Rätsel des Alltags:Wie Schröder ist der Kanzler? Wie Bild ist die Zeitung?

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Dort draußen, jenseits des rosa Sommerlochs, findet ein unerhörtes Busenrennen statt. Die Bild-Zeitung hat es entdeckt, und sie wird es auch bestimmt gewinnen. Mit der Antwort auf jene unbedingt philosophische Frage: "Wie schwul ist Deutschland?" Aber Kinners, was wissen wir denn schon?

Bernd Graff

Wenn eine Zeitung ins Sommerloch fällt, gibt es einen rosa Plumms. Oder ein Plitsch. Oder ein Plönk. Irgendwas schmierig Lautes macht es jedenfalls. Denn es ist nie lautlos, und es ist immer farbig. Altrosa oft, meistens mit einem Stich ins Magenta. Oder auch mal christiansencremefarben.

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Man kann sich bei fallenden Zeitungen nie sicher sein. Und insofern birgt das Sommerloch, das übrigens wie sein Ozon-Vorläufer in dünnster Luft einen Hang zu fataler Ausdehnung hat, auch im Jahre des Herrn 2004 immer noch einige Überraschungen.

Und sei es die, dass ein Geräusch farbig anläuft.

Gerade war wieder dieses Plumpsplitschplönk zu vernehmen. Es war wie erwartet rosa. Und es kam - auch das kein Zufall - aus Hamburg.

Dort bricht das Sommerloch ja oft schon im Dezember aus, und die dort ansässige Presse hat dementsprechend das Lackmuspapier für alle farbigen Sommerlochgeräusche hervorgebracht. Es ist zeitgeistresistent, aber immer zur Stelle und verlässlich. Denn es befindet sich stets auf der Höhe eines jeden sich bietenden Abgrunds: die Bild-Zeitung. Eben.

Das Organ, das für alles steht, musste gerade erst im Sportteil empfindlich-peinlich einräumen, dass die dort gezeigten Liebesnacht-Scheidungsschlacht-Fotos des bröckelnden Torwarttitans Kahn aber überhaupt rein gar nichts dokumentierten.

Denn der angeblich in flagranti geknipste Hüter bayerischer Kästen war zu dem angegebenen Zeitpunkt gar nicht Grünwalder Federn entstiegen. Stattdessen saß er ausgerechnet mit dem Sportchef der Bild-Zeitung, Alfred Draxler, beim Frühstücksmüsli eines von Franz Beckenbauer höchstpersönlich verantworteten Golf-Turniers in Bad Griesbach.

Gut, dann eben nicht, müssen sich die Hamburger Kollegen gedacht haben.

Davon lassen wir uns unser schönes Sommerloch aber nicht vermiesen.

Und so begannen sie - einmal im Loch, immer im Loch! - diese Grube, die man sich selber gräbt, nun noch tiefer auszuheben.

Und siehe da - nach ärgstem Buddeln im Reingarnichtsnichts schimmerte es rosa - rosa wie eben das Geräusch, das entsteht, wenn eine Zeitung .... Sie wissen schon.

"Wie schwul ist Deutschland?" titelt also heute diese unerschütterliche Festung des Randstands - das Wort "schwul" wohlgemerkt in ebenjenem verschwitzten Ulle-TourdeFrance-Rosa, das uns bei jeder Bergetappe beschäftigt.

Was aber antwortet man nun den Leuten? Die Frage ist genauso delikat wie das farbige Geräusch jener Zeitung, die jetzt schon im Sommerloch versinkt. denn: Wie schwul ist schwul? Wie schwul kann schwul überhaupt werden - und dann auch noch ein ganzes Land? Und das, bitte schön, auch noch in Altrosa.

Grober Aufhänger dieses unbedingt philosophischen Problems im Ausmaß eines Zen-buddhistischen Rätsels war die so bezeichnete "Präsentation" des Westerwelle-"Freundes" (auch mal "Lebenspartner") bei einem Berliner Empfang zuvor.

Bild ging es dann so an: Erst Westerwelle, Wowereit und die Gags von Bully Herbig, dazu dann die Altschwulen Hape Kerkeling, Ole v. Beust und Patrick Lindner - und jetzt also ganz Deutschland.

Aber wie schwul? Wiehie denn? Wie, um Himmels willen, schwul ist denn das auch nach sexuellen Präferenzen durch und durch wiedervereinigte Ganzdeutschland?

Oder muss es heißen: "Deutschland ist schwul, aber wie!"

Was sagt man denn nun den Leutchen - dort im finsteren Sommerloch-Hamburg - so ganz ohne Torwarttitan? Und von Bohlen hört man ja auch schon immer weniger.

Soll man darauf "20 Grad" antworten? Deutschland ist 20 Grad schwul? Und "Min-des-tens!" hinterher schieben?

Oder soll man sagen: "So schwul wie andere Länder auch."

Oder: "Gefühlte sechs Prozent"? Oder soll man: "Aber gleich so hoch!" sagen und dann auf den Wasserstand des letzten Oderbruchs zeigen? Alles keine Lösung.

Was soll man denn dann tun und antworte`? Wohin soll man sich wenden, was noch hoffen, und was ist der Mensch?

Gegenfragen: Wie Schröder ist der Kanzler (noch)? Wie Bild ist die Zeitung? Und wie Plötsch das Sommerloch, in das sie gefallen ist?

Noch einmal also: "Wie schwul ist Deutschland?" Ganz gewaltig, aber hallo. Soviel wenigstens ist sicher.

Der Rest des Wie und Warum des deutschen Schwulseins (an sich!) bleibt wohl auf immer in dem unbedingt heterosexuellen und offensichtlich nicht hinterfragungswürdigen "Busenrennen" auf der Strecke, das dieselbe Philosophen-Ausgabe der Bild-Zeitung auf der letzten Seite auslobt.

Auch dieses ist wohl ein Rätsel: Wie nur können Busen rennen? Müssen sie das? Und dann gleich alle? Wie schnell ist denn der deutsche Busen - gerade auch im internationalen Vergleich?

Aber dies und mehr - kommt alles noch in diesem Sommerloch. Bestimmt. Und dann auch gerne wieder in rosa.

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