Radikal jung:Theater in absentia

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Quasi ein Horrorstummfilm im Interieur vergangener Jahrzehnte: "Tyrannis" vom Staatstheater Kassel, inszeniert von Ersan Mondtag. (Foto: N. Klinger)

Eigentümliches zum Beginn des Festivals im Volkstheater

Von Petra Hallmayer, Egbert Tholl, München

Der Auftakt des Festivals "Radikal jung" ist bestimmt durch Absenz. Zum einen ist das Volkstheater keineswegs ausverkauft - ein Zustand, der sich vom zweiten Tag an radikal ändern wird. Zum anderen kommt die erste Produktion ohne Text, ohne Schauspieler und eigentlich auch ohne Regisseur aus, erstaunlich bei einem Festival der jungen Regie. "Flimmerskotom" haben drei Gießener Studenten erbastelt, Gregor Glogowski, Alisa M. Hecke und Benjamin Hoesch, es dauert 40 Minuten und besteht aus Lampen. Auf der Bühne ein Turm mit ganz normalen, also altmodischen Scheinwerfern, ein paar Scheinwerfer am Boden, ein paar Neonröhren im Raum, es sirrt und brummt, man hört das Eigengeräusch der Scheinwerfer, elektronisch bearbeitet, rhythmisiert, verstärkt. Mal wird eine Lampe langsam heller, verlischt rasch, mal huschen ein paar schnell hintereinander in ihre Tätigkeit, insgesamt wird es pulsierend mehr Licht. Man kann sich Geschichten hineindenken, Assoziationen, Philosophien, Mensch, Maschine, Theater. Man kann es auch einfach als Studentenprojekt sehen, das die Gage für Akteure sparen wollte. Zukunft? Nö.

Tags darauf, zu Beginn von "Regie 2", kann man erst einmal herzlich lachen. "Liebes Publikum" steht auf einer Leinwand, auf der uns Monster Truck schriftlich begrüßen. Sie wolle, teilt uns die Gruppe mit, "lieber keine eigene Regiearbeit zeigen". Mehr noch: "Wir möchten lieber gar kein Stück zeigen." Dann werden die Zuschauer gebeten, in draußen wartende Busse zu steigen. Die bringen uns zur Olympiahalle, wo wir Karten für die Freestyle-Motocross-Show "Night of the Jumps" erhalten. Als Überraschung hat das einen gewissen Gagwert, der jedoch sehr schnell verpufft. In der Halle dürfen wir drei lange Stunden einem Rockspektakel zuschauen, bei dem Kerle mit geheimen suizidalen Neigungen mit Motorrädern durch die Luft fliegen. Vorab hatte das Performance-Kollektiv, das letztes Jahr durch Projekte mit Schauspielern mit Down-Syndrom heftige Diskussionen ausgelöst hatte, via Leinwandbotschaft versprochen, an diesem Abend nicht künstlerisch zu intervenieren. Tatsächlich tauchen die Monster Trucker erst zum Publikumsgespräch im Volkstheater auf, bei dem sie ihre aus einer Pointe bestehende Performance mit allerlei Theorieschleifen und Verweisen auf Duchamps Readymades schmücken. Wobei sie ungeniert bekennen, dass bei der Konzeptentwicklung der Faktor "Faulheit" eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat: "Wir haben uns gefragt: Was ist das Mindeste, das man leisten muss, um als Regisseur durchzugehen?" Die eigentliche Frage aber ist doch: Wenn man keine Lust hat, Theater zu machen, sollte man es dann nicht lieber ganz sein lassen?

Theater satt folgt dann am Sonntag mit "Fräulein Julie", inszeniert von Daniel Foerster am Schauspiel Frankfurt. Satt, weil darin Katharina Bach das Fräulein als Hysterie-Reanactment aller Volksbühnen-Produktionen zusammen spielt, dabei theaterinterne Scherze nicht vergisst, indes aber schnell vergessen lässt, worum es eigentlich geht. Bei ihr und Alexej Lochmann als des Fräuleins Geliebten Jean ist der Körpereinsatz beeindruckend, in Lochmanns Momenten der Ruhe erspürt man auch eine Lebenslustliebe. Doch interessanter ist das wispernde Pendant zur Kreischerei, Verena Bukal, und des Fräuleins Not geht einen nichts an, nur auf die Nerven.

Maximal kontrahysterisch ist dagegen "Tyrannis" vom Staatstheater Kassel, ersonnen von Ersan Mondtag, eingeladen zum Theatertreffen, atmosphärisch grandios, technisch brillant. Mondtag spielt mit Suspense, mit Bildchiffren des Horrorfilms, verzichtet gänzlich auf Text und lässt, stark inspiriert von Arbeiten Susanne Kennedys, Abläufe und Situationen von puppenhaft und teils prägnant agierenden Darstellern durchspielen. Er erschafft eine sehr eigene Welt, doch verschwindet in dieser die Konsistenz des Erzählten.

© SZ vom 26.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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