RAF-Ausstellung:"Wir müssen bloß noch entsorgt werden"

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Die Fotografin Astrid Proll kannte Andreas Baader und Gudrun Ensslin seit 1967. Willi Winkler sprach mit ihr über die Berliner RAF-Ausstellung und die Zeit damals.

Interview: Willi Winkler

Vergangenen Samstag hatte in den Berliner Kunst-Werken die Schau "Zur Vor stellung des Terrors. RAF. Ausstellung" eröffnet. Vor ein einhalb Jahren sollte sie noch "Mythos RAF" heißen. Als sich dagegen heftiger Widerstand von den Angehörigen der RAF-Opfer erhob, wurde das Konzept geändert.

Gudrun Ensslin und Andreas Baader (linkes Bild) und Astrid Proll (rechtes Bild) - in einem Pariser Café im Jahre 1969. Fotos: Proll (Foto: N/A)

Die Fotografin Astrid Proll kannte Andreas Baader und Gudrun Ensslin seit 1967. Sie war beteiligt, als Andreas Baader 1970 aus dem Polizeigewahrsam befreit wurde, ging mit in den Untergrund und wurde im Jahr darauf verhaftet. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Delikte wurde sie zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Im Aufbau-Verlag erschien soeben eine Neuausgabe ihres Buches "Hans und Grete. Bilder der RAF 1967-1977". Fotografien aus diesem Band, die Astrid Proll von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und anderen RAF-Mitgliedern gemacht hat, werden in dem dokumentarischen Teil der Berliner Ausstellung gezeigt.

SZ: Kunst ist ungefährlich; bisher hat noch kein Bild auf seine Betrachter geschossen. Wird die RAF, die mehr als 50 Tote zu verantworten hat, mit einer Kunstausstellung nicht erst recht zum Mythos?

Proll: Es gibt ja seit einiger Zeit Filme, in denen die RAF zum Pop-Kunstwerk stilisiert wird. Prada-Meinhof-Mode war eine geniale Verkaufsstrategie, aber so leicht wird man die RAF nicht los werden.

SZ: Von Klaus Theweleit stammt die Feststellung: "Hitler in der Mythoswelt darf immerhin als Foto überleben, die Stammheimer nur als Steckbrief." Muss man nicht heute sagen, dass die RAF medientechnisch nicht auf der Höhe der Zeit war, weil sie das Bild, das sie abgab, von anderen herstellen ließ?

Proll: Die RAF verstand sich als Guerilla-Organisation, sie konnte doch gar nicht nach vorn gehen. Die Polizei und die Medien haben dieses klandestine Spiel gern mitgespielt. Die einzige, die zunächst mit Steckbrief gesucht wurde, war Ulrike Meinhof, denn sie war als Journalistin bekannt, sie hatte ein Gesicht.

SZ: In Ihrem Buch bringen Sie auch den Fingerabdruck, mit dem sich Andreas Baader aus dem Untergrund meldete. Damit folgte er dem Bild, das man aus der Fahndung kannte: ein Verbrecher auf der Flucht. Verglichen mit den Videos, die Osama bin Laden aus den Bergen verschickt, ist das doch vorsintflutlich.

Proll: Der RAF kann man heute leicht medienstrategisches Versagen vorwerfen. Sie hat aber anders wirken wollen: Nicht über Bilder, sondern über Worte. Ulrike Meinhof sah sich auch im Untergrund weiter in einem Dialog mit der Linken. Deshalb schickte sie auch keine Autogrammkarten, sondern schrieb das "Konzept Stadtguerilla".

SZ: Die einzigen "privaten" Bilder, die es von Andreas Baader und Gudrun Ensslin gibt, haben Sie gemacht. Das war im Winter 1969, als Baader und Ensslin, statt ihre Reststrafe wegen Kaufhausbrandstiftung zu verbüßen, nach Paris geflohen waren. Auf diesen Fotos wirkt das, was einmal die RAF sein sollte, wie ein fröhlicher Studentenausflug.

Proll: Sie fühlten sich frei und befreit, das ist richtig. In den Monaten davor hatten sie zusammen mit dem Frankfurter SDS die "Heimkampagne" gemacht, sich also um die zum Teil brutal behandelten Fürsorgezöglinge in hessischen Heimen gekümmert. Das wurde auch von kommunalen Stellen unterstützt, und plötzlich sollten sie wieder ins Gefängnis. Baader wollte nach der vorläufigen Strafaussetzung im Sommer auf keinen Fall noch mal in den Knast. Deshalb sind sie über die Grenze nach Frankreich.

SZ: Mit Ihrer Hilfe.

Proll: Ja, das ist richtig. Es war noch mein Bruder Thorwald dabei, der ebenfalls wegen der Brandstiftung verurteilt worden war. Durch ihn hatte ich Baader und Ensslin kennen gelernt und deshalb bei der Heimkampagne mitgemacht.

SZ: Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Paris im Café - das ist auch eine Stilisierung. Wie Terroristen sehen sie jedenfalls nicht aus, eher wie Touristen. Fühlten sich die beiden - 1969 - einer Kaffeehaus-Boheme zugehörig?

Proll: Sie waren damals, 1969, jedenfalls nicht mörderisch. In Paris gab es keine Waffen, es gab keine Verletzten, Baader war noch nicht mit Gewalt aus dem Polizeigewahrsam befreit worden. Ich glaube, die Versuchung ist heute groß, die RAF-Geschichte ausschließlich von ihrem Ende her zu sehen, von der Schleyer-Entführung, vom Selbstmord der drei in Stammheim.

SZ: Baader und Ensslin sind die Helden in Ihrem Buch, Kinohelden. Im Kino der sechziger Jahre wurde die Außenseiterbande gefeiert: "Viva Maria!", "Bonnie und Clyde", die Haudegen in den Italo-Western. Wie muss man sich das vorstellen: Kam man da aus dem Kino, und dann wollte man auch los ziehen?

Proll: Natürlich haben wir diese Filme gesehen, aber ich weiß nicht, was das mit der RAF zu tun haben soll. Das war die Zeit damals und ging doch allen so. Wir waren begeistert von Brigitte Bardot und Jeanne Moreau. Wir fühlten uns bestärkt, als wir die als kämpfende Weiber in "Viva Maria!" sahen.

SZ: Trotzdem war Deutschland doch niemals Südamerika. Sind das nicht geborgte Gesten: der Waffen-Kult, die Kleidung, die Frisuren? Nach Mao muss sich der Revolutionär im Volk bewegen wie ein Fisch im Wasser. Hat sich die RAF nicht eher nach dem Vorbild Che Guevaras oder der Black Panther stilisiert?

Proll: Beide waren wichtig für uns. Schließlich haben wir uns dann eingeredet, wir müssten in den bewaffneten Kampf gegen den Imperialismus ziehen. Die Black Panther aus Oakland waren zeitweise unsere Vorbilder, weil sie in der Stadt operierten und Waffen hatten und diese zu unserer Verblüffung offen trugen. Das kam aber erst im Mai 1970, nach der Baader-Befreiung.

SZ: Die RAF hat die Bundesrepublik über drei Jahrzehnte beschäftigt. Inzwischen ist sie Geschichte. Bleibt von der RAF mehr als ein Vorwand für Bilder unterschiedlicher Qualität?

Proll: Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich bin 1971 verhaftet worden. Schon von den Leuten der so genannten zweiten Generation kannte ich kaum mehr jemanden.

SZ: Jan Philipp Reemtsma hat neulich erklärt, dass der Zeitzeuge der natürliche Feind des Historikers sei. Verschwinden die ehemaligen Mitglieder der RAF aus der RAF-Geschichte?

Proll: Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass wir inzwischen lästig sind.

SZ: Wie meinen Sie das?

Proll: Die Historiker haben sich der RAF-Geschichte bemächtigt. Wir müssen bloß noch entsorgt werden.

© SZ vom 1.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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