RAF-Ausstellung:Der lange Marsch durch die Individuationen

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Bilder sehen dich an: Felix Ensslin, der Sohn von Gudrun Ensslin, über die umstrittene Schau zur Roten Armee Fraktion in Berlin.

Interview: Jörg Heiser

In den Berliner "Kunst-Werken" eröffnet am 29. Januar die Schau "Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung".

Vorausgegangen war dem von Klaus Biesenbach initiierten und zusammen mit Ellen Blumenstein und Felix Ensslin realisierten Projekt eine zum Teil hitzig geführte Debatte um die Förderung der Ausstellung durch den Hauptstadtkulturfonds.

Stattdessen wurde sie nun durch eine erfolgreiche Kunstauktion finanziert. Felix Ensslins Mutter Gudrun, Mitgründerin der Roten Armee Fraktion, gehörte zu den Toten des 17. Oktobers 1977 im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim; der Roman "Die Reise" seines Vaters Bernward Vesper, der sich bereits 1971 umgebracht hatte, erschien posthum im Winter des gleichen Jahres.

Der 1967 geborene Felix Ensslin wuchs bei Pflegeeltern auf; er studierte in den USA Philosophie und arbeitet als Dramaturg und Theaterautor. Im Dezember wurde am Deutschen Nationaltheater in Weimar sein Stück "Durch einen Spiegel ein dunkles Bild" uraufgeführt.

SZ: Schon das erste Bekanntwerden eines geplanten Projekts RAF-Ausstellung im Sommer 2003 hat eine kontroverse Diskussion ausgelöst. Warum wird die Auseinandersetzung der bildenden Kunst mit diesem Thema schärfer beobachtet als dessen Bearbeitungen in Film, Literatur oder Theater? Felix Ensslin: Für alle, die persönlich traumatische Erlebnisse mit diesem Themenkomplex verbinden, ist es schwierig, diese Bilder zu ertragen. Das muss man akzeptieren. Andere dagegen, auf die das nicht zutrifft, erwarten von der Kunst anscheinend immer noch die Darstellung des Schönen, Wahren und Guten. Welches Sujet auch immer man wählt - diese Wahl wird selbst schon als eine Aufwertung gedeutet, die ihr Thema adelt. Ich glaube, das trifft ganz einfach nicht zu. Die Medienbilder, auf die sich viele der in der Ausstellung gezeigten Kunstwerke beziehen, sind selbst längst Ikonen geworden durch ihre phantasmatischen Besetzungen, die Traumata und Ängste, aber auch die Wünsche, die sie hervorgerufen haben. Es geht darum, diese Bilder wieder zu vereinzeln, anstatt sie - wie das in den Massenmedien und im Film häufig geschieht - einfach zu verdoppeln. So erreicht Kunst eigentlich gerade das Gegenteil von Aufwertung oder Identifikation, nämlich eine reflexive Distanz.

SZ:Wird der Verwurf der Glorifizierung vielleicht auch deshalb erhoben, weil auf dem Feld der Kunst im Gegensatz zu Film, Literatur oder Theater die Einbettung in einen erzählerischen Kontext fehlt? Ensslin: Wenn man sich zum Beispiel die abstrakte Bilderserie des Informel-Malers K.R.H. Sonderborg anschaut, die Anfang der achtziger Jahre aus einer intensiven Beschäftigung mit einer Abbildung der Zelle Andreas Baaders nach dessen Tod entstand, so bleibt da definitiv keine Glorifizierung übrig. Narrative Formen bergen viel eher die Gefahr des platten emotionalen Identifikationsangebots. Bei den Arbeiten von Gerhard Richter, Klaus Mettig oder Sigmar Polke, die sich auf massenmedial verbreitete Bilder beziehen, geht es darum, die Identifikation zu brechen.

SZ: Muss Kunst Geschichte didaktisch vermitteln? Oder muss sie sich gerade davon frei machen? Es gab quer durch die politischen Lager den Verdacht, bildnerisch-künstlerische Darstellung könnte einer Aufarbeitung zuwiderlaufen. Ensslin: Ich glaube, das lässt außer Acht, dass es einen breiten politischen Konsens über die Geschichte der RAF gibt: dass einige Wenige in absoluter Selbstüberschätzung und Verblendung Waffen in die Hand genommen und sich zu Richtern über Leben und Tod aufgeworfen haben. Ich sehe keine ernst zu nehmende Diskussion in der Bundesrepublik, auch nicht in der Linken, die das in Frage stellen würde. Wäre das anders, könnte man diese Ausstellung tatsächlich nicht machen. Wenn gezeigt wird, wie drei Generationen von Künstlern ein Phänomen wie die RAF aufgegriffen haben, kann jedoch nicht zugleich eine erschöpfende zeitgeschichtliche Darstellung und Deutung geleistet werden.

SZ: Wie stark darf man sich überhaupt auf Forderungen nach didaktischer Flankierung einlassen? Brauchten wir nicht eher die Monty-Pythons oder einen Mel Brooks im Umgang mit der RAF? Sollte dieses Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik nicht dringend entheroisiert werden mit den Mitteln eines auch gegen sich selbst rücksichtslosen Humors? Ensslin: Es ist ein wichtiger Grundsatz dieser Ausstellung, kein Sollen zu definieren und nur das zu versammeln, was ohne kuratorische Vorgaben entstanden ist. Theo Ligthart zum Beispiel hat den Pseudoanspruch der RAF auf das Etikett "Avantgarde" in ihren Texten dem Gebrauch dieses Begriffs in einer Mercedes-Werbung gegenüber gestellt. Diese Ironie sollte sich, allgemein gesprochen, aber erkennbar auf das gesellschaftliche Phantasma beziehen und nicht einfach nur Lacher provozieren wollen. Das Paradox der RAF ist ja, dass sie trotz ihrer politischen Insignifikanz für einen bestimmten Zeitraum ein breites, traumatisches Erleben ausgelöst hat. Diese Nähe zu realem Verlust legt aber bestimmte Vorgehensweisen nicht gerade nahe.

SZ: Klaus Theweleit hat geschrieben: "Die RAF hat nichts hinterlassen an konkreter Politik, außer Mord und dem abstrakt Exzeptionellen". Besteht die Gefahr, dass die Kunst sich allein auf das abstrakt Exzeptionelle stürzt? Ensslin: Theweleits These stimmt. Die Frage ist aber, was daraus folgt. Für mich leitet sich daraus nicht ab, dass eine Kunstausstellung die Geschichte der RAF oder gar der Neuen Linken rekapitulieren muss. Warum sind ausgerechnet diese Bilder für viele Leute eine Zielscheibe? Die Ausstellung bietet all jenen eine reflexive Erfahrung, die bereit sind, die Prämisse zu akzeptieren, dass es um sie als Betrachter geht.

SZ: Machen Sie einen Unterschied zwischen jemandem wie Ihnen, der als Sohn eines RAF-Mitglieds direkt betroffen ist, und den meisten anderen, die diese Geschichte aus den Medien kennen? Ensslin: Das, was mich privat angeht, kann in so einer Ausstellung gar nicht verhandelt werden. In Margarethe von Trottas Film "Die bleierne Zeit" von 1981 wird zum Beispiel ein Attentat auf mich verübt, obwohl tatsächlich ein Unfall geschehen war. Als persönlich Betroffener ist das ärgerlich, aber ich würde daraus nie den Schluss ziehen, dass von Trotta diesen Film nicht hätte machen dürfen. Denn sie beteiligte sich an einem öffentlichen Diskurs. Die Trennung zwischen persönlicher Betroffenheit und gesellschaftlicher Diskussion wird von den Arbeiten in der Ausstellung schon deshalb vorgegeben, weil sie sich auf eine medial vermittelte Repräsentation beziehen.

SZ: Es bleibt dennoch nicht selbstverständlich, dass Sie sich exponieren, indem Sie zum Beispiel Interviews geben. Sie stellen sich ja in gewisser Weise vor die Ausstellung... Ensslin: Das ist ein heroisches Bild, das ich so nicht akzeptieren kann. Ich stelle mich nicht vor die Ausstellung, sondern habe mich an ihr beteiligt und sie zusammen mit Klaus Biesenbach und Ellen Blumenstein für die "Kunst - Werke" realisiert. Aber es stimmt, dass die Fragen, die mit der Ausstellung verbunden sind, für mich immer ambivalent bleiben werden. Ich habe Philosophie studiert, ich beschäftige mich mit Kunst auch in meiner Arbeit am Theater, schreibe manchmal auch über Kunst, und so habe ich mich vor zwei Jahren entschieden, mich an diesem Projekt zu beteiligen, weil mich die Werke interessieren.

SZ: Nehmen wir einmal Hans-Peter Feldmanns "Die Toten" (1998) als Beispiel: Zu sehen sind Medienbilder jener über neunzig Personen, die zwischen 1967 und 1993 im Zusammenhang mit dem Terrorismus in Westdeutschland ums Leben gekommen sind. Schon als die Arbeit zum ersten Mal 1998 in Karlsruhe gezeigt wurde, kam der Vorwurf auf, sie setze Opfer und Täter gleich. Wie sehen Sie das? Ensslin: Die Arbeit bedient sich der kontinuierlichen Repräsentation und Abrufbarkeit der Bilder in den Medien, um sie dann aber einzeln heraus zu greifen, mit Namen und Todesdaten zu versehen und in den Kontext eines Memento Mori zu stellen. In paradoxer Weise eröffnen so die serialisierten Bilder die Möglichkeit einer Reflektion auf Endlichkeit, Erinnerung, Trauerarbeit.

SZ: Opfer und Täter werden zwar auf rein formaler Ebene gleich behandelt, es wird damit aber erst der Raum geschaffen, zwischen den Bildern Vergleiche und Differenzierungen herzustellen. Ensslin: Das gilt auch für die Ausstellung insgesamt: Die Arbeiten nehmen einem nicht die Verantwortung ab. Trotzdem gibt es einen Archivraum mit einer Art Handapparat - Dokumentationen, wissenschaftliche Arbeiten etc.

SZ: Was kann eine künstlerische im Gegensatz zu einer zeitgeschichtlichen Ausstellung leisten ? Ensslin: Aufgrund ihrer Brechungen wirft die Kunst jeden einzelnen Betrachter auf sich selbst und seinen eigenen Blickwinkel zurück, anstatt ihn an die wissenschaftliche Untersuchung der Fakten zu verweisen. Dadurch stellt sie den phantasmatischen Charakter der historischen Ereignisse heraus. Das ist das Wesentliche.

© SZ vom 20.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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