Prozessauftakt: Michael Jackson:Hängt ihn höher!

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Die Nachrufe sind nicht nur schon geschrieben. Sie sind schon gedruckt. Der King of Pop ist jetzt schon ein toter Mann. Dabei hat das Verfahren gegen den Psycho per Gerücht noch gar nicht begonnen. Die notwendige Analyse von Dirk Peitz

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Michael Joseph Jackson, geboren am 29. August 1958 in Gary, Indiana, als siebtes Kind des Kranführers Joe und der Verkäuferin Catherine Jackson . . . der berühmteste Sänger, Tänzer, Liedschreiber seiner Zeit . . . der letzte Superstar . . . der bekannteste Schwarze . . . der neue Peter Pan . . . der ewige Moonwalker . . . der traurige, einsame Bewohner des Fantasiereichs Neverland . . . der King of Pop . . . ist ein toter Mann. Vor langer Zeit schon hat er sich in Wacko-Jacko verwandelt. Das schönheitschirurgische Experiment . . . den chemisch gebleichten Weißendarsteller . . . den durchgeknallten Sein-Reagenzglasbaby-aus-dem-Adlon-Fenster-Schwenker . . . den Mundschutz tragenden und im Sauerstoffzelt nächtigenden Bakterienhysteriker . . . den selbsternannten Messias und Hüter der Kinder . . . den bankrotten Verschwendungssüchtigen . . . den größtanzunehmenden Freak. Ausgestellt in den Medien, dem Publikum zur Abschreckung und bizarren Ergötzung. Wacko-Jacko ist die untote Version Michael Jacksons, ein Zombie vor seiner Zeit, die einzige Kreatur, die für ihre Wiedergängerexistenz nicht mal sterben musste.

Müsste nicht noch Recht gesprochen werden, bräuchte man ihm eigentlich gar nicht mehr den Prozess zu machen. (Foto: Foto: dpa)

Wohl noch nie zuvor ist ein Popmusiker, die in ihrer Eigenschaft als Starfiguren ihre Attraktivität ja gerade aus ihrer demonstrativen Abkehr vom so genannten Normalen beziehen, bei lebendigem Leib so vollständig, rücksichtslos, öffentlich und fast ausschließlich auf Grundlage von Gerüchten psychopathologisiert worden wie Michael Jackson.

Nichts, was im vorigen Absatz geschrieben steht, ist im juristischen Sinne bislang bewiesen worden: Hörensagen, Oberflächenbeobachtungen, Indizieninterpretationen. Und doch sagt uns unser am Boulevard geschulter Blick, dass der seit mehr als einem Jahrzehnt andauernde körperliche Verfall Jacksons nicht zufällig synchron zu seinem künstlerischen verläuft. Es war einmal ein Musiker, der mit "Thriller" die bedeutendste Platte der 80er Jahre aufgenommen hat. Es war einmal ein Tänzer und Performer, der in seinen besten Zeiten die Schwerkraft besiegte. Doch das ist Jahre her.

Jacksons heutige mediale Existenz ist die reine Pervertierung allen Starkults. Der gründet auf der guterzählten Fiktion übermenschlicher Wesen in Menschengestalt und berichtet von deren Ruhm und Reichtum, ausschweifendem Leben, tollem Sex, exzentrischem Gehabe, von alldem also, was wir gewöhnlich Sterblichen nicht haben -- und von den seelischen und kriminellen Abgründen, die sich hinter der Fassade des schönen Scheins angeblich zwangsläufig auftun müssen. Der größte Thrill nämlich ist, wenn diese mit stetigen Gerüchten aufrechterhaltene Fiktion in die Wirklichkeit herüberzuragen beginnt, wenn schließlich der vermeintliche Preis zu entrichten ist für all die Abweichungen vom Normalen, wenn die irdische Gerechtigkeit den Überirdischen einholt: Ab heute steht Michael Jackson vor Gericht.

Müsste nicht noch Recht gesprochen werden, bräuchte man ihm eigentlich gar nicht mehr den Prozess zu machen. Nicht weil es egal wäre, ob Jackson wirklich schuldig geworden ist im Sinne der Anklage, sich im Jahr 2003 einem damals dreizehnjährigen, krebskranken Jungen gegenüber vier Mal unzüchtig verhalten und es in einem weiteren Fall wenigstens versucht zu haben; ferner vier Mal dem Jungen zu dessen Gefügigmachung Alkohol eingeflößt und schließlich eine Verschwörung geplant zu haben, ihn zu entführen. Sondern weil der Angeklagte bereits verurteilt ist: von einer Berichterstattung, die zwischen Tatsachen und Erfindungen weder trennen kann noch will; von einem Publikum, das, egal wie das Urteil lauten wird, diesem Vorverurteilten nicht mehr gestatten wird, seinen Lebensunterhalt zu verdienen: Niemand will für die Musik dieses Mannes noch Geld ausgeben.

Die bürgerliche Existenz Michael Jacksons ist materiell wie ideell unwiederbringlich zerstört, und ob dies zu Recht geschah, so glauben wir, soll nun im Gerichtssaal der kalifornischen Kleinstadt Santa Maria unter der Leitung des Richters Rodney Melville von zwölf Geschworenen entschieden werden. Anklage wie Verteidigung werden versuchen, aus diesem Prozess einen über den Starkult selbst, über unsere Fantasien der Folgen von Ruhm und Reichtum zu machen. Und zwar desto mehr, je schwächer jeweils ihre Beweise und ihr Fall sein werden. Die Staatsanwaltschaft wird einen vom Starsein restlos korrumpierten Angeklagten präsentieren, der sich sein privates Recht und Gesetz glaubte machen zu können. Die Verteidigung wird behaupten, erst Ruhm und Reichtum hätten ihren Mandanten angreifbar gemacht für erpresserische Verdächtigungen.

Es stellt sich nun die Frage, wie sich Medien und Publikum das Ende dieser Geschichte wünschen. Können wir uns Michael Jackson ernsthaft als Insassen eines Gefängnisses vorstellen? Hoffen wir auf eine gutachterliche Bestätigung, dass dieser Mann im juristischen Sinne nicht zurechnungsfähig ist? Würde er im Falle eines Freispruchs ähnlich stigmatisiert wie der weit weniger berühmte O.J. Simpson -- als ein Davongekommener der amerikanischen Justiz? Oder wünschten wir uns im Stillen nicht ein viel endgültigeres Ende? Michael Jackson ist mindestens so sehr der Zombie unserer Fantasien, wie er längst sein eigener physischer Zombie ist. Der Star und das Monster aber bleiben letztlich unsere Erfindungen.

© SZ vom 31.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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