Reaktionen:"Eine Realistin, es ist schwer, ihr standzuhalten"

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Sie ist eine Provokateurin, die sich selbst herausfordert, sprachgewaltig und humorvoll, nur eines ist sie nicht - eine Quotenfrau: Stimmen zum Literaturnobelpreis an Elfriede Jelinek.

SZ

"An ihrer Fremdheit misst sich die Schäbigkeit unserer kleinen Heimspiele. Ihre Sprache erfand einen Blick von ganz fern; und bohrt sich so hinein in die nächsten Dinge, dass deren Risse wie wüste Kraterlandschaften erscheinen. Eine Realistin; es ist schwer, ihr standzuhalten."

Ivan Nagel, Schriftsteller, Dramaturg

"Ich freue mich über alle Maßen! Ich freue mich für uns und für das Nobelpreis-Komitee. Denn das hat mit Jelinek eine literarisch wie politisch extrem mutige und unbequeme Autorin gewählt. Und mit "uns" meine ich nicht nur uns deutschsprachige Menschen, sondern auch uns Frauen - und uns Feministinnen. Denn wenige Frauen haben so scharfsinnig und radikal die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern benannt wie Jelinek. Nur eine tut mir leid: Elfriede Jelinek. Soviel Ruhm wird der Scheuen ein Greuel sein."

Alice Schwarzer, Herausgeberin der Zeitschrift "Emma"

"Ich war zu Tränen gerührt, als ich die Nachricht über die Zuerkennung des Nobelpreises an Elfriede Jelinek erhalten habe. Das ist eine der besten Entscheidungen des Nobelpreiskomitees. Jeder irrt sich, wenn er meint, das war die Frauenquote. Da ist eine wirkliche Dissidentin zum Mainstream gewählt worden. Ich würde sie als die Kassandra der zeitgenössischen Literatur und des deutschsprachigen Theaters bezeichnen, jene Kassandra, die das Schreckliche kommen sieht, das Unheil, den Abgrund, den Tod, und niemand glaubt ihr.

Das ist ihr Schmerz und ihre große menschliche Anstrengung und Leistung, die sie auch selbst an den gefährlichsten Abgrund ihres Lebens geführt hat. Ich sehe diese Auszeichnung auch ein bisschen stellvertretend für die unheimlich lebendige österreichische zeitgenössische Litaeratur von Werner Schwab und Peter Turrini, zu Thomas Bernhard, Peter Handke und eben Elfriede Jelinek."

Christoph Schlingensief, Regisseur

"Ich freue mich bis in die tiefsten weiblichen Knochen hinein."

Elisabeth Schweeger, Intendantin am Schauspielhaus Frankfurt/Main

"Ich war so überrascht, ich hab nur noch den Mund auf und zu geklappt wie ein Fisch! Ich hätte nicht gedacht, dass nach Günter Grass so schnell wieder ein deutschsprachiger Autor oder eine Autorin ausgezeichnet wird. Ich glaube nicht, dass der "Frauenfaktor" bei dieser Entscheidung eine große Rolle gespielt hat, sowieso hätte ich eher darauf getippt, dass der "geografische Faktor" wichtiger sein würde. Auf jeden Fall freue ich mich über die unkonventionelle Entscheidung des Komitees und hoffe, dass es ihm diesmal wirklich um die Literatur Jelineks gegangen ist."

Juli Zeh, Schriftstellerin

"Jelinek eine Quotenfrau? Dafür ist sie viel zu gut. Ich finde es zwar nicht falsch, dass bei solchen Preisen auch darauf geachtet wird, dass Frauen nicht zu kurz kommen, aber auf Jelinek trifft das Etikett "Quotenfrau" bestimmt nicht zu. Sie hat mir neue Welten eröffnet, sprachlich und gedanklich. Ihre Sprachgewalt ist ja nicht immer dramatisch, man muss Bilder dafür finden. Aber sie ist in der Zusammenarbeit offen und humorvoll."

Amélie Niermeyer, Intendantin am Theater Freiburg

"Das ist ja unglaublich! Ich gratuliere! Wirklich, ich kann es kaum glauben. Denn Elfriede Jelinek hat ja nie Erbauungstexte geschrieben. Während all die letzten deutschsprachigen Preisträger ein erbauliches, auratisches Werk geschaffen hatten, kann man das von Jelineks Texten nicht sagen. Sie selbst ist auratisch. Sogar sehr.

Aber ihre Texte sind nie erbaulich. Die immanente Sprachkritik erschwert einem den Zugang zu ihren Texten. Insofern ist das schon erstaunlich, dass da ein so beständiges, konsequentes Werk geehrt wird, in dem sich eine mitteleuropäische Frau mit den Problemen der deutsch-österreichischen Geschichte auseinander setzt. Es freut mich auch deshalb so sehr, weil sie ja persönlich über all die 30 Jahre sehr viel hat in Kauf nehmen müssen."

Marlene Streeruwitz, Schriftstellerin

"Ich bin begeistert über die unerwartete Entscheidung des Nobelpreiskomitees. Elfriede Jelineks Texte sind ein Sprachereignis, eine andauernde Herausforderung und eine gnadenlose Zumutung - im wahrhaftigsten Sinne. In ihrer Konsequenz und Radikalität gehen sie weit über das Politische und Gesellschaftskritische hinaus. Sie führen uns an die Grenzen der Sprache und an die Grenzen unserer Wahrnehmung.

Christina Weiss, Kulturstaatsministerin

"Ist das nicht toll? Man gönnt es ihr von Herzen, weil es diese Autorin doch so schwer hat, gerade in ihrem Heimatland. Und ich bin natürlich ein bisschen stolz, als Intendant einer der heftigsten Jelinek-Spieler gewesen zu sein. Das fing in Basel an, und am Hamburger Schauspielhaus brachten wir dann fünf oder sechs Stücke von ihr heraus, einige davon als Uraufführungen. Das Vertrauen, in dem uns die Jelinek ihre Textflächen schickte und dem Theater übergab, ist großartig. Sie schreibt ja keine dramatischen Texte im üblichen Sinn.

Also muss sie auf die Künstler treffen, die diese Texte lesen können, wie Einar Schleef, Jossi Wieler oder Frank Castorf, über dessen Hamburger Inszenierung von ,Raststätte' sie sagte: ,Das ist nicht mein Stück, aber genau so habe ich es gemeint.' Und wenn ich jetzt irgendwann einmal ihr geplantes Stück über den deutschen Furor, eine Verknüpfung von Schillers ,Maria Stuart' und der RAF im Briefkasten finde, bin ich überglücklich. Drängen kann man sie ja nicht.

Aber sagen Sie mal: Die kriegt doch jetzt richtig viel Geld? Dann kann sie sich in München ja endlich eine Wohnung leisten, in der sie ihre Bücher unterkriegt. Die stehen nämlich bei uns."

Frank Baumbauer, Intendant der Münchner Kammerspiele

"Ich freue mich natürlich, dass der Literaturnobelpreis endlich nach Österreich vergeben wurde, und ihn noch dazu eine Frau bekam. Ich freue mich auch deshalb, weil die Festspiele schon früh ein besonderes Gespür für eine wichtige Künstlerin bewiesen haben. Bei uns war sie 1998 bereits Poet In Residence - so wie auch der spätere Nobelpreisträger Imre Kertész zwei Jahre vor der Verleihung des Preises bei uns Poet in Residence war."

Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele

"Elfriede Jelinek wird nicht nur für ihre Texte, sondern auch für ihre Haltung belohnt. Denn statt Distanz zu bewahren, lässt sich Elfriede Jelinek ein auf die Welt, fast zwanghaft setzt sie sich der Welt aus, sieht und findet Elemente und formt sie zu etwas Neuem - und fordert andere auf, sich die Welt anzueignen. In unserer Zusammenarbeit hat sie mich aufgefordert, ihre Texte nicht zu verehren, sondern zu benutzen, eigene Systeme zu formen.

Wie sie es tut: aus dem Vorhandenen als Katalysator oder Ultrahocherhitzer Neues schaffen. Für Jelinek ist Kunst keine Imitation, sondern ein Elixier. Von ihr habe ich Selbstprovokation gelernt: Denn sie provoziert nie andere, sondern sich selbst, sie arbeitet da weiter, wo andere aufhören, wo es weh tut.

Dass sie den Nobelpreis erhält finde ich eine sensationelle Überraschung: Ich freue mich sehr für Österreich, ein Land, das mit ihr gar nichts anzufangen weiß, aber auch für Herrn Reich Ranicki, der ihre Literatur immer vernichten wollte. Er steht für jene, die Literatur als Monstrum verstehen, das die Menschen in Schach halten soll. Dagegen will Elfriede Jelinek die Menschen auffordern, sich die Welt anzueignen, und dafür wird sie ausgezeichnet."

Christoph Schlingensief, Regisseur

"Wunderbar! Ich freue mich sehr für sie. Mein geheimer Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Das ist die Bestätigung für ihr konsequentes, eigenwilliges und unbeirrbares Arbeiten. Die Musikalität ihrer Sprache war mir immer nahe, und deshalb haben wir uns auf einer Ebene des Verständnisses ohne viel Sprache immer verstanden."

Olga Neuwirth, Komponistin

"Erstens: sehr überrascht, zweitens: sehr verdient und drittens: für die Österreicher ein schwerer Schock - sie werden jetzt anfangen, sie zu lesen."

Michael Naumann, Herausgeber der "Zeit"

© SZ vom 8.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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