Privatmuseum:Er will nur teilen

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In der Newport Street Gallery in London zeigt Damien Hirst Werke aus seiner Sammlung. Steckt Liebe zur Kunst dahinter oder Unternehmertum?

Von Alexander Menden

Der Bau trägt sein vierzackiges Sägedach wie eine Krone und wendet dem Besucher eine breite Backsteinbrust zu. Alle, die künftig auf der gegenüberliegenden Trasse mit dem Zug nach Waterloo Station fahren, werden auf Augenhöhe die Neonschrift lesen können, die über seinem Eingang prangt: Newport Street Gallery. Damien Hirsts neues Privatmuseum nimmt fast die halbe Straße ein, deren Namen sie trägt.

Damit ist ein Projekt vollendet, das der Künstler lange als großes Ziel ausgegeben hatte. Der fünfzigjährige prominenteste der "Young British Artists" hat mit seinem früheren Förderer Charles Saatchi gleichgezogen und sich eigene Ausstellungsräume zugelegt. In ihnen zeigt er nun in wechselnden Ausstellungen seine 3000 Werke zählende Kunstsammlung.

3500 Quadratmeter Fläche umfasst das Museum im Londoner Stadtteil Vauxhall. Ihren denkmalgeschützten Nukleus erwarb Hirst bereits 2002 als Atelier. Früher befanden sich darin Werkstätten der Theater aus dem West End; nach dem Zweiten Weltkrieg baute man hier Schubkarren. Aus dieser Manufaktur hat das Architektenbüro Caruso St John (das jüngst für seine sehr gelungene Renovierung der Tate Britain gefeiert wurde) eine Galerie gemacht, auf deren klare Linien und bis zu 15 Meter hohe Decken Saatchi mit einigem Neid schauen wird.

Drei existierenden Gebäuden wurden zwei weitere angefügt; drei elegante Wendeltreppen führen vom Erdgeschoss in den ersten Stock. Die Böden sind aus erstklassig verarbeitetem Gussbeton, die Wände strahlend weiß, wie es sich gehört, Details des alten Gebäudes nahtlos ins neue Design integriert: alles vom Feinsten.

Das Ganze fühlt sich wie ein öffentliches Gebäude an, nicht wie jene kommerziellen Galerien, von denen Hirst sich offenkundig absetzen wollte. Und trotz seiner Größe ist dieses Privatmuseum von einem so harmonischen Understatement durchdrungen, dass man kaum glauben mag, dass ausgerechnet ein zuletzt nur noch zynische Fließbandkunst produzierender Spin-Painting-Zampano hier der Spiritus Rector gewesen sein soll.

Auch der Künstler, den Hirst für die Eröffnungsschau ausgewählt hat, hält weniger Knalleffekte, als vielmehr das Erlebnis einer willkommenen Wiederentdeckung bereit: John Hoyland war einer der ersten britischen Maler, die sich vom Abstrakten Expressionismus der Amerikaner Mark Rothko und Barnett Newman inspirieren ließen.

Hirst lernte ihn in seinen letzten Lebensjahren kennen und begann 2009, zwei Jahre vor Hoylands Tod, seine Bilder zu sammeln. Die gigantischen Leinwände aus Hoylands früher Schaffensphase in den Sechzigern zeugen von bemerkenswertem Selbstbewusstsein und malerischer Sicherheit. Aufgeteilt in starkfarbige geometrische Formen, sind die 33 Gemälde wie geschaffen für die sechs hellen Ausstellungsräume.

So viel Understatement! So viel Eleganz! Kaum zu glauben bei einem Zyniker wie ihm

Der Ehrgeiz, der in dieses Projekt floss, ist unübersehbar und vielleicht das Hirst-Typischste an dem gesamten Unterfangen. Aber warum hat Hirst so viel Zeit, Geld und Arbeit in diese Privatgalerie investiert? Wenn man Kate Davies, Hirsts Sammlungsleiterin, glauben darf, geht es hier keinesfalls ums Geld: "Damien will einfach seine Kunst mit der Öffentlichkeit teilen, deshalb ist ja auch der Eintritt frei. Er hat in den späten Achtzigerjahren mit dem Sammeln begonnen, und er ist ebenso sehr Kurator wie Künstler."

Mit verrottenden Kuhköpfen und Haifischen in Formaldehyd wurde Damien Hirst, 50, in den Neunzigern zum Superstar der Kunst. In den letzten Jahren sank sein Marktwert rapide. (Foto: Tim P. Whitby)

Tatsächlich wird über all den Schmetterlings-Arrangements und gehäuteten Bronzedamen, mit denen Hirst eine Zeitlang die Welt flutete, vergessen, dass er seine ersten Erfolge vor allem seinem Talent als Ausstellungsmacher verdankt. Was 1988 mit der legendären "Freeze"-Ausstellung in den Docklands begann und vier Jahre darauf mit Saatchis "Sensation"-Schau in die Genese eines neuen britischen Kunst-Establishments aus lauter Jungen, eben noch Unbekannten mündete, war organisiert und kuratiert von Damien Hirst.

Es ist also nicht etwa Hirsts Wunsch, mit der Galerie seinen Status als "ehemaliger Superstar der Kunstwelt" aufzupolieren, wie das Wall Street Journal kürzlich mutmaßte? Er hat nicht vielleicht Interesse daran, weniger bekannte Künstler wie John Hoyland bekannt zu machen, um damit deren Marktwert zu erhöhen? - "Damien wird hier keine eigenen Arbeiten zeigen", sagt Kate Davies. "Sollten einzelne Stücke aus seiner Sammlung durch die Präsentation im Wert steigen, wäre das ein nicht unwillkommener Nebeneffekt. Aber hier geht es nur darum, großartige Kunst zu zeigen."

Hirst sollte die Kunstproduktion an den Nagel hängen und sich ganz aufs Kuratieren verlegen

Das klingt ein bisschen zu altruistisch für einen mit allen Wassern gewaschenen Player wie Damien Hirst. Tatsächlich ist schon das Gebäude des Museums trotz Baukosten von 34 Millionen Euro eine glänzende Investition. In Vauxhall beginnt gerade die Gentrifizierung. Allein als Immobilie dürfte die Galerie schon jetzt mehr wert sein, als Hirst für das ganze Projekt bezahlt hat. Er ist und bleibt das, was John Hoyland selbst ihn 1999 in einem Zeitungsinterview wenig wohlwollend nannte: ein Unternehmer.

Dennoch leibt festzuhalten, dass die Eröffnungsausstellung vollauf überzeugt. Der Kunsthistoriker James Cahill findet, Hirsts Arbeit als Ausstellungsmacher sei nur die notwendige Kehrseite seines künstlerischen Schaffens. Angesichts der Hoyland-Schau kann man Hirst nur empfehlen, die Kunstproduktion zurückzufahren und sich ganz aufs Kuratieren zu verlegen.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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