Projekt Ahnenforschung:Die DNS-Sammler

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Mittels DNA-Spuren soll die Evolutionsgeschichte der Menschheit nachverfolgt werden. Der Autor Jeremy Rifkin über das Projekt und dessen Nutzen für die Menschheit.

Jeremy Rifkin

Am 10. Januar 1969 veröffentlichte das Life Magazin faszinierende Farbfotos von der Erde, aufgenommen vom Raumschiff Apollo 8 bei seiner Mondumrundung. Zum ersten Mal in der Geschichte konnten Menschen sehen, wie ihr Planet von außen aussieht. Staunend betrachteten wir eine kleine, farbenfrohe und formenreiche Sphäre, bestehend aus großen Ozeanen und ausgedehnten Kontinenten. Kurz, wir sahen unsere gemeinsame Heimat in ihrer Gesamtheit.

Jeremy Rifkin (Foto: Foto: dpa)

Die Fotos waren umwerfend. Sie verschlugen uns den Atem. Plötzlich bekamen wir ein Gefühl für das Besondere unseres Planeten und für unser Alleinsein im Universum. Durch die Veröffentlichung dieser Fotos von der Erde veränderte sich unwiderruflich unsere kollektive Perspektive. Für viele von uns stellten sie eine entscheidende Schwelle auf dem Weg zur Globalisierung unserer Psyche dar, die wir überwinden mussten, um uns stärker als Erdenbürger wahrzunehmen und nicht mehr nur als Angehörige eines bestimmten Stammes, einer Religion oder Nation.

Informationsreiche Hautschuppen

Heute erhielt ich mit der Post eine genetische Analyse der Geschichte meiner Vorfahren. Sie machte auf mich einen ebenso tiefen Eindruck wie die ersten aus dem All aufgenommen Fotos von der Erde. Wie damals wurde mein Sinn für globale Perspektiven dadurch neu ausgerichtet.

Vor zwei Monaten schloss ich mich dem Genographischen Projekt an - einer globalen Studie, durchgeführt von der ehrenwerten National Geographic Society und IBM. Die gesamte Evolutions- und Migrationsgeschichte von uns Menschen soll durch diese Studie zurückverfolgt werden. Man schickte mir ein spezielles Schabegerät zu, mit dem ich in der Mundhöhle Haut von meinem Backeninneren abkratzte und an ein Labor schickte. Die Hautproben wurden dort bearbeitet und analysiert.

Hier das Ergebnis: Ich gehöre der Haplogruppe RIB (M343) an. Eine Haplogruppe definiert sich durch eine Reihe genetischer Marker, die von anderen mit den gleichen zufälligen Mutationen geteilt werden. Diese Marker zeichnen den Weg nach, den die Vorfahren einer Person im Laufe der Geschichte zurückgelegt haben.

Eine große Familie

Mein ältester männlicher Vorfahre lebte vor ungefähr 50 000 Jahren in Nordostafrika im Rift Valley, etwa in der Gegend des heutigen Äthiopien, Kenia oder Tansania. Damals gab es nur etwa 10 000 ihrer Zeit entsprechende Menschen auf der Erde - alle in Afrika. Meine Ahnen väterlicherseits zogen in den Vorderen Orient und von dort aus nach Zentralasien, bis sie schließlich nach Europa kamen - das alles im Verlauf mehrerer Jahrtausende.

Am interessantesten an meinem Ahnenprofil ist aber, dass ich mit allen anderen Menschen, die heute auf der Erde leben, exakt den gleichen Urvater und die gleiche Urmutter teile. Wir stammen alle von einem Ur-Adam und von einer Ur-Eva ab; dadurch gehören wir praktisch einer einzigen großen Familie an. Dieser verblüffende genetische Fakt verändert die Perspektive der Menschen grundlegend. Jetzt wissen wir: Wir sind alle miteinander verwandt!

Seite 2: Warum wir alle miteinander verwandt sind und welchen Nutzen diese Erkenntnis hat.

Und wie lässt sich das nachweisen? In allen weiblichen Menschen wird die mitochondriale DNS unverändert von Generation zu Generation durch die Mutter an die Töchter weitergegeben, während das Y-Chromosom gleichermaßen intakt vom Vater auf die Söhne vererbt wird. Gelegentlich findet eine genetische Mutation statt, die zu einem genetischen Marker wird. Dadurch können Genetiker nachvollziehen, wie sich Volksgruppen abgelöst haben und in unterschiedliche Gegenden abgewandert sind.

Wettlauf mit der Zeit

Wie Forscher des Genographischen Projektes herausgefunden haben, stammen scheinbar alle zur Zeit auf der Erde lebenden Menschen von einer einzigen Frau ab, einer "mitochondrialen Eva", die vor 150 000 Jahren in Afrika lebte. Sie war zwar nicht der einzige weibliche Mensch damals - in Afrika gab es zu der Zeit bereits mehrere tausend Frauen - doch ihre DNS war die einzige, die sich von damals bis heute von Müttern auf Töchter weitervererbt hat.

Genetiker entdeckten auch einen "Adam des Y-Chromosoms" - wiederum in Afrika -, der vor etwa 60 000 Jahren gelebt hat. Zwar gab es zu dieser Zeit auch schon mehrere tausend weiterer männlicher Menschen, doch seine DNS war wiederum die einzige, die überlebte, indem sie stets von Generation zu Generation seitens der Väter an ihre Söhne weitergegeben worden ist.

Bis jetzt ist die Landkarte, die die menschlichen Siedlungsbewegungen aufzeichnet, noch ziemlich skizzenhaft. Das Genographische Projekt hofft aber, im Laufe der nächsten Jahre genetische Proben von mehr als 100 000 Menschen einsammeln zu können, und zwar von Eingeborenengruppen rund um die Welt ebenso wie von anonymen DNS-Spendern aus der Bevölkerung.

Diese Proben sollen helfen, die Landkarte zu vervollständigen, auf der die Bewegungsströme der Menschen aufgezeichnet werden. Spencer Wells, der wissenschaftliche Leiter des Projekts, sagt, die Genetiker, die die Landkarte fertigstellen, befänden sich in einem Wettlauf mit der Zeit, "da heutzutage die Menschen in weit größerem Maß neue Lebensräume suchen und sich untereinander mischen als früher".

Umstrittene Datensammlung

Das Projekt ist nicht ganz unumstritten. Gruppen von Eingeborenen sorgen sich verständlicherweise, dass ihre DNS für kommerzielle Zwecke missbraucht werden könnte, insbesondere in der medizinischen Forschung. Sie bestehen darauf, dass keine Patente auf ihre DNS erteilt werden dürfen.

Um ihre Befürchtungen zu zerstreuen, hat das Genographische Projekt erklärt, dass die gesammelten genetischen Daten weder in der medizinischen Forschung verwendet, noch Patente darauf vergeben würden. Vielmehr würden alle gesammelten Informationen eines Tages Gemeingut werden.

Das Genographische Projekt ist die größte Forschungsexpedition, die je unternommen wurde. Sie wird uns darüber aufklären, wie sich unsere Spezies im Lauf der Jahrtausende über den Erdball ausgebreitet hat. Genau so wichtig ist aber, was sie uns über unsere gemeinsamen Vorfahren sagen wird.

Ted Waitt, Gründer des Gateway Computerunternehmens und Leiter der Waitt Family Foundation, die zur Finanzierung des Forschungsprojektes beiträgt, drückt dies am besten aus, wenn er sagt: "Je mehr wir verstehen, wo unsere gemeinsamen Wurzeln liegen und welche Wege die Menschheit eingeschlagen hat, desto mehr steigen unsere Chancen, dass wir eines Tages ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie eine große Familie entwickeln werden."

Zu einer Zeit, in der die Welt vor nie dagewesenen globalen Herausforderungen steht - vom Klimawandel über den Verlust der Biovielfalt bis hin zu dem sich ausbreitenden Terrorismus und der Weiterverbreitung von Atomwaffen - könnte das Wissen, dass wir alle von den selben Urahnen abstammen, unsere Sichtweise entscheidend verändern.

Diese Änderung ist notwendig, um uns von unseren herkömmlichen Denkmustern zu befreien, in denen Grenzen und Rivalitäten noch eine große Rolle spielen. Es wird Zeit, dass wir uns als eine große Homo-Sapiens-Familie begreifen, die sich eine einzige Biosphäre mit ihren Mitgeschöpfen teilt. Davon hängt unser Überleben ab. Das Genographische Projekt kann uns dabei helfen, unsere gemeinsame Vorgeschichte besser zu verstehen und uns stärker unserer familiären Verantwortung für das Wohlergehen künftigen Lebens auf Erden bewusst zu werden.

Jeremy Rifkin ist Autor des Buches "Das Biotechnische Zeitalter" (Goldmann Verlag) und Präsident der Foundation on Economic Trends in Washington, DC.

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