Porträt: Keanu Reeves:Der total Andere

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Womöglich ein wunderbarer Komödiant: Keanu Reeves lebt - aber nicht im Hier und Jetzt. Ein Treffen mit dem Mann mit der würdevollen Holzpuppen-Mimik.

Rebecca Casati

Sein Anzug und seine Haare glänzen so rabenschwarz wie sein Bart, sein Gesicht und seine Hände leuchten weiß; ein schöner, schlanker, scheuer Geist, der in seiner abgedunkelten Suite vor einem Sideboard steht und sich Wasser in ein Glas gießt.

Versteht es, sein wahres Ich meisterhaft zu verschleiern: Schauspieler Keanu Reeves. (Foto: Foto: ap)

Auf die in seine Richtung gestellte, einfallslos-höfliche Frage, wie es ihm denn so gehe an diesem Freitagnachmittag, bleibt er still. Und erstaunlicherweise fühlt sich diese Stille nicht falsch an, sondern folgerichtig, so als habe man gerade den Engel auf einem Caravaggio-Gemälde gefragt, wie spät es ist. Natürlich antwortet er nicht. Es wäre unproportional. Unangemessen.

Aus einer glitschigen Schicht befreit

Keanu Reeves ist nach Berlin gekommen, um über seinen neuen Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" zu sprechen; kein Filmkunstwerk, sondern ein Science-Fiction-Spektakel mit allem Drum und Dran: Aliens, Roboter, ein Raumschiff, das mitten im Stadtpark landet, böse Wissenschaftler, gute Wissenschaftler. Mit der schönen Jennifer Connelly, mit John Cleese als bösem Wissenschaftler, mit Kathy Bates als uneinsichtiger Verteidigungsministerin. Und in einer weiteren Hauptrolle: ein Budget von Hunderten Millionen Dollar.

Reeves spielt einen Alien namens Klaatu, der von Wissenschaftlern aus einer glitschigen Schicht befreit wird und eine bedrohliche Botschaft überbringt. Er hat einen wolkenkratzerhohen Roboter namens Gort dabei, der aus den Augen Todesstrahlen schießt. Später drohen Metallinsekten die Erde wegzufressen.

So geht die Handlung.

Und komisch: Vor diesem ernsten blassen Menschen in dieser Suite hat das plötzlich gar nichts Albernes mehr.

Keanu Reeves ist 44 Jahre alt. Er war lange Zeit so etwas wie die Lieblingszielscheibe aller Filmkritiker. Er sei blass, schrieben sie, seine Schauspielkunst so ausdrucksstark wie die einer Holzpuppe, seine Mimik sei, egal in welcher Situation, stets - dieselbe.

Diese Kritiker haben nicht unrecht, auch was seinen neuen Film angeht. Es gäbe tausend verschiedene Arten, einen Alien zu spielen, durchgeknallt oder dauerhüpfend. Keanu Reeves hat sich die typische Keanu-Reeves-Art ausgesucht. Simple Frage, aber: warum?

Antworten ins Nirgendwo

"Ich habe das Script befolgt", sagt er schlicht. "An einer Stelle sagt Klaatu über sich: "Dieser Körper wird sich daran gewöhnen." Für mich hieß das, dass sein Körper und sein Geist voneinander getrennt sind. Ich wollte ihn distanziert darstellen und rational, und ich wollte ihn ein bisschen streng und düster wirken lassen, mit der Haltung: Ich kenne ein Geheimnis, das dir wehtun könnte."

So gesehen macht Reeves seine Sache auch in diesem Film phantastisch. Andererseits macht er sie gar nicht. Er ist sie.

Beim Hinsetzen stößt er mit dem Schuh gegen seinen Sessel. Seine Augen sind sehr, sehr dunkel - und sie haben den gleichbleibenden, erstaunten und leicht verletzten Ausdruck von jemandem, den man gerade mit einer kräftigen Ohrfeige aus der Tiefschlafphase geholt hat.

"Es freut mich, dass Sie meinen Film unterhaltsam finden", klingt bei ihm wie ein Shakespeare-Vers, er spricht nicht; er deklamiert. Meistens Einzeiler. Wenn man abwartet, fügt er noch etwas hinzu, aus Höflichkeit. Und nicht selten führen seine Antworten ins Nirgendwo, zumindest aber an einen seltsamen Ort.

Er wirkt nicht hölzern, sondern etwas entrückt, leicht skurril, aber würdevoll.

Lesen Sie auf Seite 2, was Keanu Reeves von George Clooney, Brad Pitt oder Johnny Depp unterscheidet.

"Der Tag an dem die Erde stillstand" ist ein Remake; das Original stammt aus dem Jahr 1951, aus der Zeit des Kalten Krieges, und es gilt als Klassiker seines Genres. Für das Remake wurde die Handlung des Originals - die Bedrohung durch einen atomaren GAU - auf die Verhältnisse der Gegenwart übertragen. Die Menschen sind im Begriff, durch ihr Verhalten ihren eigenen Lebensraum, ihre Umwelt zu zerstören. So wie wir eben.

Anders als im Orginal ist Reeves' Alien einst ein Mensch gewesen. Und anders als im Original spielt neben Jennifer Connelly als guter Wissenschaftlerin nun ein kleiner farbiger Junge die dritte Hauptrolle, Jaden Smith, übrigens der Sohn von Will Smith.

Ein gutes Darum

Ist es nicht riskant, das Remake eines Klassikers so abzuändern, ja es überhaupt zu drehen? Und ist es nicht besonders riskant, wenn die Fangemeinde dieses Klassikers eine der strengsten überhaupt ist, nämlich die detailbesessene Science-Fiction-Gemeinde?

"Das war auch meine Erwägung", sagt Reeves bedächtig. "Ich fragte den Regisseur: Warum? Er hatte ein gutes Darum. Weil die Geschichte von damals immer noch die von heute ist: Sie handelt von unserer Beziehung zu diesem Planeten."

Reeves hat das Orginal gesehen, "als ich neun oder zehn war". Er erinnert sich an die Raumanzüge, die Untertassen und den großen Roboter Gort. Hatte er als Kind vor dem Fernseher keine Angst? "Nein. Aber ich war beeindruckt von dem Soundtrack, darin kam, wie ich später recherchierte, ein Theremin vor."

Ein Theremin?

"Das ist ein Instrument, das Wellen aussendet, die durch ihre Bewegung Sound erzeugen."

George Clooney, Brad Pitt oder Johnny Depp: Von ihnen allen gibt es alle paar Jahre eine große Vanity-Fair-Covergeschichte, ein "Tell All", mit dem Stars vor einem großen, besonders teuren Studio-Film ebendiesen pushen.

Keine Tell Alls

Von Keanu Reeves gibt es keine Tell Alls. Es gibt auch nur wenige Bilder von ihm vor Starbucks oder auf dem roten Teppich, und auf fast allen dieser wenigen Bilder versteckt er sich in einer schlampigen Alltagsuniform und hinter einem zottigen Bart.

Wer ein Interview mit Keanu Reeves gelesen hat, will danach erst mal lange keins lesen. Reeves schafft es, auf alle Fragen ausschließlich im Sinne seiner Filmcharaktere zu antworten. Und da er meistens Überirdische, Esoteriker oder sonstwie vom Leben Abgekoppelte spielt, lassen seine Antworten keinerlei Rückschlüsse auf sein Leben zu.

Wer trotzdem danach fragt, wird auf eine fast rührende Art abgewehrt.

Darf ich Ihnen eine Frage zur Religion stellen? fragte ihn vor ein paar Jahren ein Reporter.

Reeves: "Bitte, tun Sie das nicht."

Reporter: "?"

Reeves: "Bitte, bitte nicht! Weil, das ist etwas, was ich sehr persönlich behandle, etwas, das sehr privat ist."

Es gibt eine lange Liste mit Dingen, nach denen man Keanu Reeves auf Geheiß seiner Pressefrau bitte nicht fragen sollte. Und nach denen in einer dreißigminütigen Begegnung in einem Hotel wohl auch nur ein recht hartherziger Mensch fragen würde.

Lesen Sie auf Seite 3, wie das wahre Leben dem Schauspieler Keanu Reeves mitgespielt hat.

Das Schicksal hat es mit dem Schauspieler Keanu Reeves gut gemeint. Und mit dem Menschen Keanu Reeves sehr böse. Der Mensch Reeves ist der Meinung, die Welt weiß genug über ihn, und wahrscheinlich ist es auch so. Die Welt weiß, dass er hawaiianisches Blut hat, dass er gerne reitet, noch lieber Motorrad fährt, dass er ein guter Schachspieler ist und dass der Name Keanu "Kühle Brise über den Bergen" bedeutet.

Die Welt weiß auch, dass sein Vater die Familie früh verließ, Drogendealer war und lange im Gefängnis saß.

Die Welt weiß, dass Reeves und seine Freundin Jennifer Syme, Assistentin von David Lynch, 1999 eine Tochter erwarteten, die sie Ava Archer Reeves-Syme nannten. Und dass sie diese Tochter einen Monat vor ihrer Geburt verloren. Die Welt erfuhr es, als Syme und Reeves sich zwei Monate darauf trennten, aber engen Kontakt hielten. Sie erfuhr, als eine der Ersten, dass Reeves' Schwester Kim an Lymphdrüsenkrebs erkrankte. Und dass Jennifer Syme 2001 bei einem Autounfall ums Leben kam, das erfuhr die Welt noch in derselben Nacht. Selbstmord, wie die Welt vermutete.

Bis alle Fragen aufgebraucht sind

Wie soll man sich schon verhalten, wenn die Welt sowieso alles erfährt? Sich ins Dunkle setzen. Nicht zappeln und über Filmcharaktere sprechen. In der Hoffnung, das so alle Fragen irgendwann aufgebraucht sind. Ein Rätsel werden - so wie Reeves. Man sollte meinen, dass das so ziemlich das Letzte ist, was man in Hollywood sein darf, wo heutzutage doch das Image das Wichtigste ist.

George Clooney hat den Crooner-Charme eines Dean Martin. Brad Pitt verströmt diesen blonden Haferflocken-Sexappeal eines männlichen Pin-Ups aus den Siebzigern. Johnny Depp kann einfach alles und jeden spielen, so wie es Marlon Brando konnte.

Reeves hat nichts dergleichen, er steht in keiner vergleichbaren Tradition. Nach seinem Durchbruch als surfender Polizist in "Gefährliche Brandung" galt er als neuer Sexgott, später in "Speed" als neuer Actionheld. Beides hat sich längst aufgelöst in etwas Nichtmaterielles, Ätherisches.

In vielen seiner Filme - ob in der "Matrix"-Trilogie, in "Constantine" oder jetzt in seinem aktuellen - spielt er einen Engel, einen Messias, jedenfalls einen Auserwählten. Und Kohorten von Außenseitern und Computernerds sehen nichts weniger in ihm, seit er in "Matrix" den Hacker Neo verkörperte, im schwarzen Trenchcoat, mit dunkler Sonnenbrille und in Kampfstiefeln.

Wie kaum ein anderer Schauspieler steht Reeves deshalb für diese Zeit und ihre großen Fragen, die Koexistenz von Wissenschaft und Glaube. Ist ihm das bewusst? Sind es auch seine großen Fragen? "Ich suche in einem Drehbuch nicht gezielt danach. Aber wenn ich sie finde, spricht mich das an."

Wie gefällt es ihm, dass er spätestens seit "Matrix" einer der größten Helden der Internet-Gemeinde ist?

"Im Internet gibt es Fangemeinden für alles. Es gibt da Gruppen, die ein obskures Stückchen Garn anbeten. Das in einem holländischen Teppich verwoben wurde. Der im Jahr 1622 gewoben wurde. Im Winter. Genauer gesagt: im Januar. Erste oder zweite Hälfte? In der ersten. Solche Gemeinden gibt es im Internet. Was phantastisch ist. Alles was niemdem weh tut, ist phantastisch."

Ein privater Typ

Hat er sich gerade mit einem Stückchen Garn verglichen?

"Ich will damit eher sagen: Ich bin ein privater Typ. Ich finde es toll, dass die Menschen meine Arbeit bewundern, sich eventuell darüber austauschen. Aber ich habe dem nichts hinzuzufügen."

Haben ihm auf dem Set Berater oder andere extraterrestrische Experten irgendwas verraten, das wir wissen sollten?

"Nein."

Und glaubt er, dass so ein Film wie seiner ein Bewusstein verändern, Leute aufwecken kann?"

"Ein Film kann eine Komponente in einem Entscheidungsprozess sein, Teil der Gestalt eines neuen Willens werden."

"Gestalt" sagt er auf Deutsch.

Klingt hübsch, das Deutsch.

"Morgen, morgen nur nicht heute, sagen alle faulen Leute", deklamiert er daraufhin würdevoll.

Oh. Das ist kein angenehmer Spruch. Das sagen in Deutschland Mütter zu ihren Kindern, wenn die lieber spielen wollen als den Müll runtertragen

Über diese Information freut sich Keanu, die Kühle Brise über den Bergen, über die Maßen. Er beugt sich vor, er singt: "Morgen morgen! Nur nicht heute. Mach deine Hausaufgaben, zieh deine Jacke an, los, streng dich an, sonst musst du morgen die Straßen fegen! Faule Leute! Faule Leute! Lazy people!"

Über diesen doch gar nicht komischen Witz lacht er heftig. Und recht lang.

Wer Reeves vor ein paar Jahren in dem Independent-Film "Thumbsucker" als esoterischen Zahnarzt gesehen hat, findet darin eine der vielen Antworten auf sein Rätsel: Er wäre womöglich ein wunderbarer Komödiant.

Sie müsste speziell sein, diese Komödie, ihr Witz müsste, ähnlich wie in einem Jacques-Tati-Film, darin bestehen, dass der Hauptdarsteller seine würdevolle Miene beibehält, während alles um ihn herum immer irrer, lauter und vulgärer wird. Vielleicht wäre der Erlöser dann endlich: erlöst.

© SZaW vom 06./07.12.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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