Ranking der wichtigsten Intellektuellen:Die Macht der "Fethullaci"

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Rankings grassieren, obwohl sie eine Präzision vorgaukeln, die sinnlos ist. Die nun erstellte Rangliste der hundert bedeutendsten Intellektuellen ging aber anders schief als gedacht. Ihre Nummer eins heißt Fethullah Gülen.

Burkhard Müller

Rankings sind eine besonders absurde Blüte des elektronischen Müßiggangs. Die wichtigsten Bücher, die besten Schönheits-Chirurgen und zahllose andere Dinge, die kaum quantifizierbar scheinen, werden in Reihenfolgen von unsinniger Präzision gebracht.

Rankingsieger Fethullah Gülen auf seiner Website. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Nun also wollten die britische Zeitschrift Prospect und die amerikanische Foreign Policy wissen, wer weltweit die hundert bedeutendsten Intellektuellen seien. Wie, um Himmelswillen, soll das funktionieren - und wen interessiert es eigentlich?

Bei diesem Ranking allerdings kam unerwartet doch etwas heraus, wenn auch etwas anderes, als man erwartet hatte. Es beteiligte sich die ungewöhnlich hohe Zahl von 500.000 Leuten; und als die Ergebnisse da waren, stand unter den ersten zehn kein einziger Name, der einem westlichen Durchschnitts-Bücherleser auf Anhieb etwas gesagt hätte.

Auf den Top-Plätzen: Ausschließlich Namen mit islamischer Anmutung

Noam Chomsky, Al Gore, Richard Dawkins, Umberto Eco fanden sich alle irgendwo zwischen Platz 11 und 20. Aber auf 1 bis 10 standen ausschließlich Namen mit islamischer Anmutung, Namen wie Abdolkarim Soroush und Tariq Ramadan, Shirin Ebadi und Aitzaz Ahsan. Die Nummer eins aber heißt Fethullah Gülen.

Da langt es bei uns nicht einmal zum Zwischenruf: Fethullah Who? Denn wir stolpern schon über den Vornamen.

Natürlich dachten die Organisatoren zunächst daran, die Umfrage sei von Hackern gekidnappt worden. Dies aber konnten sie bald ausschließen. Es stellte sich heraus, dass vielmehr eine überaus wirkungsvolle Kampagne in der Türkei stattgefunden hatte, angeführt von der größten türkischen Zeitung Zaman, die dazu aufgerufen hatte, sich an dieser Umfrage zu beteiligen.

Beweist dieses Ergebnis, dass Fethullah Gülen der größte Intellektuelle der Gegenwart wäre? Schwerlich. Aber es beweist, dass sich durch die Frage, wer der "größte Intellektuelle" sei, in einer Gesellschaft wie der türkischen weit größere Menschenmassen mobilisieren lassen als bei uns.

Wunderdinge der Organisation

Während hierzulande vermutlich nicht mehr Leute für Jürgen Habermas gestimmt haben, als den Merkur lesen, schalten sich dort fast so viele ein wie zu einem Spiel der Fußball-Nationalmannschaft. Die "Fethullaci", heißt es, vollbrächten Wunderdinge der Organisation.

So etwas sollte man nicht als manipulativ abtun, sondern in der Energie das Bedürfnis spüren. Bei uns braucht jede beliebige Geistesströmung drei Jahre, um auch bloß einen Tagungsband auf die Reihe zu kriegen. Offenbar hat in der Türkei das wichtigste Merkmal des westlichen Intellektuellen, seine Abgehobenheit vom gemeinen Volk und dessen Denken, keine Gültigkeit. Er liegt allen am Herzen, nicht nur einer Elite.

Wer also ist Fethullah Gülen? Der notwendig raschen Recherche ergibt sich folgendes Bild: Geboren wird er 1938 oder 1941 in der östlichen Türkei; er wird Imam, also islamischer Geistlicher unter Staatsaufsicht, macht sich 1981 von diesem einengenden Band frei und agiert seither als eine Art freischaffender Theologe.

Etwa fünf Millionen Anhänger

Seine locker, aber wirkungsvoll verflochtene Organisation betreibt mehr als 500 Privatschulen mit hohem Anspruch (auch im Ausland), und obwohl man seiner Bewegung nicht eigentlich beitreten kann, wird die Zahl seiner Anhänger auf etwa fünf Millionen geschätzt.

Er steht dem Sufismus nahe, jener alten, mystisch nach innen gerichteten Strömung des Islam. In seinen zahlreichen Schriften (sechzig Bücher hat er verfasst) betont er die Notwendigkeit, dass der Islam sich modernisieren und der westlichen Wissenschaft öffnen muss.

Im Umgang mit Nicht- und Andersgläubigen fordert er Toleranz. Dennoch erweckt er den Zorn der strikt laizistischen Kemalisten, indem er hinter den abrupten Traditionsbruch der zwanziger Jahre zurückstrebt und ans osmanische Erbe anknüpft.

Derzeit im amerikanischen Exil

Deswegen hat er auch schon im Gefängnis gesessen. Gegenwärtig lebt er, um neuer Verfolgung zu entgehen, im amerikanischen Exil. Unterstützung erhält er vor allem von der gebildeten Mittelschicht in der Provinz. Und wenn er spricht, klingt es so:

"Wirklich reife Menschen halten diesen (gottesnahen) Zustand und verlassen ihn nie. Sie verströmen Wohlgeruch, der ihre Mitmenschen wie Weihrauch anmutet. Sie glühen wie Räucherstäbchen, und in ihrem wohligen Stöhnen spiegelt sich ihre Freude wider, wie von Flammen verzehrt zu werden. Wenn nötig, brüllen sie wie Löwen und enthüllen ihren Charakter. Dann wieder zwitschern sie wie Nachtigallen und erfüllen ihre Mitmenschen mit Freude und Erleichterung." Oft, heißt es, brächen er und seine Zuhörer am Ende in Tränen aus.

Kein Intellektueller bei uns würde wagen, solche Sprache im Mund zu führen, und es gar unter Tränen zu tun, brächte ihn um allen Kredit.

Andere, mächtigere Traditionen fließen hier ein als die vergleichsweise schwächliche des freien abendländischen Geistes mit seinem Indianer-Ethos der Kälte und der Abstinenz.

Älterer Typus des Intellektuellen

Dieser Mann wird geachtet als Lehrer, geliebt als Führer, ersehnt als Prediger. Alle dürfen dieser Autorität folgen. Der Intellektuelle, wie wir ihn kennen, stellt womöglich nur einen Typus des Geistigen dar, und eventuell bereits nicht mehr den global maßgeblichen.

Im Sieger dieses leichtfertigen Rankings kehrt ein anderer, älterer Typus zurück, bereit, einer Menschheit voranzugehen, die seines Rates - vielleicht - dringend bedarf.

© SZ vom 01.07.2008/pak/gdo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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