Premiere der Oper "La Juive":Te Deum

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Fromental Halévys Oper "La Juive", zu deutsch: "Die Jüdin", erzählt von Verblendung und religiösem Wahn. Im Kern aber geht es in dem Werk, dessen Handlung im Jahr 1414 zur Zeit des Konzils angesiedelt ist, um eine Liebesgeschichte.

Von Egbert Tholl

Die Eröffnungspremiere der Opernfestspiele, Fromental Halévys Oper "La Juive" - zu deutsch: "Die Jüdin" -, markiert einen

besonderen Punkt der Emanzipation. Vermutlich zum ersten Mal in der Operngeschichte treten hier Juden nicht als biblische Figuren auf, sondern sind Teil einer Gesellschaft, die zwar nicht ein Abbild der

Gegenwart der Uraufführung von 1835 ist,

aber sehr wohl als unmittelbare Metapher

funktioniert. Möglich wurde dies letztlich durch die Julirevolution in Frankreich 1830 und die damit einhergehende, zumindest für eine gewisse Zeit bestehende, vollendete Gleichstellung der Juden in Frankreich. Und doch wählten Eugène Scribe, Chefdramatiker der Pariser Oper, und Halévy den Transfer ins Mittelalter, in die Zeit des Konzils von Konstanz, welches das Schisma der westlichen katholischen Kirche und damit das Doppelpapsttum beendete. Die Oper spielt also 1414, zu Beginn des Konzils, und setzt ein mit dem Sieg über die Hussiten - von Scribe in einer Art historischer Verdichtung eingefügt.

Oper für alle, die sich schon viel zu lang von der Kollegin im Büro angiften lassen: Lucrezia Borgia

Man sollte nicht allen geschichtlichen Details hundertprozentig vertrauen; wichtig sind sie vor allem als weiterführendes Argument: Eine im Kern von Zweifeln erfasste Kirche - und mit ihr die ganze damalige Gesellschaft - feiert eine neu definierte Einheit und Stärke. Zu Beginn der Oper singt der Chor ein "Te Deum". Und fühlt sich schnell gestört, weil der Jude Eléazar an diesem Feiertag arbeitet. Das Hämmern aus seiner Goldschmiedewerkstatt erregt den Zorn des Volks - Kardinal Brogni verhindert ein Pogrom. Der ließ einst zwei Söhne Eléazars hinrichten, verlor selbst aber im Krieg Haus, Frau und Tochter. So glaubt er. Doch die Tochter wurde aus den Flammen gerettet, lebt, sie ist Rachel, von Eléazar als die eigene Tochter aufgezogen. Kaum ist das eine Pogrom abgewendet, soll das zweite folgen - die besoffene Meute singt von "Springbrunnen aus Wein" und will die Juden schänden, die der Kirche zu nahe kommen.

Nun rettet sie Léopold, Held gegen die Hussiten; für Eléazar und Rachel ist er jedoch Samuel, der Maler. Er liebt Rachel, sie

liebt ihn, aber er ist der Nichte des Kaisers

versprochen. Am Ende, als die verbotene Liebe zu Tage tritt - Rachel gilt ja als Jüdin

wird Léopold verbannt, weil Rachel alle Schuld auf sich nimmt. Sie selbst wird ertränkt, und im Moment ihres Todes verkündet Eléazar dem Kardinal Brogni ihre wahre Identität - Verdi bediente sich 20 Jahre später an diesem Schluss für seinen "Trovatore".

Die Handlung verweist auch auf Lessings "Nathan", die Figur des Eléazars auf Shakespeares Shylock: Er hasst die Christen, wird aber gleichzeitig von Scribe und Halévy als liebender Vater gezeichnet. Jede seiner ergreifenden Arien trägt beides in sich, zudem auch die Liebe zu dem Gott, der auch Halévys Gott war. Daneben tritt die Meisterleistung dieser Oper, Antisemitismus, die Brutalität eines dumpfen Mobs und die Möglichkeit eines - sich als Chimäre erweisenden - friedvollen Nebeneinanders der Religionen zu diskutieren, im Kern aber eine Liebesgeschichte zu erzählen, der gegenüber die Gestalt Eléazars und das christliche Dogma stehen. Rachel liebt Léopold wirklich, sie könnte sich retten, ließe sie sich, als Jüdin, die sie ja in Wahrheit nicht ist, taufen. Ihr Trotz ist selbstbestimmt und eher säkular; sie will sterben, weil ihr ein Leben ohne den Geliebten sinnlos erscheint.

"La Juive" ist eben auch eine Oper über religiöse Verblendung und das Ungesicherte von Identitäten, kein Wunder, dass sie derzeit eine Intensivierung ihrer Renaissance erlebt, die mit der ersten Produktion nach neuestem Quellenstand 1999 in Wien begann. Im Januar dieses Jahres hatte "La Juive" am Staatstheater Nürnberg Premiere, wie man ja überhaupt das Programm der staatlichen Franken-Oper als Hinführung für die Münchner Opernfestspiele erleben kann - Rameaus "Les Indes galantes" kam dort Anfang April in einer reichlich zauberhaften Produktion heraus, in München wird es die zweite Festspielpremiere sein. Dank Nürnberg auf das Werk vorbereitet, versteht man sofort die Liebe von Regisseur Calixto Bieito zu Halévys Musik, etwa zur Arie des Eléazars "Rachel, quand du Seigneur", vom Komponisten mit synagonalen Melodien unterfüttert und mit einer traumhaft schönen Einleitung durch zwei Englischhörner versehen.

Bertrand de Billy, Dirigent der Produktion, erzählte im "Max Joseph"-Magazin der Staatsoper, dass man erst einmal den ersten Akt mit seinen Redundanzen durchstehen müsse, in welchem die Musik noch sehr den Konventionen der Gattung folge. Die bestanden auch darin, dass kein Komponist seine besten Einfälle für den Beginn verschwendete, weil da das Publikum eh noch nicht saß, sondern herumlief, einander begrüßte und gegebenenfalls noch dinierte. Aber dann, vom zweiten Akt an, "ändert sich plötzlich alles". Außerdem "ging es uns in dieser Produktion darum, die Qualität der dramatischen Handlung in den Vordergrund zu stellen". Das heißt: Kürzen und Verdichten.

La Juive , 26. und 30. Juni sowie 4. und 8. Juli, jeweils 18 Uhr, Nationaltheater

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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