Pyramidenbau bei Dessau:"Friedhöfe sind out"

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Noch sind die "Freunde der Großen Pyramide" weit von der Umsetzung ihrer Pläne entfernt. Es darf aber schon mal gefeiert werden.

Eckhart Nickel

Wer den Marktflecken Streetz ein paar Kilometer hinter Dessau passiert, könnte ein kleines Schild übersehen, das dort kurz hinterm Ortseingang an einem Zaun prangt: "Vorsicht, ich könnte heute schlechte Laune haben!" Wäre der Hund auf dem Bild nicht so verblichen, die Schrift nicht so verwittert, man wäre versucht, auch dieses Element als Teil einer grandiosen Inszenierung zu sehen, die von den Initiatoren des Vereins "Freunde der großen Pyramide" hier seit ihrem ersten Besuch im Mai aufgeführt wird.

Ein 3-Modell gibt einen Eindruck, wie sich das Bauwerk dereinst in die Landschaft fügen soll.(thegreatpyramid.org) (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Aber, und das ist auch gleich der psychologische Trick des Happenings, es ist alles echt: Das Vorhaben, eine der zehn Visionen aus Ingo Niermanns Buch "Umbauland", nämlich eine riesige Pyramide als erste internationale Grabstätte im strukturschwachen Ostdeutschland zu errichten, hat dank der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes eine Form angenommen, die viele Streetzer Bürger schon als Fast-Realität empfinden.

Und seit vor kurzer Zeit ein Windkraftrad das 700 Jahre währende Dorfidyll empfindlich gestört hat, stehen die Zeichen auf Sturm. Man reagiert empfindlich auf alles, was "von oben" hereinbricht, so auch auf das Pyramidenfest, das am vergangenen Sonntag auf einer Wiese um Verständnis für die Idee warb.

Aber bereits auf der am Nachmittag davor einberaumten Pressekonferenz in der Kneipe "Hummelstube" sind die Gegner des Projekts abwesend. Sie formieren sich, wie später bekannt wird, in einer Bierhalle, und deren Wortführerin begleitet ein MDR-Team durch den Ort, um Protest kund zu tun.

Zur selben Zeit, in der "Hummelstube": Vor den Initiatoren Ingo Niermann, Jens Thiel und Heiko Holzberger stehen vier Stück Sahnetorte in schrillsten Farben, die allerdings nicht angerührt werden. Es gibt frisch gebrühten Kaffee dazu. Man gibt Auskunft über den Stand des Projekts, die Zusagen von Rem Kohlhaas und Miuccia Prada für die Jury des Architekturwettbewerbs, die Motivation (dem Tod einen Platz im Leben einräumen) und die Reaktionen auf das Projekt. Positiv, wie bemerkt wird, vor allem wegen des geringen Bestattungspreises von 600 Euro pro Stein für die Ewigkeit.

Schnitt zum Feld hinter dem Dorf, wo unter dräuendem Himmel, aus dem von Zeit zu Zeit Sonnenstrahlen wie Finger Gottes auf die Wälder um Streetz zeigen, eine Art Mini-Rockfestival aufgebaut wird. Auf der Bühne unter einem Pyramidenzipfel bauen Roadies mit Technobärten für die großen acts des Abends auf: z.B. Northern Lite, zu welcher der Dessauer Oberbürgermeister Klemens Koschig später ekstatisch in die Nacht tanzen wird, und der, wie es heißt ein guter Freund von Didi Hallervorden sei, der übrigens auch von hier kommt.

Bestnoten für die Darsteller

Aus der NVA-Gulaschkanone gibt es Wellklösse und Eisbein, der Steinmetz Thomas Rheder von der Firma Betoniu (Claim: "Wohnen mit Beton") in Leipzig entsteigt mit grauem Wallehaar und pinkem Hemd einem nachtblauen alten Jaguar MK II, um seine fünf Probesteine zu präsentieren, die, wie er freundlich versichert, aus "selbstverdichtendem Beton" gegossen sind: der angenehmen Oberfläche wegen.

Als das Programm beginnt, haben sich auf der anderen Seite des Feldwegs die Protestler mit Transparenten aufgestellt: "Wir wollen keine 5 Millionen Tote in Streetz!" Das Team vom MDR versucht, wie es schön heißt, O-Töne einzufangen.

Inzwischen trifft der Shuttlebus aus Berlin ein, unter dem bunten Mitte-Publikum auch "Wir nennen es Arbeit"-Holm Friebe, der gleich live über Blackberry einen Artikel für seine Homepage riesenmaschine.de verfasste, ein etwas eingeschüchtert wirkender Christian Kracht, Komponist und Dirigent David Woodard mit seiner für den Auftritt neu ensemblierten Los Angeles Chamber Group, um das eigens für den Anlass komponierte "Cornerstone Cringle" für fünf Bläser uraufzuführen.

Ein Audi TT Cabrio mit Hamburger Kennzeichen und einem gutgelaunten Pärchen rollt am Plakat der Protestler entlang. Die Dramatik wird noch im nächsten Moment überboten, als der Spielmannszug Blau-Weiss Roßlau e.V. eine stramm militärisch entschlackte Version der Rockfanfare "The Final Countdown" von Europe gibt. Dann singt ein lokaler Entrepreneur, Dirk Spielberg, im Trockeneisnebel der Bühne verpoppte Volksmusik zum Mitschunkeln. Wenn man nicht wüsste, dass alles echt ist, wären nur Bestnoten für die Besetzung der Rollen zu vergeben.

Aber alles echt: Die Mitarbeiter in den weißen Papieroveralls, die Quader aus Styropor zum Bemalen für Kinder und Erwachsene anbieten, damit eine kleine Kunstpyramide den ersten Eindruck von dem späteren Bauwerk vermitteln kann.

Und der gelbe Zettel, den eine Streetzer Bürgerin in Händen hält: Der Verein kündigt an, dass das Engagement in Streetz mit dem Fest vorerst beendet ist. Was sie bedauert, weil: "Friedhöfe sind für mich out. Das passt heute nicht mehr."

Da ist sie mit dem Dessauer OB einig, der, ein Pils in der Hand, mit den Demonstranten debattiert und die Ablehnung im Streetzer Ortsbeirat beklagt: "Das macht mich traurig, dass da ein Topf zugemacht wird, wo das Ganze eine Chance wäre zu beweisen, dass so was Progressives bei Euch möglich ist. Hier passiert ja sonst für die nächsten hundert Jahre nichts." Der nächste Schritt von der fiktionalen zur realen Pyramide muss nicht weit sein. Eine inoffizielle Bewerbung kommt aus dem Nachbardorf Mühlstedt.

© SZ v. 4.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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