderts, die sich wie die Gruppe der "Wanderer" in konventionellen Formen um die Bildung breiterer Bevölkerungsschichten bemühte. Die Radikalität jedoch, mit der sich der sozialistische Realismus der "ideologischen Umformung und Erziehung der Werktätigen" verschrieben hatte, die vollständige Durchdringung des Alltags mit einer gänzlich ideologisierten Kunst, war eine Übernahme totalitärer avantgardistischer Ansprüche. Deren didaktischer Eifer wurde nun in eine Kunst eingeschrieben, die im akademischen Gewand daherkam und Stalin zufolge "der Form nach national, dem Inhalt nach sozialistisch" zu sein hatte.

Zwar stand den Künstlern mit dieser Losung ein kleiner formaler Freiraum offen, jegliche nicht-gegenständliche Darstellungsweise jedoch traf das vernichtende Urteil des Formalismus. Dennoch darf man den sozialistischen Realismus nicht im landläufigen Sinn als Abbildrealismus missverstehen: Seine besondere Eigentümlichkeit besteht gerade im utopischen Charakter dieser Kunst. Die Welt sollte nicht gezeigt werden, wie sie ist, sondern wie sie nach dem vollständigen Sieg des Sozialismus einmal sein würde. Diese Ausrichtung auf Zukünftiges hin erklärt, warum in Zeiten des Mangels auf Gemälden "Sowjetische Brotlaibe" (Mashkov, 1936) im Überfluss vorhanden sind, es in den Fabriken zischt und dampft, es keine Feldarbeit ohne Traktoren gibt, es immer nur "höher und höher" (Rjangina, 1934) geht.

Die Apotheose des sozialistischen Realismus aber stellte bis zum Tod Stalins dessen Bildnis dar. Wie zuvor Lenin wurde Stalin zunehmend überhöht. Aus dem einstigen "Führer, Lehrer, Freund" (Shegal, 1937) wurde "Die Eiche" (Gerassimow, 1950) oder 1948 bei Fjodor Shurpin "Der Morgen unseres Vaterlandes". Das Portrait trat an den Platz der Ikone und sorgte für eine Art internalisierter Überwachung: Der Diktator war durch seine zahlreichen Abbilder allgegenwärtig und so stets im kollektiven Bewusstsein. Gleichzeitig enthoben Portraits der Staatsführung aber auch die Künstler von dem - existenziellen - Risiko, die inhaltlichen Vorgaben durch die Partei falsch zu interpretieren oder falsch verstanden zu werden. Denn letztlich, so zitierte Lew Kopelew den Spott eines Freundes, sei der sozialistische Realismus doch nur eine Methode gewesen, "unsere Parteiführung möglichst hoch zu preisen", und dies in einer Form, "die auch die Führer selbst verstehen".

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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